BLICK: Andranik Hakobyan, Ihr Europameister-Kampf gegen den Spanier Sergio Garcia platzt, weil Sie sich im Training an der Schulter verletzt haben. Wie geht es Ihnen?
Hakobyan (31): Besser als am Montag, als klar war, dass ich den Fight absagen muss. Aber es geht mir nicht gut. Es ist eine Scheiss-Situation. Ich versuche, das Positive zu sehen und nach vorne zu schauen. Aber das ist nicht einfach.
Der Titel-Fight war die Chance Ihres Lebens. Sie waren der grosse Aussenseiter. Aber mit einem Sieg…
Ich weiss nicht, ob ich noch einmal eine solche Chance kriege. Die Rahmenbedingungen waren für mich ideal: Es hätte keine Zuschauer gehabt, Garcias Heimvorteil wäre darum kein Thema gewesen, die Punktrichter weniger leicht beeinflussbar. Und Garcia hatte wegen Corona sicher auch keine einfache Vorbereitung.
Hätten Sie ihn denn geschlagen?
Das kann man nie sagen. Aber ganz ehrlich: Er ist kein unbesiegbarer Boxer. Ich respektiere ihn, er kann über die volle Titelfight-Distanz von 12 Runden gehen, aber er ist boxerisch nicht besser als ich. An einem guten Tag hätte ich ihn besiegen können, zumal ich glaube, dass er mich ein bisschen unterschätzt hat. Und ich wollte meine Chance packen. Ich werde nicht jünger.
Sie sind 31, als Box-Profi läuft Ihnen die Zeit davon. Hätten Sie trotz Verletzung nicht einfach in den Ring steigen und alles versuchen sollen?
Keine Chance! Ich kann meinen linken Arm im Moment nicht gebrauchen, geschweige denn, damit boxen. Ich habe es am Wochenende mit Schmerztabletten versucht, mit Spritzen. Aber das hilft alles nicht, sagen die Ärzte. Ich muss jetzt sicher einen Monat pausieren. 95 Prozent der Boxer wären angetreten, hätten in der 2. Runde gesagt: «Die Schulter tut mir weh», hätten aufgegeben und das Geld kassiert. Aber das mache ich nicht. Ich will mich nicht unter Wert verkaufen. Lieber hungere ich zwei Monate.
Bekommen Sie wenigstens einen Teil der Antrittsgage für den EM-Kampf?Keinen Rappen. Die hätte ich nur bekommen, wenn ich geboxt hätte. Und jetzt versuchen die Organisatoren gerade, mir auch noch die Kosten für Hotel und Flüge aufzudrücken. Weil ich ja am Samstag nicht boxe.
Wie viel Geld verlieren Sie?
Die Gage. Und ich hatte in den fünf Wochen, in denen ich mich im «MTK Global»-Gym in Marbella auf den Kampf vorbereitet habe, auch kein Einkommen, weil ich mein Box-Gym in Baden geschlossen habe. Das macht einen guten fünfstelligen Betrag.
Sie konnten Ihre goldene Chance nicht nutzen, haben sogar noch finanziell Minus gemacht. War es das mit Ihrer Profi-Karriere?
Ich hoffe nicht. Ich will jetzt gesund werden und dann hoffe ich, dass ich noch einmal eine Chance bekomme. Die Geschichte von Kubrat Pulev, der am Wochenende gegen Anthony Joshua um die Schwergewichts-WM geboxt hat, macht mir Mut. Der musste vor drei Jahren schon mal einen Kampf gegen Joshua platzen lassen – auch wegen einer Schulterverletzung. Und jetzt hat er sich mit 39 Jahren noch einmal zurückgekämpft. Ich versuche mich an solchen Dingen festzuhalten. Vielleicht hat die Ärztin, die mich im Spital untersucht hat, ja recht.
Was hat sie gesagt?
«Vielleicht wollte dich Gott vor einer noch schwereren Verletzung schützen.» Kann ja sein.