Wegen Maturitätsreform
Aus für Russischunterricht?

Russischlehrerinnen und -lehrer kämpfen um die Zukunft ihres Fachs an Schweizer Gymnasien. Die geplante Streichung in einigen Kantonen stösst auf Unverständnis und Widerstand.
Publiziert: 17.12.2024 um 13:43 Uhr
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Aktualisiert: 17.12.2024 um 13:44 Uhr
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Thomas Schmidt, Präsident des Vereins der Russischlehrerinnen und -lehrer der Schweiz, sorgt sich um sein Fach.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Maturitätsreform soll Vergleichbarkeit der Maturitätszeugnisse in der Schweiz verbessern
  • Russisch als Schwerpunktfach könnte in mehreren Kantonen gestrichen werden
  • Aktuell belegen 212 Schüler Russisch als Schwerpunktfach an sieben Gymnasien
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Sara BelgeriRedaktorin

Thomas Schmidt macht sich Sorgen. Der frisch pensionierte Gymnasiallehrer hat 35 Jahre lang Russisch an der Kantonsschule Enge in Zürich unterrichtet. Seit 30 Jahren ist er Präsident des Vereins der Russischlehrerinnen und Russischlehrer der Schweiz (Vrus). «Es geht um unsere Existenz», sagt Schmidt. 

Damit meint er die Existenz des Fachs Russisch. Und die der Lehrpersonen, die die Sprache unterrichten. Denn: Das Schwerpunktfach Russisch könnte vielerorts bald Geschichte sein. Mehrere Kantone befinden sich nämlich gerade in der heissen Phase bei der Umsetzung der Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität (WEGM).

Letzte Reform 30 Jahre her

Die letzte Maturitätsreform datiert von 1995. Dass die Zeit reif ist für eine Veränderung, ist grösstenteils unumstritten. «Die Akzeptanz bei den Lehrpersonen ist insgesamt ziemlich hoch, ebenso das Grundverständnis dafür, dass eine Reform nach 30 Jahren nun notwendig und sinnvoll ist», sagt Lucius Hartmann, der Präsident des Vereins der Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer (VSG).

Die Reform wurde 2018 von Bund und Kantonen angestossen. Diesen Sommer traten die neue Maturitätsordnung und der neue Rahmenlehrplan in Kraft. Deren Ziel: die Vergleichbarkeit der Maturitätszeugnisse in der ganzen Schweiz. So soll das Gymnasium überall mindestens vier Jahre dauern. Neu ist auch, dass es keinen Katalog für Schwerpunktfächer mehr gibt. Die Kantone dürfen diese künftig selber festlegen. Das führt dazu, dass in einigen Kantonen Schwerpunktfächer gestrichen oder gekürzt werden. Darunter sind vor allem Sprachfächer, neben Russisch etwa auch Griechisch.

Russisch wird zu wenig belegt

Momentan belegen 212 Schülerinnen und Schüler Russisch als Schwerpunktfach, verteilt auf sieben Gymnasien. An den Kantonsschulen Trogen AR und Kreuzlingen TG soll das Angebot bestehen bleiben. In den Kantonen Baselland und Zürich dürfte Russisch jedoch bald nicht mehr als Schwerpunktfach belegt werden können – zumindest, wenn es nach den vorberatenden Kommissionen geht. In Zürich soll die Reform 2029 in Kraft treten, in Baselland 2027. Bei der Fachschaft lösen die Kürzungspläne Unverständnis aus. Auf eine Streichung war man nicht vorbereitet, die Belegungszahlen seien über die Jahre konstant geblieben.

In beiden Kantonen begründet man die Streichung jedoch damit, dass Russisch zu selten gewählt würde. Vonseiten des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Zürich heisst es, dass das Angebot einer Sprache als Schwerpunktfach «erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen» erfordern würde. Russisch könne künftig als Ergänzungsfach angeboten werden. Ob mit der Reform Sparmassnahmen umgesetzt würden, kommentiert das Amt nicht. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren dementiert, dass die Streichung von Schwerpunktfächern mit Sparmassnahmen zusammenhängt, und verweist darauf, dass die Ausgestaltung des Fächerkatalogs den Kantonen obliege.

Auch Universitäten betroffen

Russistinnen und Russisten mussten lange um ihren Platz im Schweizer Bildungssystem kämpfen. Erst mit der letzten Maturitätsreform erhielt Russisch den Status eines Schwerpunktfachs. Schon 2013 kam es unter den Sparhammer, als der Kanton Bern entschied, das Schwerpunktfach Russisch aus Spargründen zu sistieren.

Und jetzt soll es also wieder gestrichen werden. Davon wären nicht nur die Gymnasien betroffen. «Dies wäre auch für die Hochschulen ein Rückschritt», argumentiert Thomas Schmidt vom Vrus. Die Schweizerische Akademische Gesellschaft für Osteuropastudien appelliert in einem Brief an das Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Zürich, dass ein «breit verankerter Russischunterricht auf der Gymnasialstufe» für die universitären Fächer Slavistik und Osteuropageschichte von «enormer Wichtigkeit» sei. 

Hinzu kommt die geopolitische Lage: Schmidt findet, dass es vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs nicht schlau wäre, slawische Sprachen gänzlich zu vernachlässigen. Sowieso sei der Schwerpunktfächerkatalog in Zürich sehr westlich ausgerichtet. «Angesichts der politischen Situation wäre es fahrlässig, Osteuropa und weitere Teile der Welt im Hinblick auf die Zukunft auszuklammern.» 

Sowohl in Zürich als auch in Baselland können die Betroffenen nun den zuständigen Projektgruppen Feedback abgeben. «Wir werden uns einbringen», sagt Schmidt. Man sei bereits dabei, Vorschläge auszuarbeiten. 

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