Blick: Luca Cereda, Sie sind nun in der siebten Saison als Trainer von Ambri-Piotta. In einer Ehe würde man sagen, das verflixte siebte Jahr. Wie fühlt sich das für Sie an?
Luca Cereda: Es waren gemischte Gefühle. Wir haben wirklich lange überlegt, ob es die richtige Entscheidung ist, weiterzumachen, also Sportchef Paolo Duca und ich zusammen mit dem Klub. Denn vergangene Saison spürten wir, dass wir nicht mehr nur in die gleiche Richtung gehen. Am Tag nach dem letzten Saisonspiel sprachen wir bereits darüber und legten alle Optionen auf den Tisch. Nach langem Überlegen kamen wir zum Schluss, dass es immer noch Sinn macht für uns und den Klub. Für Paolo und mich, weil es ein spezieller Klub ist. Es lohnt sich, dafür zu leiden. Für etwas Grösseres, als wir es beide sind. Und so fühlt es sich jetzt an: Es ist eine grosse Ehre, ein grosser Stolz, ein Teil dieser langen Geschichte zu sein.
Als Sie 2017 engagiert wurden, wie haben Sie sich da vorgestellt, wie es für Sie werden könnte?
Meine älteste Tochter war damals sieben Jahre alt. Ich sagte ihr, dass sie irgendwann Geschwätz über mich hören wird, dass ihr Vater nicht so schlau ist. Das wusste ich. Ebenso, dass es Momente geben wird, in denen der Druck gross sein wird. Wir sind emotional hier, es kann in beide Richtungen eskalieren.
Sie sind beim Klub gross geworden, dem HCAP gehört Ihr Herz. War das immer nur ein Vorteil, oder auch ein Nachteil?
Ein Vorteil. Ich musste keine Energie aufwenden für Dinge, die hier einfach so laufen. Zum Beispiel, dass gute Spieler früher oder später weggehen. Ambris Realität ist für mich normal. Klar, ab und zu leide ich etwas mehr deswegen. Und es wäre auch schön, wenn mal alles perfekt funktionieren würde: Dass es gut läuft, wir alle Heimspiele gewinnen, die Fans zufrieden sind. Weil wir wissen, was dies hier auslösen würde. Aber trotzdem ist meine Verbundenheit ein Vorteil.
Sie sind im 3000-Seelen-Ort Sementina TI aufgewachsen, wohnen heute noch mit Ihrer Familie dort. Können Sie entspannt durchs Dorf laufen?
Ich brauche meine Ruhe. Ich lade meine Batterien, indem ich alleine bin. Darum sieht man mich nicht viel in der Öffentlichkeit im Tessin. Ich verbringe viel Zeit zu Hause oder in der Natur, wo ich nicht viele Leute treffe. Wenn jemand mit mir in Sementina sprechen möchte, dann über Hockey, das ist klar. In guten Momenten ist das schön, in schwierigen Momenten weniger. Wir sagen immer vor den Freitagsspielen, dass wir verantwortlich sind für die Laune vieler Tessiner am Samstagmorgen.
Was das bedeuten kann, erfuhren Sie in der Endphase der vergangenen Saison. Wovor Sie Ihre Tochter vorgewarnt haben, trat ein.
Genau, meine Kinder waren mit meiner Schwester am Spiel. Als sie aus der Arena liefen, schimpften Fans über mich und schrien sie an. Meine Schwester intervenierte, doch sie hörten einfach nicht auf, sondern wurden noch lauter. Meine Kinder kamen nach Hause und weinten. Innerlich fragte ich mich, lohnt sich das wirklich, was ich alles für diesen Klub mache? Lohnt es sich für mich, aber auch für den Klub? Denn ich weiss: Ambri war da vor Cereda und wird auch nach Cereda noch da sein. Die meisten sind überzeugt von der Linie, die wir als Klub haben. Aber ich habe gelernt, dass die Kritiker die lautesten Stimmen haben.
Luca Cereda ist in Sementina TI aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Mit seiner Frau Miriam (43) ist er seit 2008 verheiratet, das Paar hat vier Kinder: Emma (14), Giulia (12), Samuele (9) und Mattia (3). Sein Herz gehört jeher dem HC Ambri-Piotta.
Cereda (42) debütierte als 17-Jähriger in der NLA, war eines der grössten Schweizer Stürmertalente und wurde 1999 im NHL-Draft von den Toronto Maple Leafs in der ersten Runde (24. Stelle) gezogen. Doch wegen eines Herzfehlers spielte er nie in der NHL und musste seine Karriere mit 25 Jahren beenden. Fortan setzte er auf seine Laufbahn als Trainer und wurde via Ambri-Nachwuchs und Biasca 2017 Headcoach der Leventiner in der National League. Cereda ist aktuell der dienstälteste Trainer in der höchsten Liga.
Luca Cereda ist in Sementina TI aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Mit seiner Frau Miriam (43) ist er seit 2008 verheiratet, das Paar hat vier Kinder: Emma (14), Giulia (12), Samuele (9) und Mattia (3). Sein Herz gehört jeher dem HC Ambri-Piotta.
Cereda (42) debütierte als 17-Jähriger in der NLA, war eines der grössten Schweizer Stürmertalente und wurde 1999 im NHL-Draft von den Toronto Maple Leafs in der ersten Runde (24. Stelle) gezogen. Doch wegen eines Herzfehlers spielte er nie in der NHL und musste seine Karriere mit 25 Jahren beenden. Fortan setzte er auf seine Laufbahn als Trainer und wurde via Ambri-Nachwuchs und Biasca 2017 Headcoach der Leventiner in der National League. Cereda ist aktuell der dienstälteste Trainer in der höchsten Liga.
Sie persönlich wurden auch bedroht?
Nicht viel, aber ein paar Mails habe ich bekommen, ja. Später nach der Saison kamen dann die positiven Nachrichten. Aber man muss es in Relationen setzen und Abstand von Reaktionen gewinnen. Wir leben fürs Hockey, es ist ein grosser Teil unseres Lebens. Aber es gibt auch noch einen anderen Teil.
Hatten Sie Angst? Um Ihre Sicherheit und die Ihrer Familie?
Um die Sicherheit nicht, nein. Aber natürlich habe ich mir Gedanken gemacht. Nach der vergangenen Saison war ich erschöpft und ausser Form, mental und physisch. Ich fragte mich, finde ich noch die Energie, die Leidenschaft, um noch eine solche Saison durchzustehen? Es war ein Prozess. Zunächst hatte ich überhaupt keine Lust zu irgendetwas. Und plötzlich wurde es besser.
Was war der Auslöser dafür?
Die drei Wochen mit der Schweizer Nationalmannschaft haben mir enorm gutgetan. Ich hatte Abstand von allem hier, bekam wieder Motivation, auch um für mich zu trainieren. Und ich hatte wieder neue Ideen im Kopf.
Haben Sie mit Ihrer Frau über Ihre Gedanken geredet, möglicherweise als Ambri-Trainer zurücktreten zu wollen? Machte sie sich Sorgen um Sie?
Ich habe einige Male mit ihr und auch den Kindern darüber gesprochen. Die Kinder sagten sofort, dass ich weitermachen soll. Meine Frau riet mir, dass ich mich dafür entscheiden soll, was ich innerlich fühle, und die Familie wird mich unterstützen. Aber sie bat mich, dass es nicht mehr so weit kommen darf wie in den Monaten zuvor. Sie spürten, dass ich an meine Grenzen gekommen war und mich nicht mehr wohlfühlte. Sie sagten mir, dass ich etwas ändern muss, um wieder der Luca zu sein, der ich davor war.
Das hat Sie beschäftigt. Sie sind ein sensibler Mensch.
Ja, das stimmt, ein sehr nachdenklicher Mensch. Paolo ist da ganz anders, er lässt alles sofort raus und dann ist es vorbei. Bei mir ist es umgekehrt. Ich behalte alles für mich, versuche es zu verdauen, zu überlegen, was ich besser machen kann, hinterfrage meine Entscheidungen. Die ganzen Emotionen bleiben hier in mir drin (zeigt auf seinen Bauch).
Wussten die Spieler, wie es Ihnen ging?
Nein, ich habe wirklich all meine Energie noch rausgeholt aus mir. Aber gemerkt haben sie wahrscheinlich schon etwas. Die letzten sieben Heimspiele der Quali haben wir alle verloren. Da war meine Körpersprache sicher eine andere. Das realisierte ich erst in der ersten WM-Vorbereitungswoche mit der Nati. Dort wurden mir die Augen geöffnet.
Inwiefern?
Ich spürte die gute Energie im Staff. Klar, sie warten ein ganzes Jahr auf diesen Moment. Die erste Woche, noch kein Druck. Ich sah, was positive Energie auslösen kann. Da schwor ich mir, dass wir in Ambri nicht mehr so sein dürfen wie in den letzten Meisterschaftswochen. Da waren wir nur noch fokussiert auf Probleme, und nicht darauf, dass es auch Positives gab. Wir sahen nur noch schwarz. Oder die wenigen Spieler, die schlecht spielten, anstatt die anderen 20, die alles gaben.
Sprachen Sie auch später nicht mit dem Team über Ihren inneren Kampf?
Nein, Paolo und ich informierten die Mannschaft einfach, dass wir weitermachen, voll motiviert sind und überzeugt von unserem Weg. Kein Spieler soll befürchten, dass wir zweifeln.
Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Weil ich überzeugt bin, dass es das Richtige ist.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass so ein persönliches Tief wieder passieren kann?
Nein. Mir ist bewusst, dass es irgendwann fertig sein kann und wird. Je mehr Monate, Jahre ich hierbleibe, desto näher rückt ein Ende, das ist normal. Ich bin im Jetzt. Jetzt ist die Energie da, und ich denke nicht zu weit. Es war nicht alles schlecht, in dieser schwierigen Zeit habe ich auch viel über und für mich gelernt.
Zum Beispiel?
Zwei Dinge. Erstens, der Trainer muss der Kapitän des Schiffes sein. Mit meiner Überzeugung habe ich viel Einfluss, und die zeigt sich auch in meiner Körpersprache. Die muss immer stimmen. Dafür muss ich meine persönliche Balance finden. Vielleicht auch mal etwas für mich machen, statt für den Klub, damit am nächsten Tag mein Energie-Level wieder stimmt. Nur dann kann ich den Spielern helfen. Ab und zu hilft etwas Abstand. Und zweitens: Die Leute reden sowieso, was sie wollen. Das nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen.
Seit über 30 Jahren ist die Ambri-Garderobe Ihr zweites Zuhause. Ihr Gefühl, wenn Sie eintreten?
Stolz. Emotionen. An unserer Gala vor wenigen Wochen wurde ein Film gezeigt, ich bekam Gänsehaut. Es ist ein Kribbeln im Bauch, manchmal schön, manchmal weniger. Aber ich liebe diese Emotionen. Wenn ich an den Moment des Ausgleichstores gegen den ZSC denke, vier Sekunden vor der Sirene, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Das war Wahnsinn! Die Emotionen sind das Salz und der Pfeffer unseres Lebens.
Die National-League-Partie SCRJ Lakers – HC Ambri-Piotta gibts am Freitag ab 19.25 Uhr live auf Blick TV!
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | HC Davos | 30 | 28 | 57 | |
2 | ZSC Lions | 26 | 31 | 55 | |
3 | Lausanne HC | 29 | 7 | 53 | |
4 | EHC Kloten | 30 | -2 | 50 | |
5 | SC Bern | 29 | 16 | 49 | |
6 | EV Zug | 28 | 19 | 46 | |
7 | SCL Tigers | 28 | 4 | 41 | |
8 | EHC Biel | 28 | 4 | 40 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 29 | -6 | 39 | |
10 | HC Ambri-Piotta | 29 | -16 | 39 | |
11 | Genève-Servette HC | 26 | 1 | 36 | |
12 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 30 | -18 | 36 | |
13 | HC Lugano | 28 | -25 | 33 | |
14 | HC Ajoie | 28 | -43 | 23 |