Zusammen sind sie 105 Jahre alt: Mike Tyson (54) und Roy Jones Jr. (51). Zwei ehemalige Weltmeister im Schwergewicht, zwei frühere Weltklasse-Boxer, zwei Grosse ihres Fachs. Sie steigen in der Nacht auf Sonntag in Los Angeles (USA) gegeneinander in den Ring. Was zu aktiven Zeiten ein spektakulärer Fight hätte werden können, wird 2020 zum überflüssigsten Boxkampf seit langem.
Denn das, was die beiden Kontrahenten aufführen, hat mit Boxen wenig zu tun. Das zeigt ein Blick in die Regeln: Mit Zwölf-Unzen-Handschuhen, die grösser und weniger hart sind als üblich, hauen sie aufeinander ein. Die sowieso nur acht Runden werden von drei auf zwei Minuten verkürzt.
Einen K.o. soll es nicht geben, bei einem Cut wird der Fight abgebrochen. Er wolle maximal ein «hartes Sparring», sagt Andy Foster, der bei der California State Athletic Commission für den Kampf verantwortlich ist.
Boxen schon für Junge ungesund
Er hat sich schwergetan damit, den Kampf zuzulassen. Boxen ist schon für junge Menschen auf dem Zenit ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit ungesund. Für zwei Fünfzigjährige sind acht Runden eine miserable Idee. Es gibt unter Boxern ein Bonmot, ebenso beliebt wie wahr: «Fussball kann man spielen. Boxen nicht.». Foster sagt: «Wir können dem Volk nicht vormachen, dass das ein echter Kampf wird. Es wird wie ein Boxkampf aussehen – aber ich will nicht, dass sich jemand verletzt.»
Ein «trauriges» Spektakel erwartet darum auch der britische Promoter Frank Warren. Dessen berühmtester Fighter ist der englische Schwergewichtsweltmeister Tyson Fury (32). Fury trägt seinen Vornamen wegen «Iron Mike». Im August 1988 drei Monate zu früh auf die Welt gekommen, zeigte Baby Fury so viel Kampfgeist, dass ihn sein Vater John nach Mike Tyson benannte. Der war damals ungeschlagener Schwergewichtsweltmeister und sorgte mit seinem ultra-aggressiven Boxstil für Angst und Schrecken bei seinen Gegnern und für Begeisterungsstürme bei den Fans.
Sensationelle Niederlage 1990
Kurz darauf begann sein Abstieg. 1990 verlor Tyson im Ring sensationell gegen Buster Douglas. Ausserhalb machte er unrühmliche Schlagzeilen: Drogen, Alkohol, Partys, Trittbrettfahrer und falsche Freunde setzten ihm zu. 1991 wurde er wegen Vergewaltigung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Später folgte der Ohrbiss-Skandal gegen Evander Holyfield. Tyson verkam sportlich zum Abziehbild seiner selbst.
Eigentlich sah es zuletzt danach aus, als ob er sein Leben wieder im Griff hätte. Der New Yorker schien mit Jugendfreundin Kiki in einer Villa in der Nähe von Las Vegas im dritten Ehe-Anlauf endlich sein privates Glück gefunden zu haben. Als bereitwilliger Anekdotenerzähler mauserte er sich wieder zu einem Aushängeschild seines Sports, im Komödienhit «The Hangover» spielte er voller Selbstironie sich selbst.
Als Cannabis-Unternehmer schien er auch finanziell wieder auf die Beine gekommen zu sein – und konnte sich erst noch den ganzen Tag mit Marihuana, seiner neuen Leidenschaft, beschäftigen. Tyson hatte sich befreit, so schien es.
Jetzt sind die Trittbrettfahrer wieder da. Alle wollen mit ihm Geld machen.
50 Millionen Franken für Live-Stream
Die Social-Video-App «Triller», deren Name vermutlich nicht umsonst wie eine Mischung aus TikTok, Tinder und Twitter klingt, aber nicht nach einer originellen eigenen Idee, soll gegen 50 Millionen Franken gezahlt haben, um den Kampf der Fünfzigjährigen live streamen zu dürfen. Der Weltverband WBC hat nach anfänglichem Sträuben schliesslich doch einen Gürtel für den Fight herstellen lassen.
Einen «Kampf für die Geschichtsbücher» verspricht der britische Pay-TV-Kanal BT Sport, der das Duell in der Nacht auf Sonntag überträgt. Wahrscheinlich erfüllt sich die vollmundige PR-Ankündigung für einmal.
Der Kampf Tyson vs. Jones Jr. wird historisch sein, historisch mies. Auch wenn alle hoffen, in Iron Mikes Auftritt noch einmal Spurenelemente des «Baddest Man on the Planet» zu sehen.