Klimaexpertin Rachel Kyte sagt, was beim Gipfel in Glasgow auf dem Spiel steht
«Die Dinge könnten ausser Kontrolle geraten»

Heute beginnt in Glasgow der Uno- Klimagipfel. Dekanin und Klimaexpertin Rachel Kyte erklärt, was auf dem Spiel steht – und fordert ein Ende der Subventionen für fossile Energien.
Publiziert: 31.10.2021 um 18:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2021 um 10:01 Uhr
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Klimaexpertin Rachel Kyte, Dekanin der Fletcher School an der amerikanischen Elite-Uni Tufts, spricht Klartext.
Foto: Getty Images
Interview: Camilla Alabor

Frau Kyte, worum drehen sich die Verhandlungen an der Klimakonferenz in Glasgow?
Rachel Kyte: An der Konferenz in Paris vor sechs Jahren haben sich die Länder auf das «Was» der Klimapolitik geeinigt: eine Begrenzung der Erwärmung auf unter zwei Grad. Die Wissenschaft hat später präzisiert, dass die Erwärmung 1,5 Grad nicht überschreiten sollte. In Glasgow geht es darum, wie wir dieses Ziel erreichen. Es ist das erste Mal seit Paris, dass sich die Länder rechtfertigen müssen. Das ist ein Meilenstein der internationalen Klimapolitik. Aber leider sind wir nicht auf Kurs, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Ist den Staatsoberhäuptern nicht bewusst, dass der Klimawandel längst da ist?
Doch, ich denke schon. Aber sie haben noch nicht begriffen, wie dringend wir handeln müssen. Wenn wir sehen, wie Politiker über diese Krise sprechen, wo die öffentlichen Gelder hinfliessen oder wo die Prioritäten bei den Investitionen liegen – dann sehen wir, dass das nicht ausreicht.

Aber der Wandel hin zu einer Wirtschaft, die nicht länger auf fossilen Energien beruht, ist doch in vollem Gange?
Ja. Aber der Umfang und die Geschwindigkeit dieses Wandels sind nicht da, wo sie sein müssten.

Viele Länder haben kürzlich ihre Klimaziele veröffentlicht. Neuste Berechnungen der Uno zeigen, dass daraus eine Erwärmung von 2,7 Grad resultiert. Was bedeutet das konkret?
Laut Wissenschaftlern führt eine solche Erwärmung zu mehr Extremen: mehr Hitzewellen, mehr Trockenheit, mehr Intensivniederschläge. Das hat schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, auf Ernten oder auf Menschen, die in Städten wohnen, wo es kaum Kühlung oder Schatten gibt. In der Arktis und Antarktis kommt es zu drastischen Veränderungen, zudem reduziert die Erwärmung die Fähigkeit der Natur, CO2 zu binden. Kurz: Ein solches Szenario führt zu einer Belastung des Planeten; die Dinge könnten ausser Kontrolle geraten.

Damit wir eine Chance haben, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten wir die CO2-Emissionen in den nächsten acht Jahren halbieren. Wie kann das klappen?
Wir müssen aufhören, fossile Energien mit elf Millionen Dollar pro Minute zu subventionieren, wie das gemäss Internationalem Währungsfonds heute der Fall ist. Wir müssen aus der Kohleverbrennung aus- und auf erneuerbare Energien umsteigen. Wir brauchen ein Transportsystem, das keine Emissionen produziert. Und wir müssen uns fragen, wie wir diesen Wandel fair gestalten.

Wie meinen Sie das?
Die Industriestaaten müssen den Entwicklungsländern unter die Arme greifen, sonst kann es nicht funktionieren. Wir müssen ihnen beim Kohleausstieg helfen und dabei, eine grüne Wirtschaft aufzubauen. Zudem sind die ärmsten Länder am verwundbarsten, wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels geht. Dabei sind es nicht sie, die diese Krise verursacht haben.

Die Industriestaaten hatten versprochen, die ärmeren Länder im Kampf gegen den Klimawandel bis 2020 mit 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu unterstützen. Es blieb beim Vorsatz.
Dieses Versprechen war ein Test, wie solidarisch sich die entwickelten Länder zeigen werden – sie haben ihn nicht bestanden. Die gute Nachricht ist, dass Kanada und Deutschland auf Bitte des Gastgebers Grossbritannien einen Plan ausgearbeitet haben, wie sich diese Verpflichtung im Jahr 2023 erfüllen lässt, und wie in den zwei Jahren danach derselbe Betrag nochmals zustande kommen soll.

Wie optimistisch sind Sie, dass das Geld in zwei Jahren tatsächlich zusammenkommt?

Ich glaube, das Verständnis dafür, dass der Klimawandel ein Risiko darstellt, wächst. Nicht nur in den Regierungen, auch auf den Finanzmärkten. Aber in Verhandlungen ist entscheidend, dass Versprechen gehalten werden. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Deal erfüllt – und verbessert – wird.

Noch keine Regelung gibt es beim Emissionshandel: Dass also Firmen von Ländern Rechte für CO2-Emissionen kaufen und verkaufen können.
Das ist ein absolut zentraler Punkt. Dabei geht es darum, dass Entwicklungsländer Ressourcen – wie zum Beispiel Regenwälder – haben, für deren Schutz sie Unterstützung brauchen. Diese Ressourcen müssen ein Preisschild erhalten, denn sie haben einen Wert. Damit könnten die Wälder für diese Länder zu Einkommensquellen werden.

Wie das?
Wenn eine Firma auf ihrem Weg Richtung netto null weiterhin gewisse Emissionen ausstösst, die sich nicht vermeiden lassen, soll sie auf dem Markt Zertifikate kaufen können, um die weiterhin anfallenden Emissionen zu kompensieren. Entscheidend wird dabei sein, dass der Markt auf Transparenz und Integrität basiert: dass eine Firma nicht etwa Emissionsrechte kauft, um einen Wald in Sibirien zu schützen – und der Wald in Tat und Wahrheit abbrennt. Ziehen wir es hingegen richtig auf, kann der Emissionshandel helfen, den Wandel Richtung netto null voranzutreiben.

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