BLICK: Ein 19-jähriger LKW-Chauffeur überfährt einen Zehnjährigen. Was bedeutet das für den Lenker?
Wolfgang Roell: Der Mann ist noch ein Jugendlicher. Seine Psyche ist noch in der Entwicklung auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Eine solche Tragödie ist ein sehr schwerer Schlag für einen so jungen Menschen. Sicher steht er unter Schock. Daraus kann ein Trauma entstehen. Es kommt drauf an, wie stark sein Bewältigungssystem ist.
Wie kann er die Schuld verarbeiten?
Im ersten Augenblick wird es eine Abwehrreaktion geben: Das, was passiert ist, darf nicht wahr sein. Der junge Mann muss aber sein gewaltiges Missgeschick akzeptieren. Er muss dem, was er angerichtet hat, ins Auge sehen, gleichzeitig aber auch begreifen, dass das Leben weitergeht.
Wie macht er das am besten?
Hilfreich wäre, wenn er den Kontakt mit der Opferfamilie suchen würde, ihnen zeigen würde, wie sehr ihm der Tod des Sohnes leidtut. Vergebung ist die beste Therapie. Nicht nur die Vergebung der anderen ihm gegenüber. Er muss auch sich selbst verzeihen können. Wichtig ist zudem der Kontakt mit gleichaltrigen Freunden. Er braucht Trost und Anerkennung.
LKW-Fahren war sein Traumberuf. Ist dieser nun geplatzt?
Ich kann nicht beurteilen, welche rechtlichen Konsequenzen dieser Unfall für ihn hat. Will er weiter LKW fahren, dann sollte er sich so schnell wie möglich wieder ans Steuer setzen.
Wie würden Sie sich ihm als Psychologe nähern?
Ich würde meine Hilfe anbieten, sie aber nicht einfordern. Wenn jemand, der so etwas erlebt, nicht darüber reden möchte, dann darf man es nicht forcieren. Sicherlich ist die Verarbeitung einer solchen Schuld sehr langwierig. Manche tragen sie ein Leben lang mit sich herum. Oft helfen Trauma-Behandlungen und Psychotherapien.