«Er war erst 57 und wollte noch viel erleben»
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Antonino trauert um Bruder:«Es geht mir sehr schlecht, wegen dem, was passiert ist»

Pasquale Ferraro (†57) starb nach Infarkt im Spital-Wartezimmer – sein Bruder klagt an
«So etwas darf nie wieder passieren!»

Es war ein Herzinfarkt – aber einer, den sein Bruder vielleicht hätte überleben können, meint Antonino Ferraro (62). Pasquale Ferraro (†56) starb nämlich nach einem Infarkt im Wartezimmer des Balgrist-Spitals. Der Tetraplegiker wurde allein dort sitzen gelassen.
Publiziert: 05.10.2022 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2022 um 07:45 Uhr
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Antonino Ferraro (62) aus Bülach hat seinen Bruder Pasquale Ferraro (†56) verloren.
Foto: Céline Trachsel
Céline Trachsel

Antonino Ferraro (62) aus Bülach ZH hadert mit seinem Familienschicksal: Innert sieben Jahre starben Vater, Mutter und nun auch sein Bruder Pasquale Ferraro (†56). Den Tod seines Bruders kann er aber nur schwer akzeptieren, denn: «Er hätte nicht an diesem Herzinfarkt sterben müssen. Wäre es anders gelaufen, hätte er überleben können.»

Die Geschichte ereignete sich am 4. Januar in der Universitätsklinik Balgrist in Zürich. Pasquale Ferraro, seit einem Velounfall mit 22 Jahren Tetraplegiker, musste zu einer Routineuntersuchung. Nach einer Rückenoperation vor einem Jahr stand eine Kontrolle an.

Partnerin musste draussen warten

Die Lebenspartnerin des Tetraplegikers wollte ihn begleiten. Doch aufgrund der Corona-Regeln wurde sie nicht ins Spital gelassen. «Dabei konnte sie beim letzten Termin noch mitgehen, weil mein Bruder immer Begleitung brauchte und man ihn im Spital bestens kannte», erzählt Ferraro.

Das Paar wollte aber kein Drama machen: Die Freundin wartete draussen. Währenddessen durchlief Pasquale Ferraro das Röntgenprozedere. Danach ging es zum nächsten Arzt in eine andere Abteilung. «Dort musste er lange warten. Ich gehe von bis zu 40 Minuten aus», sagt der Bruder.

Plötzlich sprach der Italiener undeutlich

In dieser Zeit blieb der hilflose Tetraplegiker im Wartezimmer unbeaufsichtigt. Er machte sich zweimal bemerkbar, worauf sich eine Mitarbeiterin im nahen Sekretariat nach seinem Wohlbefinden erkundigte. Da er aber nuschelte und sie ihn nicht verstand, ging sie wieder. «Dabei hat mein Bruder hervorragend Deutsch gesprochen. Er ist ja in der Schweiz aufgewachsen», sagt Antonino Ferraro. «Wenn er undeutlich sprach, könnte das bereits am Infarkt gelegen haben.»

Dann sei der Tetraplegiker eingenickt – davon gingen die Mitarbeiter im Sekretariat jedenfalls aus. Als der Arzt endlich kam, war Pasquale Ferraro aber blau-grau angelaufen! Die Reanimation brachte sein Herz zwar wieder zum Schlagen. Doch nach zwei Tagen im Unispital Zürich mussten die Maschinen abgestellt werden. Hirntod.

«Das war sehr, sehr hart für mich», sagt Antonino Ferraro mit Tränen in den Augen. «Er war der Letzte meiner Familie, der mir noch blieb – und ein Tod auf diese Weise, weil er alleine in einem Wartezimmer sitzen gelassen wurde, das kann ich einfach nicht akzeptieren.»

Keinen Schuldigen gefunden – Verfahren sollte eingestellt werden

Er ist der Überzeugung: Wäre die Lebenspartnerin im Spital dabei gewesen, hätte sie früher erkannt, dass mit Pasquale etwas nicht stimmt. Und er hätte eine frühere Reanimation vielleicht überlebt, meint Antonino Ferraro. «Er ist dem Tod schon mehrmals von der Schippe gesprungen. Mein Bruder war ein Kämpfer. Er war sehr tapfer.»

Da zunächst niemandem konkret die Schuld gegeben werden konnte, wollte die Staatsanwaltschaft das eingeleitete Strafverfahren wieder einstellen. Aber Antonino Ferraro ist mit einer Beschwerde ans Obergericht gelangt. Das Verfahren läuft noch. Ferraro: «Das Spital trägt sehr wohl eine Verantwortung. Ein Patient mit dieser Krankengeschichte, die allen bestens bekannt war, darf man doch nicht so lange irgendwo abstellen.»

«Er wollte diesen Sommer ans Meer fahren»

Er geht deshalb mit der Geschichte an die Öffentlichkeit: «Das bringt meinen Bruder zwar nicht zurück, aber so etwas darf einfach nie wieder passieren!»

Sein Bruder habe trotz Tetraplegie ein lebenswertes Leben gehabt. «Diesen Sommer wollte er endlich wieder einmal ans Meer fahren. In Italien war er immer so glücklich. Dass er die geplante Reise nicht mehr machen konnte, tut mir im Herzen weh.»

Laut Klinik keine medizinischen Fehler im Behandlungsablauf

Die Balgrist-Klinik wollte zu den Vorwürfen des Bruders keine Stellung nehmen und verwies auf das Patientengeheimnis. «Die Hintergründe, die zum Tod des Patienten geführt haben, werden von der Staatsanwaltschaft derzeit abgeklärt, wie das bei ausserordentlichen Todesfällen Standard ist. Daraus können aktuell noch keine Schlüsse gezogen werden», sagt Franziska Ingold, Leiterin der Unternehmenskommunikation. Die ersten internen Analysen würden jedoch keine medizinischen Fehler im Behandlungsablauf zeigen.

Ingold betont: «Auch für medizinisches Fachpersonal, das mit Leben und Sterben vertraut ist, ist der Tod eines Patienten ein Ereignis, das tief bewegt. Dies betrifft auch das Ableben von Herrn Ferraro.»

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