Heute ist Vatertag. Eine gute Gelegenheit also, um nach dem Befinden der Schweizer Väter zu fragen. Ganz konkret wollte die Stiftung Elternsein wissen, wie die Männer mit den veränderten Erwartungen umgehen, die an sie gestellt werden – von der Gesellschaft und von ihnen selbst.
Tausend Väter in der Schweiz nahmen an der repräsentativen Umfrage teil. Die Ergebnisse zeigen: Papis von heute wollen präsent sein. 70 Prozent von ihnen sagen, dass sie sich für ihre Kinder «immer Zeit nehmen» und eine «innige Beziehung» zu ihnen pflegen. Rolf S.* erzählt: «Vertrauen ist so wichtig. Wenn sie das haben, kommen sie zu dir und erzählen, was sie da draussen so erleben.»
Beziehungsfähigkeit an erster Stelle
Die Väter von heute wünschen sich Töchter und Söhne, die vor allem beziehungsfähig sind. Respekt gegenüber anderen Kindern ist ihr oberstes Erziehungsziel. Wichtig finden sie auch, dass der Nachwuchs lernt zuzuhören.
Gute Schulnoten stehen, wenn man dieser Selbsteinschätzung trauen darf, eher im Hintergrund. Fast die Hälfte der Papis erzieht denn auch «ganz anders», als die eigenen Väter es einst bei ihnen taten. Wirklich verschwunden aber ist der autoritäre Erziehungsstil von anno dazumal nicht: Immerhin 38 Prozent bezeichnen sich als «eher autoritär». Was aber durchaus selbstkritisch gemeint sein könnte.
Das Vater-Ideal habe sich quer durch alle Milieus gewandelt, sagt Markus Theunert, Gesamtleiter des Dachverbandes Schweizer Männer- und Väterorganisationen (männer.ch). Heute strebten Väter eine emotional enge und alltagsnahe Beziehung zu ihren Kindern an: «Eine emotionale Beziehung zum Kind – sich dafür interessieren, wie es ihm geht, was es denkt, wie es empfindet – und nicht ‹nur› spielen, rangeln und raufen, das ist definitiv Teil des neuen Selbstverständnisses.»
15 Stunden pro Woche
Zugleich bringen sich Männer nach eigenen Angaben stärker in die Erziehung ein. Fast zwei Drittel der Befragten sagen, sie teilten sich die Verantwortung dafür mit ihrer Partnerin. Knapp ein Viertel sieht sich gar als hauptverantwortlich. Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) hingegen zeigen, dass die Hauptrolle nach wie vor die Frauen spielen, während Männer die finanzielle Verantwortung tragen. Laut BFS investieren Mütter pro Woche mehr als 22 Stunden in die Betreuung, Männer knapp 15 – Hausarbeit, die durch Kinder anfällt, ist dabei nicht miteingerechnet.
Simona Isler von der feministischen NGO Eidgenössische Kommission dini Mueter: «Ich glaube den Männern, dass sie sich gleichermassen verantwortlich fühlen, wenn sie damit meinen, dass sie für das Kind präsent sind und in Erziehungsfragen mitentscheiden wollen.» Das heisse allerdings nicht, dass die Belastung gleich gross sei wie bei den Müttern, schränkt Isler sogleich ein. «Wer hat den Familienkalender im Griff? Wer backt den Geburikuchen? Wer putzt nach der Feier? Bei den konkreten Tätigkeiten klafft der Graben weiterhin.»
Zwar sagen zwei Drittel der Väter, dass ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gut gelinge. Dies gilt für solche, die Vollzeit arbeiten (62 Prozent sagen, das Verhältnis sei ausgeglichen), wie auch für Teilzeit arbeitende Väter (hier sind es sogar 74 Prozent). Und doch: Jeder Dritte klagt, dass die Zeit mit den Kindern durch den Job zu kurz komme. Gerade Männer mit Vollzeitpensum halten die Familienzeit für knapp. Gemäss Umfrage wünschen sie sich vielfach mehr Zeit mit dem Nachwuchs.
Wirtschaftliches Dilemma
Fabian B.* versucht, das Dilemma auf kreative Weise zu lösen – was ihn nachgerade zur Selbstausbeutung zwingt. Der junge Papi von mehreren Kindern im Kindergarten- und Schulalter erzählt: «Ich gehe früh aus dem Haus und sehe sie den ganzen Tag nicht. Abends bleibt nur wenig Zeit, aber weniger arbeiten ist finanziell einfach keine Option.» In Schweizer Haushalten liegt die finanzielle Hauptverantwortung nach wie vor bei den Vätern. Papis, die wenig oder gar nicht arbeiten, bleiben eine klare Minderheit.
Oft scheitert die partnerschaftliche Aufgabenteilung an politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Modellcharakter hat für die Männer- und Väterorganisationen männer.ch eine Regelung, wie sie für Beschäftigte des Bundes gilt: Sie haben das Recht, ihr Pensum nach der Geburt eines Kindes um 20 Prozent zu reduzieren. Markus Theunert: «Das könnte als Anspruch für alle Beschäftigten verankert werden.»
Knackpunkt sei aber vielfach das Geld, gibt Simona Isler zu bedenken. Tatsächlich arbeiten Frauen häufig im Tieflohnsektor. «Würden Kinderbetreuerinnen gleich viel verdienen wie ein Bank-Abteilungsleiter, hätten Familien Spielraum, Teilzeitmodelle einzuführen, ohne dass es zum Verlustgeschäft wird. Viele können sich das aber heute gar nicht leisten.»
Strukturelle Änderungen nötig
Damit eine gerechte Aufgabenteilung gelingt, brauche es strukturelle Änderungen: moderne Steuergesetze, bezahlbare externe Kinderbetreuung. Vor allem aber, sagt Simona Isler, müsse «der Mutterschutz verlängert und eine Elternzeit eingeführt werden».
Immerhin: Die Zeichen stehen auch in der Politik auf Veränderung. Erst im Herbst 2020 wurde der 14-tägige Vaterschaftsurlaub von der Stimmbevölkerung angenommen. Schon sind weitere Volksbegehren geplant: Seit März läuft die Unterschriftensammlung einer Initiative für die Individualbesteuerung. Diese Massnahme soll verhindern, dass Männer in die Ernährerrolle gedrängt und Frauen aus der Arbeitswelt ausgeschlossen werden. Auch über die Initiative für eine Elternzeit von mindestens 32 Wochen wird nachgedacht – aktuell arbeiten die Initianten noch an ihrem Vorschlag für den Verfassungstext.
Studien wie das Väterbarometer bedeuteten für solche Forderungen Aufwind, glaubt Sophie Achermann, Geschäftsführerin des Frauendachverbands Alliance F: «Es ist schön zu sehen, dass Männer je länger, desto mehr den gesellschaftlichen Wandel mittragen und ein Modell anstreben, bei dem man die unbezahlte Arbeit mehr teilen möchte.»
Anspruchsvoller Vereinbarkeitsspagat
Der Status quo indessen führt häufig bei Müttern wie Vätern zu Stress. «Wie sollen Väter als Haupternährer präsent sein? Dieser Vereinbarkeitsspagat ist extrem anspruchsvoll», so Markus Theunert. «Letztlich erwartet man von ihnen das Unmögliche: dass sie der alten Norm des leistungsstarken Machers entsprechen, der im Job, in der Familie, im Sport und beim Sex die volle Performance erbringt – und gleichzeitig die neue Norm des einfühlsamen, sozial kompetenten und engagierten Vaters erfüllt.» Weil «richtige Männer» alles im Griff haben, versuchten die meisten durchzubeissen – oft auf Kosten der Gesundheit.
Simona Isler sieht es ähnlich: «Diese Zerrissenheit zwischen Job und Betreuungs- sowie Hausarbeit kennen Mütter nur zu gut. Sie haben zudem Einbussen bei Einkommen und Renten, weil sie aktuell mehr Gratisarbeit leisten.»
«Das Schönste und das Schwierigste auf der Welt»
Nicht verwunderlich also, dass sich zwei Drittel der für das Väterbarometer Befragten bereits einmal überfordert gefühlt haben. In der Umfrage gaben 36 Prozent an, sogar schon bereut zu haben, Vater geworden zu sein – ein Gedanke, der allerdings bei den meisten schnell wieder verschwunden war. Ricardo S.*, Vater einer Tochter im Teenager-Alter: «Wenn man vorher schon wüsste, worauf man sich einlässt, würde man es sich vielleicht anders überlegen. Kinder zu haben, ist das Schönste und gleichzeitig das Schwierigste auf der Welt.»
Trotz gelegentlicher Überforderung sucht nur die Hälfte der Väter Hilfe, dies im Internet oder bei Freunden. An eine professionelle Elternberatung wenden sich nur die wenigsten. Das dürfte mit dem schwachen Angebot zu tun haben: Bisher gibt es in der Schweiz nur einen einzigen männlichen Väterberater.
Trotz schwieriger Momente will keiner der Befragten darauf verzichten, Vater zu sein. Glücksmomente gebe es schliesslich immer wieder. Marco R.*: «Es sind die kleinen Dinge. Wenn alle nach einem ereignisreichen Tag wohlbehalten zu Hause angekommen sind und die Kleinen müde ins Bett fallen.»
* Namen geändert. Die Zitate stammen von Umfrageteilnehmern
Aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens gab die Stiftung Elternsein, die auch das Magazin «Fritz+ Fränzi» herausgibt, eine aktuelle Studie in Auftrag. Den Fragenkatalog für das sogenannte Väterbarometer haben die Genderforschenden Diana Baumgarten und Matthias Luterbach ausgearbeitet. Präsidentin der Stiftung ist Ellen Ringier.
Das Meinungsforschungs-Institut Innofact befragte zwischen Ende April und Anfang Mai online 1000 Väter in der Deutschschweiz, die zwischen 18 und 65 Jahre alt sind und Kinder im Alter von bis zu 16 Jahren haben. Die Zitate im Bericht entstammen Gesprächen mit einigen der Teilnehmer.
Thomas Schlickenrieder, Geschäftsführer der Stiftung Elternsein: «Im Laufe der letzten Jahre ist ganz offensichtlich etwas passiert in der Organisation der Familie. Daher wollten wir wissen, wie es den heutigen Vätern geht, was ihre Gedanken sind, ihre Hoffnungen, ihre Sorgen, ihre Freuden, ihre Anliegen.»
Aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens gab die Stiftung Elternsein, die auch das Magazin «Fritz+ Fränzi» herausgibt, eine aktuelle Studie in Auftrag. Den Fragenkatalog für das sogenannte Väterbarometer haben die Genderforschenden Diana Baumgarten und Matthias Luterbach ausgearbeitet. Präsidentin der Stiftung ist Ellen Ringier.
Das Meinungsforschungs-Institut Innofact befragte zwischen Ende April und Anfang Mai online 1000 Väter in der Deutschschweiz, die zwischen 18 und 65 Jahre alt sind und Kinder im Alter von bis zu 16 Jahren haben. Die Zitate im Bericht entstammen Gesprächen mit einigen der Teilnehmer.
Thomas Schlickenrieder, Geschäftsführer der Stiftung Elternsein: «Im Laufe der letzten Jahre ist ganz offensichtlich etwas passiert in der Organisation der Familie. Daher wollten wir wissen, wie es den heutigen Vätern geht, was ihre Gedanken sind, ihre Hoffnungen, ihre Sorgen, ihre Freuden, ihre Anliegen.»