Am Mittag des 4. Dezember 2018 erlitt Familie Peric aus Effretikon ZH einen tragischen Verlust: Sohn Lazar (†10) wurde auf dem Heimweg von der Schule auf einem Fussgängerstreifen keine 200 Meter von zu Hause von einem Lastwagen angefahren. Der herbeigeeilte Vater hielt auf der Unfallstelle die Hand des sterbenden Buben bis zum letzten Atemzug.
Seither ist für die Familie nichts mehr, wie es war. «Ich denke jeden Tag an meinen Bub. Egal, wo ich hingehe, sei es auch nur in die Migros, erinnere ich mich an Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben», sagt Mama Olivera Peric (47) zu Blick. Dem LKW-Fahrer konnte sie bisher nicht verzeihen. «Und ich weiss nicht, wie lange es dauert, bis ich es kann. Auch wenn ich weiss, dass er selber noch fast ein Kind war.»
Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung
Fahrer Ivan L.* (heute 22) war damals erst 19 Jahre alt, als er den kleinen Lazar und seinen älteren Bruder (damals 12) auf dem Fussgängerstreifen übersah, als die Jungs zusammen mit dem Trottinett über die Illnauerstrasse düsten. Der Fussgängerstreifen liegt direkt nach einem Kreisel. Heute Morgen musste sich der Fahrer vor dem Bezirksgericht Pfäffikon ZH verantworten – und wurde von der fahrlässigen Tötung freigesprochen, jedoch wegen des mehrfachen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt.
Ivan L. hatte am Abend vor dem Unfall einen Joint geraucht – wie jeden Abend zu jener Zeit. Heute beteuerte er vor Gericht: «Nach dem Unfall habe ich damit aufgehört.» Im Prozess ging es um die Frage, ob die Kinder im toten Winkel tatsächlich nicht zu sehen waren oder ob der LKW-Fahrer schlicht zu wenig Aufmerksamkeit im Strassenverkehr aufbrachte und zumindest den Kopf des grösseren Bruders hätte sehen müssen.
«Lazar hätte es noch auf die Mittelinsel geschafft»
Der Staatsanwalt: «Normale Aufmerksamkeit genügt einfach nicht, wenn man um die Mittagszeit innerorts durch einen Kreisel fährt – es braucht eine erhöhte Aufmerksamkeit. Er hatte die Trottoirs einfach nicht im Blick und hatte sich nur auf die Verkehrsteilnehmer auf der Strasse konzentriert. Mehrere Fussgänger entlang der Strasse will er nicht bemerkt haben. Und hätte er nach dem Kreisel nicht noch auf 17 km/h beschleunigt– was deutlich mehr ist als Schrittgeschwindigkeit – dann hätte es Lazar noch auf die Mittelinsel geschafft wie sein Bruder.»
Dem widersprach die Verteidigung: Schliesslich sei immer noch nicht klar, welchen Weg die Kinder um den Kreisel herum genommen hatten, bevor sie den Fussgängerstreifen befuhren. Dass Ivan L. sie schon vorher auf dem Trottoir hätte bemerken müssen, dementierte sie. Die Buben seien laut Aussagen zweier Zeuginnen sehr zügig unterwegs gewesen und dem Beschuldigten «direkt vor d Schnurrä gfahrä».
So kam auch der Richter zum Schluss, dass angesichts der hohen Geschwindigkeit der beiden Buben sowie der unklaren Route vor der Kollision der LKW-Fahrer nicht wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen sei.
«Nur eine Mutter kann diesen Schmerz nachvollziehen»
Im Schlusswort hatte sich Ivan L. noch entschuldigt. Es tue ihm sehr leid, was passiert sei. Alle Ausführungen und Gutachten seien theoretischer Natur – im Führerstand sehe es ganz anders aus. Bereits nach dem Unfall sprach Ivan L. der Familie Peric im Blick sein tiefstes Beileid aus.
«Seine Entschuldigung bringt uns unseren Sohn auch nicht mehr zurück», sagt die Mutter jedoch zu Blick. Die Familie möchte endlich recht erhalten und einen Schlussstrich ziehen können. Sein Kind zu verlieren, sei das Schlimmste, was einer Familie zustossen könne. «Nur eine Mutter kann diesen Schmerz nachvollziehen.»
Negative Gefühle gegenüber dem Fahrer verspüre sie im Gegensatz zum Vater von Lazar weniger. «Mein Mann ist vor allem wütend, dass der Fahrer gekifft hatte.» Auch habe sich der Fahrer noch nie bei ihnen direkt entschuldigt.
Spaziergänge, um Trauer zu verarbeiten
Die Schmerzen des tragischen Verlusts plagen die Familie jeden Tag und seien in den vergangenen drei Jahren auch nicht weniger geworden. «Manchmal ist es besser, manchmal schlimmer», sagt Olivera Peric. Um die Trauer zu verarbeiten, versuche sie, einfach immer etwas zu tun. Sie putzt oder unternimmt lange Spaziergänge. «Einfach nur zu sitzen und nachzudenken, würde ich nicht aushalten.»
An der Unfallstelle müssen Eltern und Bruder täglich vorbeigehen. Bis ein Jahr nach dem Unfall habe die Mutter dort täglich Kerzen angezündet, erzählt sie. «Aber heute trauern wir lieber am Grab auf dem Friedhof.»
Ivan L. fährt seit 2019 wieder Lastwagen. Es war schon seit seiner Kindheit sein Traumberuf. Den Ausweis hat er nach erbrachtem Nachweis seiner Drogen-Abstinenz zurückerhalten.
* Name geändert