Ein Polizist in Vollmontur schlägt der Schaffhauserin Liv (19) mehrmals mit der Faust auf den Kopf. Handyvideos dieser Szene an einer unbewilligten Frauen-Demo Anfang März in Zürich sorgten für Empörung. Die Gemeinderätinnen Christina Schiller (31, AL) und Selina Walgis (28, Grüne) reichten zusammen mit 32 anderen Ratsmitgliedern in einer dringlichen schriftlichen Anfrage mehrere Fragen zu diesem Polizeieinsatz ein. Jetzt liegt die Antwort des Zürcher Stadtrats vor.
Die Stellungnahme sorgt abermals für heftige Reaktionen. Wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte sei es zu einer Festnahme gekommen, schreibt der Stadtrat: «Während dieser Festnahme hat die am Boden liegende Frau den Polizisten in drei Finger gebissen. Dieser wendete in der Folge nach eigener Aussage zwei Ablenkungsschläge gegen den Kopf der Frau an.» Solche «Ablenkungstechniken» sind gemäss Stadtrat unter Umständen notwendig, wenn sich Menschen massiv zur Wehr setzen.
«Faule Ausrede oder Problem bei der Ausbildung»
Obwohl die Stadtpolizei nach der Empörung um die Schläge personalrechtliche Massnahmen gegen den betreffenden Beamten prüfen wollte, soll dieser laut «Tages-Anzeiger» weiterhin im Dienst sein. Die Technik von Ablenkungsschlägen ist denn auch Teil der Polizeiausbildung für Situationen, in denen eine erhebliche Bedrohung vorliegt.
An diesem Punkt machen nun mehrere Politiker ihre neuerliche Kritik fest. Sie finde es erschreckend, Schläge auf den Kopf als Abwehrtaktik zu bezeichnen, sagt AL-Gemeinderätin Schiller. «Das ist höchst problematisch», sagt auch ihre Kollegin Walgis. Wenn Polizistinnen und Polizisten in der Ausbildung solche sogenannten Ablenkungstechniken lernten, könne man damit sehr vieles entschuldigen. Die Antwort des Stadtrats bezeichnet Walgis gegenüber dem «Tages-Anzeiger» als enttäuschend.
Gemeindrat Luca Maggi (30, Grüne) schreibt auf Twitter: «Entweder dienen die scheinbar als Ablenkungstechnik eingeübten Kopfschläge im internen Verfahren als faule und dankbare Ausrede oder wir haben ein Problem in der Ausbildung. Oder beides.»
Waren die Schläge verhältnismässig? Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Strafverfahrens gegeben sind.
Liv wünscht sich mehr menschliche Kompetenz
Liv beteuerte damals: «Wir waren komplett friedlich.» Plötzlich habe eine Gruppe Polizisten eine Demonstrantin grob aus der Menge gezogen: «Ohne Vorwarnung, ohne vorher zu kommunizieren.» Auch eine weitere Aktivistin sei auf den Boden gedrückt worden. Liv habe helfen wollen, erklärte sie. «Im nächsten Moment wurde ich an der Stirn gepackt, und man schlug mich zwei Mal auf den Hinterkopf. Dann wurde ich ebenfalls zu Boden gerissen.» Vor Schmerzen habe sie geschrien und den Polizisten gebeten, aufzuhören. Doch: «Er schlug mich fünf weitere Male auf den Kopf, als ich bereits am Boden lag.»
Den Biss in die Hand des Polizisten streitet Liv nicht ab: «Als ich runtergedrückt wurde, stand ich so unter Schock, dass es vielleicht aus dem Affekt und vor Schmerzen passiert sein könnte.» Liv hofft, dass die Polizei dazulernt und das nächste Mal mehr menschliche Kompetenz an den Tag legt. Die Mitglieder der Frauenbewegung seien schliesslich keine Terroristen. (noo)