An einem Abend mit Freunden etwas trinken gehen und dabei einmal zu tief ins Glas schauen: Bereits einige Partyabende haben für viele in den Ausnüchterungszellen der Stadt Zürich — auch «Hotel Suff» genannt — geendet. Durchschnittlich sollen es 800 bis 900 Personen pro Jahr sein.
Genau so erging es einem Mann (†43) am Freitag, 18. Dezember 2020. Er erschien vor dem Zentrum für Suchtmedizin Arud in Zürich, alkoholisiert, «stark angespannt» und «verbal aggressiv», wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Er verlangte beim Suchtzentrum Diaphin, ein Heroin-Medikament.
Er könnte heute noch leben
Als er dieses nicht sofort bekam, beschädigte er Fahrzeuge vor dem Zentrum. Die Polizei rückte aus, nahm ihn in die Ausnüchterungszelle mit. Doch sein Zustand verschlechterte sich rapide, sie lieferten ihn in den Spital ein, wo er am Folgetag um 17.15 Uhr an einem «Sauerstoffmangel-bedingten Hirnschaden als Komplikation einer Mischintoxikation» verstarb.
Jetzt wurde bekannt, dass laut einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) der Mann noch leben könnte, hätte man ihn früh genug in den Spital gebracht.
Zwei Verfahren gegen ZAB-Mitarbeiter
Schon damals schlug der Fall hohe Wellen in der Stadt Zürich. Kritik an den Ausnüchterungs- und Betreuungsstelle (ZAB) wurde laut. Die Geschäftsprüfungskommission des Gemeinderats sowie die Staatsanwaltschaft nahmen sich damals dem Fall an. Zwei Verfahren gegen ZAB-Mitarbeiter wurden eingeleitet und später eingestellt.
Laut Einstellungsverfügung erschien die Polizei um 17 Uhr beim Suchtzentrum. Zusammen mit Arud-Mitarbeitenden beschlossen die Beamten, den Mann in die Ausnüchterungszelle zu bringen. Ein Mediziner der Suchtstelle untersuchte ihn, segnete den Entscheid ab. «Er sass auf dem Boden vor dem Eingang. Er war ansprechbar und atmete. Er hat gelallt.» Der Arzt sei von keiner akuten Gefährdung ausgegangen.
Um 18 Uhr traf der Mann in der ZAB ein. Ein Medizinstudent schaute engmaschig nach ihm und hielt zweimal telefonische Rücksprache mit einem erfahrenen Notfallsanitäter, wie es die Richtlinien der ZAB vorgaben.
Verhalten des Patienten typisch für Mischkonsum
Wie das Gutachten der IRM Aarau jedoch zeigte, soll sich der Berauschte bereits um 18.20 Uhr in einem «schweren Koma» befunden haben, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Die Vitalzeichen des Mannes befanden sich damals aber immer noch im grünen Bereich. Auch dass er nicht mehr richtig ansprechbar gewesen war, war typisch für Patienten mit Mischkonsum, wie auch ein erfahrener Polizist in der Einvernahme später aussagte.
Um 22 Uhr bemerkte der Medizinstudent, dass die Atmung ausgesetzt hatte, begann sofort mit lebensrettenden Massnahmen. Die Sanität brachte ihn ins Universitätsspital, wo er am Folgetag verstarb. Da sich jedoch alle Beteiligten an die geltenden Vorschriften gehalten hatten und auch die drei Einvernahmen schlüssig waren, wurden beide Verfahren gegen die ZAB-Mitarbeiter eingestellt.
Verschärfung der Massnahmen
Der Vorfall führte jedoch zu einer Verschärfung der Massnahmen, wie die Polizei auf Anfrage des «Tages-Anzeigers» schreibt. Heute würden sich nur noch Rettungssanitäterinnen und -sanitäter und Pflegefachpersonen mit Zusatzausbildungen in Notfall- und Intensivpflege um die Patienten kümmern. Studierende würden nur noch vereinzelt in Betracht gezogen.
Zudem nahmen die Spitaleinweisungen zu. Wo es 2020 neun Personen gewesen waren, stieg die Zahl in den letzten Jahren durchschnittlich auf 24 an. (mgf)