Roman Josi, wobei stören wir Sie gerade?
Roman Josi: Ich sitze mit meiner Frau im Auto und fahre von Nashville über Alabama in den Strandurlaub nach Florida. Wir werden bis zu unserem Ziel in der Nähe von Rosemary Beach noch ungefähr sechs Stunden auf dem Highway verbringen, von mir aus können wir jetzt sechs Stunden plaudern ...
Das freut uns zwar sehr, aber warum legen Sie diese Strecke nicht mit einem Flugzeug zurück?
Das ist vor allem auf Corona zurückzuführen. Wir begegnen diesem Virus mit grossem Respekt. Ellie und ich haben seit dem Ausbruch der Pandemie nie zusammen in einem öffentlichen Lokal gegessen, wir haben uns das Essen nach Hause bestellt oder selber gekocht. Und damit wir uns nun für den Urlaub auch nicht mit einer Maske in einen überfüllten Flieger setzen müssen, haben wir uns für einen Strand im Norden Floridas entschieden.
Wegen Corona waren Sie in den letzten Wochen mit den Nashville Predators bis zum Out gegen die Arizona Coyotes in einem von der Öffentlichkeit abgeriegelten «Bubble» eingesperrt. Wie schlimm war das für Sie?
Die Bedingungen waren längst nicht so mühsam, wie ich mir das vor diesen NHL-Playoffs vorgestellt hatte. Wir hatten in unserer Blase ein super Hotel mit drei sehr guten Restaurants. Zudem gab es einen schönen Platz, auf dem sich die Spieler regelmässig über den Weg gelaufen sind. Die Stimmung hat mich an Turniere in meiner Juniorenzeit erinnert. Genau wie damals haben wir Spieler viel öfter zusammen zu Abend gegessen, als dies im Normalfall in der NHL der Fall ist. Und das habe ich genossen.
Aber die ganz grossen Emotionen sind bei den Spielen vor leeren Zuschauerrängen ausgeblieben, oder?
Wenn du dich auf dem Eis voll aufs Spiel konzentrierst, vergisst du, dass gar keine Zuschauer im Stadion sitzen. Aber natürlich wird es dir wieder bewusst, sobald du auf die Bank sitzt. In diesem Moment habe ich die als besonders lauten und leidenschaftlichen Nashville-Fans enorm vermisst.
Obwohl Ihr Team vor dieser Spielzeit zu den Anwärtern auf den Gewinn des Stanley Cups gehandelt wurde, sind Sie wie im Vorjahr in der ersten Runde ausgeschieden. Wie fällt Ihre Analyse aus?
In der letzten Saison sind wir gegen Dallas ausgeschieden, weil wir viel zu zurückhaltend agiert hatten. Das war diesmal nicht der Fall. Wir sind eigentlich in jedem Spiel aggressiv zu Werke gegangen, haben den Gegner richtiggehend attackiert. Aber wir waren im Abschluss zu wenig effizient und haben in der Defensive ein paar kleine Fehler zu viel gemacht.
Sehr effizient war zuletzt Kevin Fiala, der vor einem Jahr im Tausch mit dem Finnen Mikael Granlund von Nashville nach Minnesota transferiert worden war. Der Ostschweizer erzielte nach 23 Treffern in der Qualifikation in vier Playoff-Spielen drei Tore, während Granlund in den vier Begegnungen gegen Arizona lediglich einen Assist verbuchte. Wie stark blutet Ihr Herz, wenn Sie Fialas Entwicklung bei den «Wild» sehen?
Mein Herz blutet deswegen nicht. Ich kenne Kevin, seit er vor fünf Jahren in die NHL gekommen ist. Deshalb freue ich mich sehr für ihn, dass es ihm jetzt so gut läuft. Ich weiss, dass er sich diesen Erfolg extrem hart erarbeitet hat.
Aber es muss Ihnen doch trotzdem wehtun, wenn ein derart starker Landsmann nicht mehr in Ihrem Team spielt.
Natürlich wäre Kevin in dieser Verfassung ein riesiger Gewinn für unser Team. Ich bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass wir mit Granlund einen fantastischen Spieler erhalten haben, der uns in Zukunft noch sehr viel Freude bereiten wird.
Was muss im Hinblick auf die kommende Saison in der Organisation der Predators passieren?
Obwohl wir nun zweimal in Serie so früh ausgeschieden sind, bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass wir mit diesem Kader den Stanley Cup holen können. Es muss jeder Spieler in den Spiegel schauen und sich ernsthaft fragen, wie er dem Team besser helfen kann.
Zu welcher Erkenntnis kommen Sie persönlich, wenn Sie in den Spiegel schauen?
Dass ich mich vor allem im Defensivspiel verbessern muss. Ich habe einige Zweikämpfe zu wenig konsequent geführt. Und auch ich muss vor dem Tor noch effizienter werden.
Sie sind seit drei Jahren Team- Captain. Kann es sein, dass ein so liebenswerter Kerl wie Sie für diese Rolle manchmal zu anständig und zu leise ist?
Es hat zuletzt schon ein paar Momente gegeben, in der auch ich in der Garderobe lauter geworden bin. Aber laute Töne bringen nur dann etwas, wenn sie wirklich von Herzen kommen. Und dass ich von meinem Naturell her nicht wirklich ein Lautsprecher bin, wissen meine Mitspieler. Deshalb würden sie mich auch nicht ernst nehmen, wenn ich plötzlich regelmässig laut herumschreien würde. Jeder würde merken, dass ich ihnen etwas vorspielen will. Ich versuche die Captain-Rolle ähnlich zu interpretieren, wie es meine Vorgänger Shea Weber und Mike Fisher getan haben. Weil die sich auf und neben dem Eis enorm professionell verhalten haben, mussten die beiden in der Garderobe gar nicht viel sagen, um die nötige Autorität von den Mitspielern zu erlangen.
Die neue Saison wird erst im Januar gestartet. Werden Sie bis dahin auch noch ein paar Wochen in der Schweiz verbringen?
Ich vermisse meine Heimat und meine Angehörigen in der Schweiz ganz extrem, wegen der Corona-Pandemie habe ich meine Eltern und meinen Bruder seit dem letzten Winter nicht mehr gesehen. Das tut weh. Das grosse Problem ist aber, dass ich viel Zeit in der Quarantäne verbringen müsste, wenn ich in die Schweiz reisen würde.
Vor dem Stanley-Cup-Final wird die NHL unter anderem die Trophy für den besten Verteidiger vergeben. Sie sind neben Washingtons John Carlson (30) und Victor Hedman (29) von den Tampa Bay Lightning für diese James Norris Memorial Trophy nominiert. Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen auf den Gewinn ein?
Klar, Carlson und Hedman haben in dieser Saison grandios gespielt. Doch ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Ambitionen auf diese Trophäe hätte. Der Gewinn dieser Wahl wäre für mich gleichbedeutend mit der Erfüllung eines Traums. Aber ich betrachte alleine meine erstmalige Nomination als grossen Erfolg. Es ist für mich eine riesige Ehre.
Ihre überragenden Leistungen wurden im vergangenen Oktober mit einem Vertrag belohnt, der Ihnen in den nächsten acht Jahren rund 72 Millionen Dollar einbringen sollte. Müssen Sie aufgrund der fehlenden Zuschauereinnahmen in der Corona-Phase nun finanzielle Abstriche in Kauf nehmen?
Bei uns wird das durch den Gesamtarbeitsvertrag der NHL geregelt. Und es ist klar, dass jeder Spieler eine gewisse Gehaltskürzung in Kauf nehmen muss, so lange wir vor leeren Rängen spielen müssen. Die genauen Zahlen kenne ich aber nicht.
Im April haben Sie wie Mark Streit ein paar Millionen in ein Aktienpaket von Ihrem Stammverein SC Bern investiert. Haben Sie sich in den letzten Monaten mit der neuen Sportchefin Florence Schelling über gewisse Transfer unterhalten?
Nein. Mein Vater sitzt ja für mich im Verwaltungsrat, ich will mich derzeit vor allem auf meine Karriere in Nordamerika fokussieren. Aber natürlich gebe ich dem SCB gerne Auskunft, falls man irgendwann an einem Spieler interessiert wäre, den ich in der NHL besonders gut kennengelernt habe. Aber das war bis jetzt noch nicht der Fall.
Was können Sie uns als in den USA lebender Schweizer über den 77-jährigen US-Präsidenschaftsanwärter Joe Biden sagen?
Ich habe mich bis jetzt kaum mit ihm beschäftigt. Aber ich hoffe ganz fest, dass die Zeit von Donald Trump bald vorbei ist. Dieses Land braucht ganz dringend einen neuen Mann an der Spitze.