An Schicksalsschlägen kann man zerbrechen – oder wachsen.
Dass Corsin Camichel (42) es geschafft hat, all die Tiefschläge wegzustecken, mit denen das Leben ihn konfrontiert hat, ist beeindruckend. Dass der Ex-Hockeyprofi heute Spielern hilft, Krisen zu meistern oder sie zu vermeiden, ist bemerkenswert. Die eigenen schmerzhaften Erfahrungen spielen eine grosse Rolle auf dem Weg zu seiner neuen Berufung als Mentaltrainer.
Wie ein Mensch Tragödie um Tragödie aushalten kann, diese Frage stellt man sich unweigerlich, wenn man Camichels Geschichte kennt. Mit der Profi-Karriere, die für den Engadiner 2001 bei Ambri startet, geht ein Traum in Erfüllung. Doch in den folgenden Jahren wechseln sich Licht und Schatten auf dramatische Weise ab.
So viele Schicksalsschläge in nur wenigen Jahren
2003 wird Camichel auf der Autobahn in einen Unfall mit einem Geisterfahrer verwickelt, der noch auf der Unfallstelle verstirbt. «Damals war ich einfach dankbar, dass mir nichts passiert ist», erinnert er sich. Im selben Jahr erlebt er Highlights wie das erste Aufgebot der Schweizer Nati oder die Spengler-Cup-Teilnahme mit Krefeld.
Bevor Camichel 2006 zum SCB wechselt, stirbt sein Vater an Krebs. Als Spieler muss er plötzlich Verletzungen verkraften, sich Operationen unterziehen. Seine Welt bricht im Februar 2011 kurz vor seinem 30. Geburtstag zusammen: Bei Camichel, inzwischen beim EV Zug unter Vertrag, wird Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert.
«Diese Krebserkrankung war der Wendepunkt», erzählt Camichel. «Davor war ich in der Hockeyblase, habe die Schicksalsschläge verdrängt und nicht richtig verarbeitet. Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich den Krebs überstehe, ändere ich meine Denkweise.»
Lange hat er keine Hilfe zugelassen
Er gesteht, dass er als Spieler nicht viel von Mentaltraining gehalten hat. Als man Camichel beim SCB rät, sich mit einem Sportpsychologen auszutauschen, lehnt er ab. «Bis 30 fühlte ich mich auch mal in der Opferrolle, trotzdem konnte ich Hilfe noch nicht zulassen.» Erst nach dem Krebsbefund.
Seit Anfang 2015 gilt Camichel, der nach einem missglückten, weil zu frühen Comeback-Versuch seine Spielerkarriere 2013 beendet, als geheilt. Inzwischen hat er die Trainerlaufbahn eingeschlagen. Doch einmal noch schlägt das Schicksal brutal zu: Im April 2015 verunglückt sein Bruder Duri (†33) bei einem Autounfall in Costa Rica tödlich.
Wenn er auf seine prägenden Erfahrungen zurückblickt, sagt Camichel: «Es war eine Achterbahnfahrt. Entweder, man fährt runter und crasht – oder holt Anlauf.» Er hat sich für Letzteres entschieden und betont: «Heute bin ich dankbar, dass ich meine Schicksalsschläge durchgestanden habe, eine Familie habe und glücklich bin.» Und dass er auch dank seiner persönlichen Erlebnisse Spielern besser helfen kann.
Die Erkenntnis, dass Mentalcoaching ein passender Job für ihn sein könnte, trifft ihn aus dem Nichts – und dank Zugs Stürmerstar Grégory Hofmann. Camichel arbeitet nach drei Jahren bei Erstligist Seewen sowie zwei Jahren bei Schweizer Junioren-Auswahlen beim EVZ als U20-Trainer. Während dem Playoff-Final 2021 fragt ihn Hofmann um Rat, als Zug gegen Servette unter Titel-Druck steht. «Ich spürte auf einem Spaziergang mit ihm, dass ihm das Gespräch mit mir guttut.»
Deswegen fassen die Spieler Vertrauen
Bereits in seinem Berufstrainer-Lehrgang streift Camichel das Thema mentales Coaching und arbeitet mit den Zuger Junioren intensiv auf dieser Ebene. Im spielerischen und taktischen Bereich beschränkt er sich aufs Wesentliche – sein Team holt den U20-Meistertitel. Zu sehen, wie sich die jungen Spieler auch als Menschen entwickeln, gefällt ihm so gut, dass er umsattelt und die Ausbildung zum Sport-Mentalcoach startet. In diesem Sommer hat er sich selbstständig gemacht und ist seit Anfang Saison fürs Mentaltraining bei seinem Ex-Klub Ambri-Piotta zuständig.
Ambris Sportchef Paolo Duca, der Camichel einst als Junioren-Trainer engagieren wollte, ist wie auch Trainer Luca Cereda Feuer und Flamme für den mentalen Ansatz des ehemaligen Spielers. Sie stehen voll dahinter. «Genau diese Kombi aus Ex-Spieler, Ex-Trainer und Mentalcoach führt dazu, dass die Spieler Vertrauen fassen», so Camichel. «Ich kann zum Beispiel nachvollziehen, was es für einen Spieler bedeuten kann, immer nur 13. Stürmer zu sein. Oder wenn er nicht mehr trifft und deswegen zu Hause nur an die Decke starrt.»
Der zweifache Vater, der auch Olten und den SC Cham II betreut, bekommt es mit Versagensängsten zu tun, der Angst, was andere denken, und auch mit Privatem oder Verletzungssorgen. Heutzutage seien die Spieler offener gegenüber Mentaltraining und holen sich eher Hilfe. «Dieser erste Schritt ist immer noch der wichtigste.» Danach sei es ein Prozess, in dem Camichel unterstützt, Spieler auf ihren Achterbahnfahrten stabil zu halten.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | ZSC Lions | 19 | 19 | 40 | |
2 | HC Davos | 21 | 21 | 40 | |
3 | Lausanne HC | 21 | 8 | 40 | |
4 | SC Bern | 22 | 15 | 36 | |
5 | EHC Kloten | 21 | 2 | 33 | |
6 | EV Zug | 21 | 14 | 33 | |
7 | EHC Biel | 21 | 0 | 32 | |
8 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 21 | -4 | 31 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 21 | -9 | 27 | |
10 | SCL Tigers | 19 | -3 | 25 | |
11 | HC Lugano | 19 | -13 | 25 | |
12 | HC Ambri-Piotta | 19 | -12 | 24 | |
13 | Genève-Servette HC | 17 | -3 | 22 | |
14 | HC Ajoie | 20 | -35 | 15 |