Die Europaallee beim HB Zürich soll die Prachtmeile der SBB werden. Als bunter Flecken neben Luxuswohnungen und Konzernen bietet das Zentrum Kosmos seit 2017 progressive Gegenkultur – zur Freude der Stadtplaner. Doch es ist zwischen den beiden Gründern, Filmemacher Samir und Buchhändler Bruno Deckert, zum Eklat gekommen. Samir ist an der GV von letzter Woche aus dem Verwaltungsrat (VR) abgewählt worden. Seit SonntagsBlick den Coup publik gemacht hat, steht das linksurbane Milieu kopf. Im Interview bricht der Regisseur sein Schweigen. Wir treffen ihn in seinem Büro im Kreis 4.
Kann man mit Ihnen nicht zusammenarbeiten?
Samir: Das müssten Sie die Menschen fragen, die mit mir zusammenarbeiten.
Was sagen Sie selbst? Den Vorwurf erhob Bruno Deckert, Präsident des Verwaltungsrats (VR) und Ihr Co-Initiant des Kosmos.
Seit bald 30 Jahren arbeite ich mit meiner Geschäftspartnerin und meinem Geschäftspartner in unserer Filmproduktionsfirma. Wir haben uns oft gefetzt. Als Team haben wir in dieser Zeit 120 Filme produziert – mit Dutzenden Regisseurinnen, Filmtechnikern, Kreativen. Wie soll das gehen, wenn man mit mir nicht zusammenarbeiten kann? Der Vorwurf erstaunt mich aber aus einem anderen Grund.
Aus welchem?
Das Projekt Kosmos startete vor bald zehn Jahren. In all diesen Jahren war ich offenbar gut genug für die Zusammenarbeit. Jetzt, wo der Laden läuft, bin ich das nicht mehr?
Haben Sie seit Ihrer Abwahl mit Bruno Deckert gesprochen?
Nein, er ging sofort in die Ferien.
Wie sind Sie eigentlich formell mit dem Kosmos verbunden?
Auch eine Woche nach der Abwahl sind bisher weder der Verwaltungsrat noch der Geschäftsleiter auf mich zugekommen. Kein E-Mail, kein Telefon, kein Gespräch. Und an die Info-Veranstaltung für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bin ich nicht eingeladen worden.
Was verlangen Sie von Deckert?
Ich verlange nichts. Wir hatten uns in einer Mediation auf einen gemeinsamen Vorschlag für den neuen VR geeinigt. Unter vier Namen waren er und ich aufgeführt. Dann sagte er überraschend an der GV, dass er mich nicht mehr dabeihaben möchte, und überliess die Vorstellung des neuen VR dem SpinDoctor Edwin van der Geest ...
Dem Lobbyisten vom Beratungsunternehmen Dynamics Group.
Ich glaube, Bruno und ich haben mehr gemeinsam als er mit dem neuen Verwaltungsrat. Mein Angebot zur weiteren Zusammenarbeit gilt immer noch.
Wie kam es überhaupt zu den Konflikten in der Führung?
Kosmos ist mehr als nur ein Kino, ein Buchladen, ein Bistro, ein Club oder Veranstaltungsort. Viele Betriebsabläufe mussten neu erfunden werden. Nun ist der Moment der Konsolidierung gekommen. Doch leider führten die Diskussionen über neue Strukturen und Kompetenzen zu keinem Ergebnis.
Es drängt sich die Frage auf: Sind Künstler und Kreative die richtigen Leute für einen Verwaltungsrat?
Im alten VR waren wir drei Filmemacher: Ruedi Gerber, Stina Werenfels und ich. Als solche sehen wir uns auch als Unternehmer. Für den neuen VR haben wir jüngere und weibliche Fachkräfte im Gastrobereich, in der Kommunikation und in den Finanzen vorgeschlagen. Wir machten uns sicher nicht beliebt, weil wir Dinge kritisch hinterfragten und nicht einfach abnickten. In diesem konsensgeprägten Land fehlt eine Streitkultur, die zu tragfähigen Kompromissen führt. Zum Beispiel in meiner Kernkompetenz …
... dem Kino.
Wo ich beschnitten worden bin. Ich beantragte dem VR, für diesen Bereich delegiert zu werden. Das wollte man nicht. Übrigens ging es mir nie um ein eigenes Kino, wie jetzt behauptet wird. Das Ziel war immer ein integrales Kulturzentrum.
Was treibt Ihre Gegner an?
Das Resultat sagt alles: Eine qualitative Minderheit von über 40 Prozent der Aktionäre hat seit der GV keine Vertretung im VR. Die Frage ist: Wer hatte Interesse, den Konsens zwischen mir und Bruno an der GV zu kippen?
Kurz vor der verhängnisvollen GV verschickten Sie, Ihre Frau Stina Werenfels und Ruedi Gerber einen Brief an die Aktionäre, in dem persönliche Konflikte und Finanzprobleme ausgebreitet werden. Musste das sein?
Offene Meinungsbildung und Diskussionskultur sind doch die Grundlage einer modernen Gesellschaft. Wenn man vor einer GV den Aktionären und Aktionärinnen Sachverhalte offenlegt und dafür bestraft wird, ist das ein eigenartiges Verständnis von transparenter
Unternehmensführung.
Das Kosmos ist an der Europaallee ein alternativer Fels in der Brandung. Machen Sie sich Sorgen um die weitere Entwicklung?
Sicher. Jetzt haben wir einen Verwaltungsrat, der abgesehen von Bruno Deckert mit Kultur nicht viel am Hut hat. Es gibt Kräfte, die wollen das Kosmos mit ihren eigenen Anschauungen besetzen oder daraus einen hedonistischen Konsumtempel machen. Ob es dann noch derselbe Ort des Diskurses, der Offenheit und der Pluralität sein wird, sei dahingestellt.
Manche Aktionäre und Sympathisanten möchten eine ausserordentliche GV einberufen, um die Änderungen zu korrigieren. Schliessen Sie sich an?
Wenn man gestritten hat, muss man sich wiederfinden. Es kann ja nicht sein, dass über 40 Prozent der Aktionäre nicht im VR vertreten sind. Dazu kommt, dass wir uns vielen Leuten der kulturellen und politischen Szene verpflichtet fühlen. Die ausgestreckte Hand ist immer noch da.
Im Netz kursieren die wildesten Gerüchte. Diverse Personen bringen sich in Stellung, andere schwingen sich als Player auf.
Das kenne ich schon von unseren Filmen: Wenn einer floppt, haben alle schon immer gesagt, dass es nicht gut komme. Wenn er erfolgreich ist, war jeder schon von Anfang an dabei.