Streit um Kosmos-Konkurs – jetzt redet Co-Gründer Samir
«Ich bin das ideale Feindbild»

Im SonntagsBlick-Interview zeigt sich der Regisseur überzeugt, dass die Anfeindungen gegen ihn auch mit seiner Herkunft und seinem Namen zu tun hätten. Mit dem Aus des Zürcher Kulturtempels habe er 800'000 Franken verloren.
Publiziert: 18.12.2022 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2022 um 10:04 Uhr
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«Die Frauen hatten ihren Job letztlich auch deshalb, weil ich etwas riskiert habe», sagt Samir über seine Kritikerinnen.
Foto: Siggi Bucher

In der Schweizer Kulturszene ist er Gesprächsthema Nummer eins: Samir (67), Filmemacher und Mitgründer des Zürcher Kosmos. Während er in Rom für einen Film recherchiert, wird hierzulande um den spektakulären Konkurs des Kulturhauses gestritten. Verdächtig oft fällt dabei Samirs Name – obwohl seit drei Jahren andere am Ruder waren. Jetzt bricht er sein Schweigen.

Das Kosmos war auch ein bisschen Ihr Kind. Wie schmerzhaft war die Nachricht über den Konkurs für Sie?
Samir Jamal Aldin: Zuerst war ich geschockt und niedergeschlagen. Inzwischen geht es mir aber gut.

Der Schock ist also verdaut?
Die Vorwürfe an meine Person haben mich schon erstaunt. Als Erster beschimpfte mich SVP-Nationalrat Andreas Glarner auf Twitter als unfähigen Subventionsempfänger. Dann folgten Kommentare im «Tages-Anzeiger» und der «NZZ», dass Linke keine Ahnung hätten von Ökonomie. Da wusste ich, woher der Wind weht. Doch nach der «Tagi»-Karikatur, die einen Zusammenhang zwischen mir und dem Kosmos-Konkurs suggerierte, erhielt ich ungefragt Solidaritätsmitteilungen von Jugendfreunden, früheren Gewerkschaftskameraden, von Secondo-Aktivistinnen, jüdischen Freunden und von meiner Familie. Da ging es mir dann schon besser.

Auch Ihre vormaligen Freunde – ein Mitgründer und der ehemalige Geschäftsführer des Kosmos – kritisierten Sie öffentlich. Bis auf ein dünnes Communiqué haben Sie bis heute geschwiegen. Weshalb?
Obwohl beide seit Jahren nicht mehr im Kosmos operativ tätig sind, befeuerten sie mit Unterstellungen gegen meine Person die Legende, dass ich mit dem Konkurs etwas zu tun hätte. Für mich gab es keinen Grund, mich an dieser Schlammschlacht zu beteiligen. Mit meinem Statement stellte ich aber klar, dass ich seit 2019 weder im Verwaltungsrat noch operativ in der Geschäftsführung tätig war. Das wurde von mehr als 12'000 Leuten auf Twitter gelesen.

Das scheint Ihre Kritiker nicht abzuhalten. Die Angriffe sind teils heftig.
Ich wundere mich. Die meisten Geschichten, die über mich erzählt wurden, liegen Jahre zurück und haben nichts mit dem Konkurs zu tun. Die Zeitungen wussten um die Unwahrheit etlicher geschäftsschädigender Unterstellungen, brachten sie aber trotzdem: zum Beispiel die Lüge, dass ich gegen das Zurich Film Festival eingestellt gewesen sei. Sie hatten Mails, die das Gegenteil beweisen.

Wo immer das Ende des Kosmos analysiert wird, taucht Ihr Name auf – als Manipulator, Einflüsterer, Strippenzieher. Mal ehrlich: Ist da wirklich gar nichts dran? Samir, der Sündenbock?
Es werden sehr viele psychologische Ferngutachten von mir erstellt dieser Tage. Es ist absurd. Wir haben ein wirtschaftliches Desaster, aber es wird mit Psychologie argumentiert. Ich bin offenbar für manche das ideale Feindbild. Rechte werfen mir vor, nur mithilfe von Steuergeldern überleben zu können. Dabei hat das Kosmos keinen Rappen Subventionen bezogen. Bei den SBB hatten wir das Kosmos damals durchgebracht, weil sie ein Imageproblem mit ihrem Europaallee-Projekt hatten.

Der Mietvertrag der SBB soll aber sehr kulant gewesen sein. In den Medien ist von 1,3 Millionen Franken pro Jahr die Rede.
Hohe Fixmieten sind für Kulturbetriebe immer eine Belastung. Als ich noch im Verwaltungsrat war, erhielten die SBB jeden Monat die Abrechnungen des Kosmos. Sie wussten um die Schwierigkeiten. Und während Covid war es erst recht unmöglich, die Miete zu bezahlen. Der Bahn blieb nichts übrig, als kulant zu sein. Aber dazu müssen Sie die damaligen Geschäftsführer befragen, ich war zu jener Zeit nicht mit an Bord.

Nochmals: Warum sind Sie, wie Sie sagen, «das ideale Feindbild»?
Meine politische Haltung ist ja allgemein bekannt. Ich bin es gewohnt, attackiert zu werden. Aber sicher spielen andere Faktoren auch noch eine Rolle.

Welche denn?
Ich bin ein kritischer Filmemacher. Und Künstler sind per se nicht sehr beliebt in diesem Land – wenn du Erfolg hast, noch weniger. Dazu kommt meine Herkunft, mein andersartiger Name, der viele reizt. Bekanntlich sind Neid und Eifersucht eine ungeheure Motivation für viele Menschen, um sich in Szene zu setzen.

Ehemalige Mitarbeiterinnen, darunter die Programmleiterin des Kosmos, klagen über ständige Einmischungen von Ihrer Seite. Auch hätten unter Ihnen viele gekündigt.
Die meisten Leute, die 2020 gegangen sind, gingen ja, als ich schon längst nicht mehr im Verwaltungsrat oder sonst im Kosmos tätig war. Meine Wiederanstellung als Programmleiter für die «Kosmopolitics»-Reihe erfolgte 2021. Aber ich rede nicht in der Öffentlichkeit über die Qualifikationen von ehemaligen Mitarbeiterinnen. Zur früheren Kinoleiterin nur so viel: Ich war zum Zeitpunkt ihrer Einstellung schon länger als 40 Jahre im Geschäft, sie erst seit einem Jahr. Und ich war ja damals im Verwaltungsrat für den Kinobereich verantwortlich.

In der «NZZ am Sonntag» sagt eine ehemalige Kosmos-Bereichsleiterin: «Es ging um Macht und die Person Samir.»
Ein schräger Auftritt. Die drei Frauen, die das Interview gaben, hatten ihren Job letztlich auch deshalb, weil ich etwas riskiert habe. Sie bekamen ihren Lohn, ihre AHV. Jetzt werde ich dafür angefeindet. Ich erwarte keine Dankbarkeit, aber Respekt.

Sie sind also nicht teamunfähig, wie berichtet wird?
Seit über 30 Jahren bin ich Mitbesitzer der Filmproduktionsfirma Dschoint Ventschr. Wenn es nur um Macht und meine Person gehen würde, könnten wir keine Filme produzieren. Wir haben mehr als 130 Filme hergestellt. Als Produzent habe ich mit Regisseurinnen und Autorinnen etliche erfolgreiche Filme produziert. Daneben bin ich einer von drei Leuten in der Geschäftsführung. Filmherstellung ist langwierige Teamarbeit. Und das funktioniert nur in gegenseitigem Respekt und mit einem Leistungsausweis.

Von Bord gegangen ist im Frühling auch der anfangs hochgelobte fünfköpfige Frauen-Verwaltungsrat. Sie beklagen sich, dass Sie im Hintergrund ständig Einfluss nehmen wollten.
Ich vermute, da suchte einmal mehr jemand einen Schuldigen, um auszusteigen. Es ist doch logisch, dass ich mich als einer der Hauptaktionäre auch für den Geschäftsgang interessierte. Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn du Bodmer heisst und grosse Aktienanteile an einer Zürcher Bank hast, geht der Verwaltungsratspräsident mit dir zum Lunch, wenn du Sorgen hast, und erzählt dir vom Geschäftsgang. Bei mir wird dieses Interesse als unzulässige Einmischung deklariert. Immerhin habe ich unzählige Arbeitsstunden, meine Altersvorsorge und meine rückgestellten Honorare investiert. Und ich fühlte mich meinem Bruder, meiner Schwester, meinem Schwager und meiner Frau gegenüber verantwortlich, die ebenfalls investiert hatten.

Diese Investitionen haben sie verloren?
Ja, leider. Das bedaure ich sehr.

Um wie viel Geld handelt es sich?
Über die Finanzen meiner Familienmitglieder rede ich nicht öffentlich. Meine Aktien waren einmal 800'000 Franken wert, der grösste Anteil davon waren meine Pensionsgelder. Während andere, die jetzt mit dem Finger auf mich zeigen, praktisch ohne Verlust ausgestiegen sind und an einen Dritten verkauften.

Jetzt steht das Kosmos still. Welche Zukunft sehen Sie für diesen Ort voraus?
Es wäre sehr schade, wenn die Kinos – nachdem sich die Filmbranche langsam von den zwei Covid-Krisenjahren erholt – für immer geschlossen blieben. Daneben hat die von mir geleitete Veranstaltungsreihe «Kosmopolitics» gezeigt, dass eine offene Diskussion über gesellschaftliche Probleme in dieser Stadt sehr viele Leute anzieht. Wir hatten von Avenir-Suisse-Chef Peter Grünenfelder und Economiesuisse-Chefin Monika Rühl bis zu Operation-Libero-Chefin Sanija Ameti und SP-Co-Präsident Cédric Wermuth das ganze anständige Schweizer Politspektrum im Kosmos.

Nur hat das offenbar wirtschaftlich nicht gereicht. Sehen Sie irgendwo noch Potenzial für ein Kosmos 2?
Als eine Gruppe von «NZZ»-Freunden 2019 das Kosmos «übernehmen» wollte, schlossen sich über 1000 namhafte Leute aus Zürich zum «Reclaim Kosmos» zusammen. Ich kann mir vorstellen, dass man das Kosmos als Genossenschaft neu gründen könnte, wie es in dieser Stadt Tradition ist. Aber ohne mich, ich muss noch ein paar Filme machen.

Im Raum steht noch immer der Vorwurf, dass Linke nur mithilfe von Subventionen wirtschaften können.
Reden wir jetzt von den Schweizer Landwirten? Der Punkt ist: Fürs Filmemachen bekommst du nicht einfach Subventionen. Das Entwickeln einer Idee wird am wenigsten bezahlt. Man muss sehr viel wagen. Und nur nach strengen Prüfungen erhält man vielleicht ein Drittel Unterstützung vom Bundesamt für Kultur. So gesehen, habe ich mehr mit einem klassischen Unternehmer gemein als mit einem durchgeknallten Künstler. Aber ich mag nicht jammern. Ich habe mich ohne Studium vom Büezer zum Filmemacher hochgearbeitet, geniesse ein privilegiertes Dasein und habe ein glückliches Leben.

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