Milliardäre finanzieren Forschung
Ewiges Leben – nur für Reiche

Das Altern ist ein gesellschaftliches Paradox: Während Investoren Abermillionen in Jungbrunnen-Forschung investieren, schlägt älteren Menschen ein harscher Wind entgegen.
Publiziert: 01.06.2020 um 17:32 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2020 um 12:11 Uhr
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Vampir-Mythos: Eingespritztes junges Blutplasma soll Leben verlängern.
Foto: imago images
Silvia Tschui

In Corona-Zeiten wurde in gewissen Gesellschaftskreisen eine menschenfeindliche Haltung salonfähig: Alte Menschen sollten doch bitte sterben, damit die Wirtschaft weiter brummen darf, konnte man sinngemäss in diversen Kommentarspalten lesen – genauso wie Stimmen, die sich darüber zutiefst empörten.

Die Frage, zu welchem Preis man Leben verlängern soll oder nicht, treibt aber Ethiker seit längerem um – unsere Realität ist paradox: Zum einen investieren Kapitalgeber wie etwa der schillernde Paypal-Gründer Peter Thiel (52) sehr viel Geld in Forschung, mit der das Altern möglichst aufgehalten, der Tod hinausgezögert werden soll. Das treibt zuweilen seltsame Blüten: So zeigt etwa neuste Forschung, dass, salopp gesagt, am ewigen Leben durch Vampirismus durchaus etwas dran sein könnte. Tony Wyss-Coray (55), Schweizer Forscher an der Stanford-Universität in Kalifornien, hat bereits 2014 in Versuchen mit Mäusen gezeigt, dass das Blutplasma von jungen Mäusen, in altersschwache eingespritzt, zu einer Verjüngung sämtlicher Organfunktionen des alten Tieres führt. Sogar alte Hirne waren wieder lernfähig wie in jungem Alter. Die Weiterführung des Tests: Auch menschliches Blutplasma, in Mäuse eingespritzt, bewirkt diese Verjüngung.

An Menschen soll das genauso wirken. Seit 2018 kann man sich jedenfalls dank des US-Start-ups Ambrosia Blutplasma von 16- bis 25-Jährigen in die Venen jagen lassen, für satte 5500 Dollar pro Liter. Das soll – zumindest gemäss Anbieter – Alzheimer-Erkrankungen, Krebs und chronische Entzündungsprozesse günstig beeinflussen sowie Stammzellen zur vermehrten Produktion von Blutkörperchen anregen.

Auch Harvard-Professor David Sinclair (50) macht mit dem Anti-Alterungsgeschäft gute Kasse. Seine Forschung zeigt, dass gewisse Proteine, die DNA-Schäden reparieren, nicht mehr einwandfrei funktionieren, je älter wir werden. Er vertreibt deshalb Nahrungszusätze, welche diese Proteine, Sirtuine genannt, von aussen zuführen sollen.

Hohe Gesundheitskosten wegen Altersmedizin

Andererseits explodieren die Kosten im Gesundheitswesen. Ein grosser Faktor sind gemäss Bundesamt für Statistik medizinische Kosten am Ende des Lebens: Die Gesundheitskosten der über 65-Jährigen waren im Jahr 2017 rund 300 Millionen Franken höher als die der unter 65-Jährigen. Und jene für über 76-Jährige waren gleich nochmals 500 Millionen Franken höher.

Die Kosten im Gesundheitswesen steigen gemäss der ETH-Konjunkturforschungsstelle (KOF) weiter an: 2021 dürften die Gesundheitsausgaben um 3,6 Prozent zunehmen, prognostizierte die Stelle Ende 2019. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass mehr Menschen immer älter werden. Die finanzielle «Tragbarkeit» eines Gesundheitswesens, welches sich darauf verpflichtet hat, jedes Leben möglichst zu verlängern, steht indes immer öfter zur Diskussion – und ruft Ethiker auf den Plan.

Denn zeitgleich mit den Diskussionen um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens steigt die Zahl der assistierten Suizide. So haben sich etwa gemäss Bundesamt für Statistik von 1999 jährlich immer mehr Menschen von einer Sterbehilfeorganisation wie Exit oder Dignitas in den Tod helfen lassen: Waren es 1999 noch 63 Menschen, so waren es 2017, am Ende der Statistik, bereits 1009. Einige davon stammten aus Deutschland. In Zukunft werden es wohl etwas weniger sein: Ende Februar dieses Jahres hat das deutsche Bundesverfassungsgericht das Gesetz, welches bis anhin Sterbehilfe verboten hat, gekippt. Sehr zum Entsetzen einiger Ethiker.

«Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen», erklärten etwa Heinrich Bedford-Strohm, der Kirchenvertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland, sowie der Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung würden, desto grösser sei diese Gefahr. Dass sie nicht unrecht haben, zeigt ein jüngstes Beispiel: So haben mehrere Covid-19-kranke ältere italienische Priester diesen März auf Beatmungsgeräte verzichtet – zugunsten junger Menschen. Sie galten als Helden.

Wer arm ist, soll bitte sterben

Nun gelten nicht nur die Gesundheitskosten als gesellschaftliches Reizthema, auch die Finanzierbarkeit der Renten ist je länger, je weniger gesichert – dies in einem Arbeitsumfeld, das gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ältere Menschen diskriminiert. Es ist also dringend eine gesellschaftliche Einigung darüber nötig, wie wir mit dem Thema Alter umgehen – der Trend könnte nämlich zu einer fatalen Zweiklassengesellschaft führen: Reiche können sich bereits jetzt teure lebensverlängernde Massnahmen kaufen, während Arme bitte nicht der Gesellschaft zur Last fallen und nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bitte auch freiwillig aus dem Leben ausscheiden sollen.

Das ewige Rennen um das ewige Leben

Die Altersforschung erlebt derzeit einen Urknall: Dank neuer Entdeckungen wollen Wissenschaftler den Tod immer weiter hinauszögern – und ihn sogar besiegen.

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