Auf einen Blick
- IOM startet Kampagne gegen Menschenhandel in Nagelstudios
- Viele Nagelstudios locken Arbeiter mit falschen Versprechen
- Opferschutzorganisationen betreuen jährlich rund 500 Betroffene in der Schweiz
Sie schleifen, lackieren und pflegen Fingernägel. Oft mehr als zwölf Stunden am Tag – und ohne faire Bezahlung. Beim Thema Menschenhandel denkt man eher nicht an Nagelstudios. Doch für viele Menschen aus dem asiatischen Raum, besonders Vietnamesinnen, ist das bittere Realität: Angelockt durch falsche Versprechen, werden sie Opfer von Menschenhandel.
Um auf die Ausbeutung in Nagelstudios aufmerksam zu machen, lanciert die Internationale Organisation für Migration (IOM) am 18. Oktober, dem europäischen Tag gegen Menschenhandel, eine Kampagne. Fabienne Gaspar-Reber (34), Beauftragte für die Bekämpfung von Menschenhandel bei der auf Migration spezialisierten Organisation der Vereinten Nationen: «Während früher primär die sexuelle Ausbeutung im Fokus der Behörden stand, ist das Bewusstsein gewachsen, dass auch andere Arbeitssektoren betroffen sind.»
Billignagelstudios boomten, und Kunden seien sich oft gar nicht bewusst, unter welchen Bedingungen dort gearbeitet werde, sagt Gaspar-Reber. «Die Branche ist kaum reguliert und Lohndumping weit verbreitet.» Nageldesignerinnen seien besonders von ausbeuterischen Machenschaften gefährdet.
Betroffene wenden sich selten an die Polizei
Menschenhandel ist ein sogenanntes Holdelikt: Nur wer aktiv nach ihnen sucht, findet die Opfer. Betroffene wenden sich nur selten an die Polizei und wissen häufig gar nicht, dass sie ausgebeutet werden. Schutzorganisationen betreuen in der Schweiz jedes Jahr rund 500 Ausgebeutete. Doch die Dunkelziffer ist gross.
Alexander Ott (61), Menschenhandelsexperte und Polizeiinspektor in Bern, befasst sich seit Jahren mit den Arbeitsbedingungen in Nagelstudios. Er sagt: «Bei mehreren Kontrollen haben wir festgestellt, dass Ausweispapiere und Verträge gefälscht sind.»
Betroffene werden in ihrem Heimatland angeworben und in die Schweiz geschleust. Manche kommen aber auf eigene Faust hierher – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. In Nagelstudios müssen sie dann unter äusserst prekären Bedingungen schuften. Ohne eine Möglichkeit, sich aus der Situation zu befreien. In einem Fall, der sich Anfang Jahr in Bern ereignete, lebten laut Ott 12 bis 15 Angestellte in einer winzigen Wohnung, völlig von der Aussenwelt abgeschottet: «Sie wussten nicht einmal, ob sie in der Schweiz oder in Belgien waren.»
Um dagegen anzukämpfen, müssten die Behörden koordinierte und engmaschige Kontrollen in den Betrieben durchführen. Ott rät: «Am besten Billignagelstudios meiden – und hoffen, dass sie daraufhin schliessen.» Denn tiefe Preise, gestresste Angestellte und Überwachungskameras deuten meist auf Ausbeutung hin.