Auf dem Weihnachtsmarkt am Dresdner Altmarkt duftet es nach allerlei Köstlichkeiten. Selbst bei diesem garstigen Wetter wenige Tage vor Weihnachten ist es ein Wohlfühlort für Janick Schwendener. Er wohnt gleich um die Ecke, «darum komme ich täglich her», sagt er grinsend. Der Bündner ist ein Geniesser, weiss, an welchen Ständen es das beste Essen gibt. «Der Glühwein schmeckt sowieso überall.»
Schwendener hat sich verliebt. In die geschichtsträchtige Stadt im Osten Deutschlands. Ins Leben hier. Und auch wieder ins Hockey. Er spielt die zweite Saison bei den Eislöwen Dresden in der DEL 2, hat unlängst seinen Vertrag um zwei Jahre bis 2025 verlängert. Um zu verstehen, was diese Wertschätzung hier für den 30-Jährigen bedeutet, muss man wissen, wie es die letzten zehn Jahre in der Schweiz für ihn gelaufen ist.
Der Torhüter ist Teil des SCB-Meisterteams 2016 und hat 2014 den Spengler-Cup gewonnen mit Servette – trotzdem schafft er den Sprung ins Rampenlicht nie. In Klosters GR aufgewachsen, ist der HC Davos sein Stammklub. Obwohl man Schwendener stets viel Talent attestiert, bekommt er keine richtige Chance, sich für NL-Aufgaben aufzudrängen. Weil ihm jahrelang jemand vor der Sonne steht: Leonardo Genoni.
Ab 2007 spielt der Meistergoalie beim HCD. Ab 2008 trainiert Junior Schwendener mit der Profimannschaft. «Es gab nie ein Zeichen, dass ein Einsatz rausspringt.» In den drei Saisons ab 2011 spielt das Eigengewächs mal ein, dann drei und sieben Spiele. 2013/14 holt der Klub mit dem Finnen Mika Noronen lieber einen Ausländer, als auf Schwendener zu vertrauen.
So langsam hat er keine Lust mehr, gerät in eine Negativspirale. «Das hat man mir auch mal angemerkt. Die Freude am Puckshalten im Training war weg. Ich sage immer: Als Teenager hatte ich keine Pubertät, dafür als Goalie.»
Wieder steht Genoni vor der Sonne
Auch Goalietrainer-Legende Marcel Kull merkt, dass sich etwas ändern muss für den jungen Torhüter, der sonst verheizt wird. Es folgt die unrühmliche Saison 2014/15, nach der wegen Schwendener sogar die Transfer-Regel angepasst wird. Der HCD leiht ihn an drei verschiedene Klubs aus: zunächst Thurgau, dann Servette und Kloten. Darüber, was viele Goalies als ein Abschieben empfinden würden, sagt Schwendener: «Es war super. Ich war froh, dass ich aus Davos wegkonnte. Ich durfte ja nie spielen. Und plötzlich erlebte ich so viele Eindrücke.»
Schwendener freut sich auf Neues. Er wechselt zum SCB. In jenem Jahr, nach dem die Ära Marco Bührer endet. Doch in Bern hat er zu kämpfen mit sich. Der Druck und die Erwartungshaltung bei einem Grossklub machen ihm zu schaffen. «Mental war das schwierig. Ich wurde nie richtig an die grosse Bühne herangeführt.» Weil Bührer nicht mehr und Schwendener noch nicht reicht, wird Bern mit dem Tschechen Jakub Stepanek Meister.
Darum verpflichtet der SCB 2016 einen neuen Schlussmann: Genoni. Er ruft Schwendener damals sogar an, um sich zu entschuldigen. Doch dieser hadert nicht. «Natürlich hätte ich gerne mal Hunderttausende verdient und wäre gerne ein Superstar geworden wie er. Spielerisch war das Pech für mich, aber ich habe vom Besten gelernt.» Nach einer Saison bei den SCRJ Lakers findet Schwendener in der Swiss League bei Thurgau endlich Ruhe. Doch die hält nicht lange.
Tauber Kater Bruno ins Herz geschlossen
Bevor er weitererzählt und weil sich die Kälte langsam in die Glieder schleicht, ist es Zeit, um sich in einem von Schwendeners Lieblingscafés aufzuwärmen. Doch davor muss ein kurzer Abstecher in seine Zweizimmerwohnung sein. Der Grund dafür hat pechschwarzes Fell und grüne Augen: Seit einer Woche ist Kater Bruno der neue Mitbewohner. «Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu lange weg bin.» Als der Bündner die Türe öffnet, kommt ihm der 15-monatige Vierbeiner aber nicht sofort entgegen. «Bruno hat noch nicht gehört, dass wir heimgekommen sind. Er ist taub», erklärt Schwendener.
Zusammengeführt hat sie laut ihm das Schicksal bei einem Fotoshooting für eine Charity-Aktion. Die Dresden-Spieler posieren für einen Kalender mit Heim-Hunden, die noch zu vermitteln sind. Da sieht Schwendener die Ausschreibung, dass auch Kater Bruno ein neues Zuhause sucht. Der Single liebt Katzen. «Wie Brunos Charakter beschrieben wurde, war so herzerwärmend.» Und dass Bruno taub ist, passt auch. «Wenn ich Gitarre spiele, stört ihn das überhaupt nicht.» Der Goalie ist Hobby-Gitarrist, besitzt vier E-Gitarren. Als er den Kater unter seinem Bett findet, kommt er sofort hervor und folgt seinem neuen Besitzer aufs gemütliche Sofa zum Kuscheln. Schwendener verzichtet über diese Festtage extra auf einen Christbaum, damit der junge Kater kein Chaos anrichtet. «Bruno hat bei mir ein Herrenleben», lächelt er.
Mit dem Thurgau-Trainer verkracht
Bei Thurgau allerdings ist Schwendener damals das Lachen vergangen, er muss den Klub nach drei Saisons und trotz weiterlaufendem Vertrag verlassen. Im ersten Jahr ist noch alles super, dann verkracht er sich mit Trainer Stefan Mair (It). «Wir hatten viele Meinungsverschiedenheiten und schrien uns irgendwann nur noch an.» Er sei halt kein Einfacher, sagt der Bündner. Doch das stimmt so nicht. In den stundenlangen Gesprächen mit SonntagsBlick wird schnell klar: Schwendener trägt sein Herz auf der Zunge. Er sagt, was er denkt. Aber auf keine böse oder gar arrogante Art. Sondern mit einer sympathischen Offenheit und Ehrlichkeit. Auch dann, wenn ihm etwas nicht passt.
In Dresden aber, da passt alles für ihn. Bei den Eislöwen ist er nach einer DEL-Saison bei Iserlohn gelandet. Und in unserem Nachbarland, weil er dank seiner in Deutschland geborenen Mutter Susanne den deutschen Pass beantragt hat. «Er kostete 90 Franken und nach zwei Wochen hielt ich ihn in der Hand.» Diese Idee inmitten der Perspektivlosigkeit in der Schweiz öffnet Schwendener die Türe zum neuen Hockey-Glück. «Er ist der Fan-Liebling der ersten Stunde», versichert Konrad Augustin, Pressechef der Eislöwen.
Der Bündner redet sich mit seiner offenen und bodenständigen Art in die Herzen der Fans, als er in einem Podcast seine Liebe zu Kaffee und Kuchen offenbart. Seither bekommt er immer mal wieder die lokale Kuchen-Spezialität Eierschecke geschenkt. Im «Wilma Wunder» bestellt er zum Kafi nun aber lieber Rüeblitorte.
Und auch sportlich läufts – weil er sich bei Dresden wohlfühlt und das Vertrauen bekommt. Letzte Saison wird er als «Goalie des Jahres» ausgezeichnet. Der engagierte Schwendener ist der Rückhalt der jungen Mannschaft. «Diese Truppe ist so motiviert, wir haben täglich Spass.» Und er auch wieder am Hockey. Diese Lockerheit bringt bei Schwendener jene Top-Leistung hervor, die ihm früher durch die Verkrampftheit verwehrt geblieben ist. «Ich freue mich auf jedes Spiel, das hatte ich mein ganzes Leben nie.»