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Philosoph Ludwig Hasler (75):«Wir Alten können uns selber helfen»

Die Generationensolidarität bröckelt
Senioren, wir brauchen euch!

Sie wurden in der Risikogruppe versorgt, isoliert, beschimpft, und jetzt sollen die Senioren auch noch an die Corona-Krise zahlen. Es tobt ein Generationenkonflikt, der mit der Rentendebatte schon lange schwelt. Was vergessen geht: Senioren sind systemrelevant.
Publiziert: 31.05.2020 um 13:32 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2020 um 14:47 Uhr
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Während des Lockdowns entbrannte ein Generationenkonflikt. Senioren wurden beschimpft, wenn sie einkaufen gingen. Man isolierte sie. Stigmatisierte sie.
Foto: Thomas Meier

Irgendwann während der Krise kippte die Stimmung. Es fing ganz nett an, wir gingen auf Distanz zu anderen Menschen, lullten uns in den eigenen vier Wänden ein und waren uns einig: Für die Alten tun wir das gern. Dann polterte ein mehrfacher Verwaltungsrat in der «NZZ», wir hätten den «wirtschaftlichen Suizid» gewählt, um einzelnen Betagten einige Jahre mehr zu schenken. 1,6 Millionen über 65-Jährige wurden kollektiv zur Risikogruppe erklärt. Man isolierte sie in den Altersheimen. Man stigmatisierte sie. In den «CH Media»-Zeitungen forderte ein Chefredaktionsmitglied, dass die AHV-Generation an die Krise mitzahlt. Die «Zeit des Ausgleichs und der Entschädigung» werde kommen – als würde das jüngste Gericht mit den «Alten» abrechnen.

Das mediale Senioren-Bashing spiegelte sich bald im Alltag. Wer über 65 war, traute sich aus Angst vor bösen Blicken kaum noch aus dem Haus. Einige wurden beim Einkaufen sogar beschimpft, auch wenn sie sich an die Abstandsregeln hielten.

Generationenkonflikte gab es schon immer. Zuletzt als Millennials Babyboomer mit «Okay, Boomer» auf ihren Platz verwiesen. Die aktuelle Generationendebatte ist aber ernster, der Ton ist gehässig. Das spürt auch Pro Senectute Schweiz. Direktor Alain Huber (56) sagt: «Wir müssen achtgeben, dass die feinen Risse, die wir zurzeit beobachten, sich nicht zu einem Graben zwischen den Generationen entwickeln.»

Anfang Mai warnte der Schweizerische Seniorenrat in einem offenen Brief an den Bundesrat: Viele über 65-Jährige würden sich «zunehmend aus dem sozialen Leben zurückziehen und vereinsamen». Bei Pro Senectute meldeten sich während der Corona-Zeit 1000 Senioren – viele aus Verunsicherung.

Nächsten Samstag enden auch für die Schweizer Senioren viele Corona-Restriktionen. Das SonntagsBlick Magazin nahm das zum Anlass, um mit Vertretern der älteren Generation, der Altersorganisationen und Forschern die Situation der Schweizer Senioren anzuschauen.

Bea Heim (74) könnte sich eigentlich zurücklehnen, im Dezember gab sie nach 16 Jahren als SP-Nationalrätin den Badge ab. Jetzt ist sie so etwas wie die inoffizielle Pressesprecherin der Rentner, weil sie im Präsidium des Seniorenrats und jenem der Pro Senectute Kanton Solothurn sitzt. Sie sagt: «In dieser Zeit der Verunsicherung sucht man einen Sündenbock.» Dabei habe man gerade jetzt, wo die Grosseltern fehlten, gesehen, dass alle aufeinander angewiesen seien. «Die Anfeindungen sind jenseits», sagt sie.

Gerade hat Pro Senectute Schweiz einen Fernsehspot auf SRF und Blick TV geschaltet – mit über 65-Jährigen beim Heckenschneiden oder Babysitten. Der Slogan dazu: «Das Alter hat viele unverzichtbare Jobs.»

Senioren sind systemrelevant

Diese engagierten Alten gibt es zu Hunderttausenden. Es sind Menschen wie René Jaccard (69) aus Küsnacht ZH. Er ist bei den «Klimagrosseltern Schweiz» aktiv, will etwas bewegen. «Was in der Klimafrage jetzt läuft, ist in der Verantwortung meiner Generation und der nächsten», sagt er.

Oder Hansjürg Sieber (69) aus Bern, der Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit schwierigen Buben im Schulalltag unterstützt. «Ich bin dazu gekommen, weil ich selbst alleinerziehender Vater war.»

René Jaccard, Hansjürg Sieber und Bea Heim sind keine Einzelfälle. Sie stehen für eine Bewegung: Die «Silver Ager» engagieren sich zu Hunderttausenden – unentgeltlich, freiwillig.

Rund acht Milliarden Franken sparen Familien jedes Jahr, weil Grosseltern ihre Enkel hüten. Und jede zehnte Seniorin pflegt ihren Partner, ihre Eltern oder die Schwiegereltern. Ein aktueller Bericht des Bundesamts für Gesundheit BAG zeigt sogar, dass von den über 80-Jährigen jede Zweite zu ihren Liebsten schaut. «Wenn diese Seniorinnen und Senioren diese Arbeit plötzlich nicht mehr machen, könnte die Betreuung von älteren Menschen nicht mehr gewährleistet werden», sagt Pro-Senectute-Direktor Alain Huber. Ähnlich sähe es bei Pro Senectute selbst aus, wenn die Freiwilligen hinwerfen würden – schliesslich engagieren sich hier über 18’000 unentgeltlich.

Hinzu kommen viele andere Vereine, in denen Pensionierte sich selbst helfen. Bei «Senioren für Senioren» unterstützen die Jüngeren die Älteren mit Einkäufen, der Haus- und Gartenarbeit oder leisten ihnen Gesellschaft. Bei der Stiftung Zeitvorsorge haben bis heute sogar 235 helfende Senioren ihre investierten Stunden auf ein persönliches Zeitkonto gutschreiben lassen. Wenn sie später selbst Hilfe brauchen, können sie die Stunden einlösen.

Und zuletzt zeigte die Corona-Krise: Ohne Ärzte und Pflegefachkräfte im Ruhestand wären manche Spitäler und Arztpraxen mit dem anfänglichen Ansturm nicht fertiggeworden.

«Seniorinnen und Senioren sind so systemrelevant wie die Jungen», sagt Bea Heim.

Dass das die Kritiker derzeit nicht sehen, hat mit einem grundsätzlichen Konflikt zu tun, der schon lange schwelt: die Rentendebatte. Der Vorwurf, die Jungen würden für die Alten zahlen.

Die Rentendebatte spaltet die Generationen

Im Winter, als die Jungfreisinnigen ihre Renten-Initiative lanciert haben, sagte Andri Silberschmidt (26) gegenüber BLICK: «Sicher ist das nicht einfach ein Spruch, wenn junge Erwachsene sagen, dass sie von ihrer Altersrente nicht mehr viel sehen werden.»

In den nächsten zehn Jahren werden 1,1 Millionen Babyboomer in Pension gehen, wie die Credit Suisse ausgerechnet hat. Das wird unser Vorsorgesystem in den Kollaps treiben, wenn wir nichts dagegen tun.

Dabei fing alles so gut an. 1985 führten wir schweizweit die berufliche Vorsorge ein und verankerten das Drei-Säulen-Prinzip: AHV, berufliche Vorsorge und selbständiges Sparen. Von da an galt der Generationendeal: Die arbeitende Generation kommt für die Pensionierten auf und profitiert im Alter selbst von den Nachfolgegenerationen. Wegen der Mischung aus staatlich und privatwirtschaftlich organisierter Vorsorge schauten andere Länder lange neidisch auf die Schweiz. Heute kämpfen wir mit dem gleichen Problem wie sie: mit der Überalterung.

In den letzten 20 Jahren sind alle Reformen in der Schweiz gescheitert. Einzig die Zwei-Milliarden-Spritze für die AHV kam letztes Jahr durch. Retten werden wir sie damit aber nicht, wir kaufen uns bloss etwas Zeit. So oder so werden 2045 zwei Erwerbstätige eine AHV-Rente tragen, heute sind es immerhin noch drei Erwerbstätige. Ähnlich dramatisch sieht es in der zweiten Säule aus.

Der Versicherungsökonom Martin Eling (42) beobachtet den Reformstau mit Sorge. «Wenn wir jetzt nicht handeln, besteht die Gefahr, dass die junge Generation aus dem Generationenvertrag aussteigt», sagt er. Er sieht nur eine Lösung: «Der Umwandlungssatz in der zweiten Säule muss nach unten korrigiert und das Rentenalter heraufgesetzt werden.» Ersterer von 6,8 auf höchstens 6 Prozent und Letzteres auf 66 für Frauen und 67 Jahre für Männer.

Oft bleibt die Rentendebatte hier stecken. Dabei müsste man längst grösser denken.

Das Potenzial der fitten Babyboomer nutzen

Noch nie zuvor war eine Senioren-Generation so fit wie die Babyboomer. Ihre Eltern noch rackerten sich ein Leben lang ab und waren auf den Ruhestand angewiesen. Heute kokettieren über 65-Jährige mit der E-Mail-Signatur «Im Unruhestand». Zum ersten Mal haben sie 25 geschenkte Jahre, wie der Philosoph Ludwig Hasler (75) im Interview sagt. Er fordert, dass sie mehr mitwirken, als sie es jetzt tun.

Eine aktuelle Studie von Unternehmensberater Deloitte zeigt: 40 Prozent der älteren Arbeitstätigen wären bereit, länger zu arbeiten. Andere Studien zeigen: Vor allem, wenn die Bedingungen stimmen. Wenn sie gesund sind und einer für sie sinnvollen Arbeit nachgehen können, die ihren Fähigkeiten entspricht und wenn sie Teilzeit arbeiten können.

Der Wille ist da, aber bis heute fehlt es an grossen Würfen für die Arbeit im Alter.

Die Firmen sind auf sich selbst gestellt. Und da hapert es. Martina Zölch (59), Leiterin des Instituts für Personalmanagement und Organisation der Fachhochschule Nordwestschweiz, sagt: «Die meisten Unternehmen kümmern sich wenig um die Karriereplanung von älteren Arbeitnehmern.»

Es gibt Ausnahmen wie die Migros, die vor einigen Jahren die sogenannte Bogenkarriere eingeführt hat: Ältere Mitarbeiter können Verantwortung abgegeben, ihr Pensum reduzieren und so länger im Unternehmen bleiben. Oder der Industriekonzern Bosch. Er hat schon in den Neunzigern einen Expertenpool mit Senioren eingerichtet, die sich für Beratungsmandate anstellen lassen können.

Die Einzelinitiativen schwächen aber den drohenden Fachkräftemangel nicht ab – die Lücke, die die Babyboomer hinterlassen. Und sie ändern auch nichts daran, dass Ältere ein Unternehmen mehr kosten als Jüngere – über 50-Jährige müssen doppelt so lange suchen, wenn sie einmal arbeitslos werden.

Die Personalforscherin Zölch sagt: «Es braucht einen Kulturwandel hin zu mehr Arbeitstätigkeit im Alter.»

In den skandinavischen Ländern hat er schon stattgefunden. In Schweden kann man zwischen 61 und 67 Jahren selbst entscheiden, wann man Rente beziehen will. In Norwegen zwischen 62 bis 75 Jahren.

Mithelfen, den Generationengraben zuzuschütten

Corona könnte nun auch bei uns die Blockade lösen – wegen der bevorstehenden Wirtschaftskrise steigt der Druck auf die Sozialwerke weiter. Vieles ist schon aufgegleist: Gewerkschaften und Arbeitgeberverband haben sich auf eine Reform der zweiten Säule geeinigt – mit einer Senkung des Umwandlungssatzes. Und das Parlament berät demnächst die AHV-Reform 2021, sie sieht ein höheres Rentenalter für Frauen vor, und beide Geschlechter können neu den Rentenbezug bis 70 aufschieben.

Ob dies gelingt, hat die Seniorengeneration selber in der Hand: Sie geht doppelt so häufig wie die Jungen abstimmen und kann so mithelfen, die Risse in der Generationensolidarität zu kitten.

«Corona treibt einen Keil zwischen die Generationen»

Foto: Thomas Meier

Gerhard Gerber (90), Niederdorf BL

«Corona treibt schon in gewisser Weise einen Keil zwischen die Generationen. Die Alten für den Weg aus der Wirtschaftskrise bezahlen zu lassen, finde ich ein zweischneidiges Schwert. Einige Senioren haben genug Geld, andere nicht. Gleich sieht es bei den Jungen aus. Zu pauschalisieren finde ich falsch. Ich beispielsweise bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und habe mein Leben lang mit Tieren gearbeitet. Zuerst auf meinem eigenen Hof, wir hatten 60 Schafe, dann als Tierpfleger beim Pharmaunternehmen Roche. Seit fünf Monaten lebe ich im GRITT Seniorenzentrum, wo auch meine Frau gewohnt hat. Mir gefällt es sehr gut, vor allem das Jassen jeweils am Nachmittag. Ich finde das wichtig, man muss ein bisschen unter die Leute kommen. Meine Leidenschaft war aber jahrelang das Schwingen, acht Kränze konnte ich gewinnen. Ich vermisse es ein wenig. Im Moment fehlt mir aber der persönliche Kontakt zu meiner Familie am meisten. Sonst sehe ich sie sehr oft. Ich hoffe, dass es bald wieder so weit ist. Es gibt schliesslich einen Anlass zum Feiern: Bald kommt mein fünfter Urenkel auf die Welt!»

«Durch Corona tut sich ein Generationengraben auf»

Foto: Thomas Meier

Nathalie Meier* (64), Bremgarten AG

«Vor meiner Pensionierung habe ich als Assistentin des CEOs eines globalen IT-Konzerns gearbeitet. Technische Geräte haben mich schon immer fasziniert. Mir würde es nie in den Sinn kommen, einen Router installieren zu lassen. Das kann ich selbst. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich etwas geschafft habe. Als alleinstehende Frau, die zur Risikogruppe gehört, war ich in den letzten Wochen aber stark auf die Hilfe von Freunden und Nachbarn angewiesen. Dass diese dann tatsächlich so breit angeboten wurde, überwältigte mich. Trotzdem tut sich, meiner Meinung nach, durch Corona ein Generationengraben auf. Persönlich habe ich das glücklicherweise noch nicht zu spüren bekommen. Was ich aber in den Medien lese, macht mir Angst. Als ich den Vorschlag gehört habe, dass Senioren den Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise mitfinanzieren sollen, war ich sprachlos. Die AHV hat ein grundsätzliches Problem, ich habe früher auch für die Älteren gezahlt und verstehe den Unmut der jüngeren Generation sehr gut. Man müsste das ganze Konstrukt erneuern. Vor allem aber können die verschiedenen Generationen doch so viel voneinander lernen. Beispielsweise hat mir eine jüngere Bekannte erklärt, wie man Zoom nutzt, da ich meine Freundinnen während des Lockdowns nicht treffen konnte. Andererseits verfüge ich über mehr Lebenserfahrung als eine 20-Jährige. Wir profitieren gegenseitig voneinander.»

* Name geändert

«Die Enkel nicht mehr zu sehen, war schmerzhaft»

Foto: Thomas Meier

Hansjürg Sieber (69), Bern

«Seniorinnen und Senioren den Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise finanzieren zu lassen, finde ich heikel. Meiner Meinung nach läuft die Solidarität nicht nur über das Portemonnaie. Es ist gefährlich, Generationen gegeneinander auszuspielen. Corona stellt uns alle vor Schwierigkeiten, jeder musste seinen Beitrag leisten. Am schmerzlichsten für mich war es, dass ich meine Enkelkinder in den letzten Wochen nicht sehen konnte. Wir haben ein sehr enges Verhältnis. Ich passe auf sie auf, mache mit ihnen Sport, gehe manchmal mit ihnen in die Ferien. Das erfüllt mich sehr. Im Sommer schwimme ich nach dem Aufstehen jeden Tag einen Kilometer. Zum Glück ist das jetzt wieder möglich. Ich finde es wichtig, dass man auch im Alter noch aktiv ist. Physisch und psychisch. Bis zu meiner Pensionierung habe ich mein Leben lang als Lehrer gearbeitet. Zuerst an der Realschule, dann an der PH. Heute lebe ich alleine in einer kleinen Wohnung in Bern und bin glücklicher Rentner. Ganz von meinem Job verabschieden konnte ich mich noch nicht, ich gebe Seminare und Kurse für Lehrpersonen zum Thema ‹Rollenbilder› und engagiere mich allgemein in der Gleichstellungsthematik.»

«Es braucht Solidarität zwischen den Generationen»

Foto: Nathalie Taiana

René Jaccard (69), Küsnacht ZH

«Aufgewachsen bin ich in Küsnacht in dem Haus, wo ich heute wieder wohne. Anfang zwanzig habe ich mich dann dazu entschieden, denselben Weg wie mein Vater einzuschlagen und Medizin zu studieren. Das Thema Umwelt hat mich schon damals fasziniert, ich habe mich vor allem während und kurz nach dem Studium aktiv dafür engagiert. Durch meinen Job als Hausarzt und Infektiologe mit Gemeinschaftspraxis in Zürich blieb in den letzten Jahren aber wenig Zeit dafür. Als ich dann vor ungefähr vier Jahren pensioniert wurde und eine Enkelin bekommen habe, hat sich meine Perspektive auf die Zukunft verschoben. Es kann doch nicht sein, dass ich einem kleinen Menschenkind, das mir so viel Freude bereitet, eine so grosse Last mitgebe. Was mit dem Klima passiert, ist in der Verantwortung meiner und der nächsten Generation. Die übernächste kann nichts dafür, muss aber damit leben. Darum bin ich seit 2018 Mitglied der ‹Klima-Grosseltern Schweiz›. Es braucht Solidarität zwischen den Generationen.»

«Ich will nicht jammern»

Foto: Thomas Meier

Marie Wyss (88), Oekingen SO

«Ich habe immer gerne gearbeitet. Mein Mann Emil und ich haben uns die Arbeit auf dem Bauernhof aufgeteilt: Er hat jeden Morgen die Kühe gemolken, und ich habe den Stall gemistet und die Kühe gefüttert. Danach gings im Haus weiter. Ich musste vier Kinder versorgen, im eiskalten Brunnen Windeln waschen. Von da kommen wahrscheinlich meine Gichthände. Emil ist jetzt seit sieben Jahren tot. Krebs. Ich denke häufig an ihn, auch wenn wir manchmal zünftig gestritten haben. Aber in welcher Ehe gibts das nicht? Jetzt ist es still im Haus. Aber ich will nicht jammern. Ich bin einigermassen gesund, kann mir im Fernsehen so viele Tennis-Matches und Skirennen ansehen, wie ich will, und habe keine Geldsorgen. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum wir mit unserer AHV an diese Corona-Sache zahlen sollen. Den Jungen geht es so gut. Wenn ich mit meiner Mutter auf den Märit ging, lief mir wegen der Bananen immer das Wasser im Mund zusammen. Das hätten wir uns nie leisten können, aber mir fehlte trotzdem nichts. Deshalb fällt es mir heute wahrscheinlich auch leichter als den Jungen, wenn ich mich wegen Corona einschränken muss.»

«Diese Krise ist eine Chance»

Foto: Tabea Vogel

Eva Häuselmann (64), Thalwil ZH

«Dass mit dem Lockdown allen Grosseltern das Hüten verboten wurde, ärgerte mich. Am Anfang waren die pauschalen Massnahmen zwar noch verständlich, sie störten und stören mich aber immer mehr. Den Generationenfrieden sehe ich nicht gefährdet. Viel eher habe ich das Gefühl, dass, weil wir Gesundheit um jeden Preis wollen, zentrale Themen wie Lebensfreude, Befriedigung bei der Arbeit, sinnvolles Tätigsein ausser Acht gelassen werden. Ich selbst bin seit neun Jahren Inhaberin und Geschäftsführerin eines eigenen Beratungsunternehmens in Thalwil. Hier wohne ich auch mit meinem Mann. Anfang 2020 habe ich mich dazu entschlossen, langsam beruflich kürzertreten zu wollen. Unter anderem auch, um mehr Zeit zu haben für unsere sechs Enkelkinder. Ich freute mich sehr darauf. Die Corona-Pandemie hat mir da vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Trotzdem kann ich auch etwas Positives erkennen: Die Krise ist für mich eine Chance, eine gute Balance zu finden zwischen dem wirtschaftlich Erstrebenswerten und dem für ein glückliches Leben Sinnvollen. Ich finde es spannend, den öffentlichen Diskurs mitzugestalten. Und mich mit den Grosskindern auszutauschen!»

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