Herr Carigiet, die Spitäler stellen sich gegen die Pflege-Initiative. Sie befürchten eine Kostenexplosion. Als ehemaliger Direktor des Zürcher Triemli-Spitals dürften Sie diese Haltung teilen.
Erwin Carigiet: Im Gegenteil, ich hege grosse Sympathie für die Vorlage. Viele Spitäler werden heute wie Banken geführt und stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Sie schauen nur noch auf die Kostenseite. So besteht die Gefahr, dass Patienten entlassen werden, die noch nicht wieder gesund sind, nur weil die entsprechende Fallpauschale keine längere Behandlung zulässt.
Etwas mehr Effizienz in den Spitälern kann bei steigenden Gesundheitskosten wohl nicht schaden.
Mit der Einführung der Fallpauschalen hat die Orientierung an wirtschaftlichen Zielen weiter zugenommen. Dies war einerseits nötig, hat sich andererseits jedoch zum Teil negativ auf die Patientenversorgung und auf den Arbeitsalltag der Ärzte aber auch der Pflegefachkräfte ausgewirkt. Kommt hinzu: Die Pflege wird in den Fallpauschalen zu wenig, ja fast gar nicht abgebildet. Sie braucht Zeit und ja, sie kostet.
Kassen und Spitäler befürchten dadurch eine Mengenausweitung.
Ein Schreckgespenst, das Krankenversicherer und andere immer wieder an die Wand malen. Es wird leider nur von den Kosten geredet, die eine bessere Personaldotation bedeutet. Was damit jedoch an Kosten gespart wird, zum Beispiel mit der Verhinderung von Wiedereintritten in Spitäler wegen zu frühen Entlassungen oder durch die Vermeidung von Fehlern wird verschwiegen.
Der Gegenvorschlag sieht eine Ausbildungsoffensive in der Höhe von einer Milliarden Franken vor – griffig und schnell umsetzbar, wie Bundesrat und Parlament argumentieren. Reicht das nicht?
Nein. Was bringt diese sogenannte Ausbildungsoffensive, wenn die Leute gleich wieder aussteigen? Würde der Gegenvorschlag angenommen, käme es einmal mehr zu einem föderalistischen Durcheinander. Die Kantone wäre für die Ausschüttung der Ausbildungs-Milliarden zuständig. Gesundheit aber sollte nicht allein auf Stufe Kanton verhandelt werden – es ist eine nationale Angelegenheit.
Was muss sich am Berufsbild der Pflege genau ändern?
Wir vergessen oft, dass die Pflege nicht mehr jener Hilfsberuf aus einer graue Vorzeit ist, als man Pflegefachfrauen noch Krankenschwestern nannte. Heute trägt das Personal eine grosse Verantwortung. Medizin ist Teamwork und hier spielen die Pflegenden eine unverzichtbar wichtige Rolle. Es braucht verbindliche und verbesserte Arbeitsbedingungen.
Erwin Carigiet (66) war bis 2017 während fast zehn Jahren Direktor des Zürcher Triemlispitals. Zwischen 1995 und 2008 war der promovierte Jurist Departementssekretär des Gesundheitsressorts der Stadt Zürich. 2001 publizierte Carigiet das Buch «Gesellschaftliche Solidarität».
Erwin Carigiet (66) war bis 2017 während fast zehn Jahren Direktor des Zürcher Triemlispitals. Zwischen 1995 und 2008 war der promovierte Jurist Departementssekretär des Gesundheitsressorts der Stadt Zürich. 2001 publizierte Carigiet das Buch «Gesellschaftliche Solidarität».
Konkret?
Gutes Management und gute Schichtplanung. Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Anständige Löhne. Einen definierten Pflegeschlüssel, der für alle Einrichtungen gilt.
Also wie viele Patienten eine Pflegekraft parallel zu betreuen hat.
In gewissen Einrichtungen ist das Personal ganz klar unterdotiert und kann die geforderte Qualität nicht mehr liefern. Wenn zum Beispiel infolge Überlastung Fehler bei der Medikation passieren, kann es sogar sehr gefährlich werden.
Genau das haben uns Fachkräfte erzählt.
Nicht jedes Spital und jede Pflegeeinrichtung liefert den gleichen Service. Vieles ist auch abhängig von einem umsichtigen Management. Es ist nicht so, dass Patienten wegen falscher Medikation am Laufmeter sterben. Doch je mehr das Personal ausgelaugt wird, desto mehr Fehler passieren. Und das wiederum verursacht Mehrkosten.
Über 85 Prozent der Pflegefachkräfte sind Frauen. Was dürfen sie sich bei Annahmen der Initative erhoffen?
Viele Frauen arbeiten in kleineren Teilzeitpensen, die kaum zum Leben reichen. Mit höheren Löhnen, nicht nur bei den Diplomierten, sondern auch bei den Einsteigerinnen kann hier gegengesteuert werden. Aber ebenso wichtig sind erträgliche Arbeitsbedingungen und nicht dauernd Überstunden und ungeplante Wochenendarbeit mit sich bringen. In diesem Sinne fördert die Initiative die Gleichstellung von Mann und Frau. Wäre die Pflege ein Männerberuf, wäre dies bestimmt schon lange passiert.