Dreizehn Jahre lang haben Matilda Gracan und ihr Ehemann in einer gemeinsamen Wohnung im Zürcher Umland gelebt. Als sie im Januar 2024 vom Einkaufen zurückkommt, ist er tot. Er nahm sich, während sie weg war, das Leben.
Seither ist das Leben für Matilda Gracan, die eigentlich anders heisst, nicht mehr dasselbe. Lange kann sie die Wohnung nicht mehr betreten. Erst Wochen später schafft sie es, mit einer Begleitperson einige wichtige Dokumente und andere Dinge aus der Wohnung zu holen. Die Schwiegertochter spricht von einer «schweren psychischen Belastung».
In der Wohnung stehen Dinge, die sie mit ihrem Mann verbindet. Dort sind Zimmer, in denen die Vergangenheit lebt. Matilda Gracan will die Wohnung so schnell wie möglich auflösen und setzt ihre Unterschrift unter ein Dokument: «Ausserterminliche Kündigung des Mietvertrags». Es soll rasch gehen.
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Vermieterin will Erbschein
Die Witwe des Verstorbenen und die beiden Kinder des Paars unterschreiben das Kündigungsbegehren und schicken es zusammen mit dem Familienbüchlein und dem Totenschein an die Vermieterin. Eigentlich müsste damit die Kündigung gültig sein, würde man meinen.
Doch die Verwaltung der Liegenschaft, die Firma Allreal, sieht das anders. Um den Mietvertrag rechtsgültig zu beenden, schreibt die Allreal, bedürfe es eines Erbscheins, der schwarz auf weiss dokumentiert, wer erbberechtigt ist. Das Argument der Allreal: Neben eigenen Kindern könnten auch weitere «frei eingesetzte oder legitime Erben» vorhanden sein, die einen Anspruch auf die Wohnung stellen könnten.
«Diese weiteren Erben sind im Familienbuch nicht ersichtlich. Darum ist der Erbschein für uns essenziell», sagt eine Sprecherin zum «Beobachter».
Allreal im Unrecht
Bis so ein Erbschein ausgestellt ist, geht Zeit ins Land. Auch einfache Abklärungen zur Erbschaft können mehrere Wochen dauern. Doch Zeit ist für Matilda Gracan eine schmerzhafte Währung geworden. Emotional. Und finanziell.
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Matilda Gracan ist seit Januar pensioniert, und die Rente reicht nicht, um ohne Mithilfe des verstorbenen Ehemanns die Miete zu zahlen. Diese ist nach einer Mieterhöhung im April noch gestiegen und beträgt aktuell 2300 Franken für 2,5 Zimmer. Geld, das sie nicht hat. Kommt hinzu: Die Wohnung des Sohnes und dessen Ehefrau, die Matilda Gracan bei sich aufnehmen, ist zu klein für die Wohngemeinschaft, und die Situation schlägt zusätzlich aufs Gemüt. Die Situation ist verfahren, die Familie verzweifelt.
«Es braucht keinen Erbschein»
Und die Vermieterin im Unrecht, sagt Daniel Leiser, Mietrechtsexperte des «Beobachters»: «Mit der Sekunde des Todes sind die Kinder automatisch Erben geworden.» Sie könnten das Mietverhältnis gemeinsam mit der Mutter mit der gesetzlichen Frist von drei Monaten auf den nächsten ortsüblichen Kündigungstermin hin kündigen. Das schreibt auch das Bezirksgericht Zürich auf seiner Website.
Die Vermieterin könne zwar verlangen, dass die Erben den Erbschein nachträglich einreichen. Sollte sich die Kündigung später als ungültig herausstellen, etwa weil tatsächlich noch Einwände von unbekannter Seite eintreten, dann haften die Erben. Das sei aber kein hinreichender Grund, die Kündigung vorläufig abzulehnen. «Die Rechtslage ist hier klar: Es braucht keinen Erbschein, damit die Kündigung gültig ist», sagt Leiser.
Ohne Erbschein bleibt die Kündigung verwehrt
Die Allreal sieht die Rechtslage auf ihrer Seite. Ohne Erbschein keine Kündigung. Die Vermieterin bietet der Familie jedoch an, bereits vor Eintreffen des Erbscheins Besichtigungstermine zu inserieren, um die Weitervermietung zu beschleunigen.
Der Freitod des Mannes war für die Familie ein Schock. «Dass die Vermieterin hartnäckig auf einem Dokument beharrt, das einer Formsache gleicht, zieht den Schmerz für uns alle in die Länge», sagt die Schwiegertochter. «Wir wollen einfach mit der Sache abschliessen.»