Bund gab grünes Licht
Katar wollte Schweizer Spionage-Technik zur Handy-Überwachung

Eine Appenzeller Firma plante 2014 die Lieferung von Handy-Überwachungsgeräten nach Doha. Der Bund gab grünes Licht. Glaubt man dem Hersteller, wurde die Ware nie geliefert.
Publiziert: 20.11.2022 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 20.11.2022 um 17:42 Uhr
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Das WM-Gastgeberland Katar spioniert und überwacht. Laut geheimen Plänen will das Emirat grossflächig Handys anzapfen.
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Katar will die totale Kontrolle. Wenn der Schiedsrichter heute um 17 Uhr die Fussball-WM anpfeift, soll dem Emirat nichts entgehen. Der Überwachungsapparat der autokratischen Herrscher hat das ganze Land im Blick – und schon im Vorfeld der Fussball-WM Journalisten, Regierungsvertreter und Sportfunktionäre ausspioniert. SonntagsBlick-Recherchen zeigen jetzt: Katar bemühte sich auch um Überwachungstechnik aus der Schweiz. 2014 meldeten sich Vertreter der katarischen Armee bei der Firma Boger Electronics im appenzellischen Gais. Der Wüstenstaat interessierte sich für sogenannte IMSI-Catcher, Hightechgeräte, mit denen Handys geortet, angezapft und abgehört werden können.

Noch im selben Jahr reichte die Herstellerfirma beim Bund ein Gesuch für den Export der Überwachungsgeräte ein. Wert der geplanten Lieferung: sechs Millionen Franken. Ihr Ziel: Doha, die Hauptstadt Katars.

Im November 2014 gab das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) grünes Licht. Offenbar hatten weder das Aussendepartement (EDA) noch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) Einwände. Seco-Sprecher Fabian Maienfisch bestätigt die Exportbewilligung: «Es handelte sich um IMSI-Catcher für die katarische Armee.»

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Spionagefirma für Planung angeheuert

Die geplante Lieferung ist brisant. Vor wenigen Wochen enthüllte die Nachrichtenagentur Associated Press, wie Katar schon früh ein Überwachungssystem für die WM plante. Sämtliche Anrufe im Land sollten genaustens nachverfolgt werden. Entworfen wurde der Plan von der US-Spionagefirma Global Risk Advisors. Ob und wie die Scheichs in Katar das Vorhaben umsetzen, ist nicht klar.

Gemäss einem Dokument der amerikanischen Spionagefirma, das «SRF Investigativ» diese Woche publik machte, hat es das WM-Gastgeberland auf persönliche Smartphone-Daten abgesehen – unter anderem wohl auf diejenigen von Besuchern der Weltmeisterschaft. Das elfseitige Strategiepapier mit dem Titel «Katar befähigen» stammt vom August 2014. Drei Monate später bewilligte der Bund den Export der Schweizer Handy-Überwachungsgeräte.

Die Firmen wissen von nichts

Die beteiligten Unternehmen bestreiten, etwas mit der Repression im Wüstenstaat zu tun zu haben. Global Risk Advisors behauptet, die Dokumente seien gefälscht. Der Geschäftsführer der Appenzeller Firma, Richard Boger, räumt gegenüber SonntagsBlick zwar ein, dass Katar sich für seine IMSI-Catcher interessierte. Geliefert habe man aber nie.

Der Deal sei am Ende nicht zustande gekommen: «Der Bund brauchte lange, um unser Bewilligungsgesuch zu prüfen. In dieser Zeit beschaffte sich Katar die Technik wohl in einem anderen Land.» Überprüfen liess sich diese Aussage nicht. Auch das Seco kann nicht sagen, ob die von ihm abgesegnete Lieferung tatsächlich in Doha ankam.

Klar ist: Heute würde ein Export von IMSI-Catchern nach Katar kaum mehr bewilligt. Grund dafür ist eine Verordnung, die der Bundesrat 2015 in Kraft setzte. Seither darf Überwachungstechnologie nicht mehr exportiert werden, wenn der Empfänger sie zur Repression einsetzen könnte. Auf Katar, wo die Menschenrechtslage prekär ist und Kritikerinnen und Kritiker verfolgt werden, dürfte dies zutreffen.

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Dank der schärferen Regeln gab es seit 2015 denn auch keine offiziell bewilligten Überwachungsdeals mehr zwischen der Schweiz und Katar. 2020 wickelte eine Schweizer Firma zwar ein heikles Geschäft mit Katar ab, wie SonntagsBlick-Recherchen belegen. Der Bund bewilligte eine Lieferung von Steuerungssoftware für Drohnen. Seco-Sprecher Maienfisch betont aber: «Es handelte sich um Software für eine nichtmilitärische Kleindrohne für die Kartografie.» Der Empfänger sei weder militärisch noch sicherheitsrelevant: «Repressionszwecke konnten ausgeschlossen werden.»

Katar ist ein guter Kunde

Weniger Hemmungen hat die Schweiz, wenn es um Kriegsmaterial geht. In den letzten Jahren stimmte der Bund wiederholt dem Export von militärischen Gütern nach Katar zu. Erst im September bewilligte das Seco die Ausfuhr von Kampfjetmunition im Wert von 120 Millionen Franken.

Dass Überwachungstechnik aus der Schweiz für Katar heute nicht mehr zur Verfügung steht, dürfte das Emirat wenig kümmern. Die Scheichs haben längst aufgerüstet. Zum Beispiel in einem Projekt mit dem Codenamen «Mystery». Laut SRF-Recherchen hat Katar Lieferwagen gekauft, die Signale von drahtlosen WLAN-Netzwerken abfangen, heimlich Videos aufnehmen und Nummernschilder von Autos automatisch erkennen können.

Die Berichte über Spionage und Überwachung rund um die Fussball-WM lösen unter vielen Besucherinnen und Besuchern Unbehagen aus. In diesen Tagen reisen über eine Million Menschen in den kleinen Wüstenstaat, darunter Regierungsvertreter wie SVP-Bundesrat Ueli Maurer.

Die Schweizer Bundesverwaltung forderte ihre Angestellten via E-Mail dazu auf, bei einem Katar-Besuch auf das Diensthandy zu verzichten und stattdessen ein altes Zweitgerät mitzunehmen. Der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger doppelte nach und erklärte am Samstag gegenüber Blick: «Ich rate allen Schweizerinnen und Schweizern, die zur WM nach Katar reisen, ein privates Billig-Smartphone zu verwenden.»

Die Totalüberwachung von Mobiltelefonen in Katar – um ein Haar wäre dabei Schweizer Technik aus dem Appenzell zum Einsatz gekommen. Oder ist am Ende doch ein Deal mit Doha zustande gekommen – und Schweizer IMSI-Technik bereits im Einsatz?

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