In den Telegram-Chats des Veloumzugs Critical Mass herrscht Aufregung. «Jedes Velo ist am letzten Freitag des Monats nun kriminell», schreibt ein User. Ein anderer entgegnet: «Velofahren ist nicht verboten.» Jemand weiteres fragt: «Wo bleibt die Freiheit von Velofahrenden?»
Was ist passiert? Der Veloumzug, der jeden letzten Freitag im Monat durch Zürich rollte und den Autoverkehr lahmlegte, ist neuerdings bewilligungspflichtig. Das hat der Statthalter entschieden, nachdem die FDP-Politiker Përparim Avdili (35) und Alexander Brunner Beschwerde gegen die Critical Mass eingelegt hatten.
Bisher hatte die Stadtpolizei den Umzug jeweils toleriert. Mit dem juristischen Sieg der Freisinnigen ist die Ausgangslage plötzlich eine andere. Am 28. Juli findet die nächste Critical Mass statt. Ohne Bewilligung gilt sie als unbewilligte Demo.
Die zuständige Stadträtin und Sicherheitschefin Karin Rykart (52) ist also gefordert. Die Grünen-Politikerin hatte die Organisatoren der Critical Mass öffentlich zu einem Gespräch aufgerufen. Auch soll in ihrem Auftrag ein E-Mail an eine Userin verschickt worden sein, die sich oft in den Telegram-Chats der Bewegung äussert. Darin soll sie diese gebeten haben, eine Bewilligung zu beantragen. Das Problem: Es gibt keine zentralen Organisatoren, die dies tun könnten.
Keine Hierarchie, also auch keine Bewilligung
Das betont auch eine Aktivistin, die aus Angst vor Anfeindungen anonym bleiben will. «Wir haben keine Hierarchie, Organisatoren oder Sprecher», sagt sie.
Anders sieht dies Përparim Avdili: «Der Telegram-Chat zeigt doch beispielhaft, dass es entgegen der Behauptung der Aktivisten eben doch Organisatoren gibt, die im Chat nun besprechen, wie sie vorgehen wollen.»
Tatsächlich wird in verschiedenen Kanälen rege diskutiert. Ein User schreibt: «Man könnte 1000 Bewilligungen beantragen. Oder keine. Das einzige, was nicht geht, dass ein Mensch eine Bewilligung stellt und sich damit anmasst, die CM hätte ein OK …»
Auch herrscht Unklarheit darüber, wie man am 28. Juli auftreten soll. Einige plädieren dafür, in kleineren Gruppen aus verschiedenen Stadtkreisen abzufahren. Das finden nicht alle eine gute Idee: «Ich bin der Meinung, dass uns vor allem die Masse vor jeglicher Repression schützt», schreibt jemand.
Stadt soll autofrei machen
Auch die Aktivistin sagt gegenüber SonntagsBlick: «Vielleicht fahren wir in Grüppchen, vielleicht vom Bürkliplatz aus, oder auch nicht – es ist alles offen.» Was sie aber zu glauben weiss: Niemand werde eine Bewilligung einholen.
Ob ein Bewilligungsgesuch eingegangen ist, will die Stadt auf Anfrage nicht mitteilen. Auch wie die Stadtpolizei vorgehen wird, wenn keine Bewilligung beantragt wird, ist noch unklar. Die Behörde schreibt, dass sie ihre «Handlungsrichtlinien» bis am 28. Juli festlegen wird. Polizeikommandant Beat Oppliger (56) hat aber schon angekündigt, dass Teilnehmende mit einer Verzeigung rechnen müssen.
Derweil werden in den Chats der Critical Mass fleissig weiter Diskussionen geführt – und Witze gerissen. Darüber, ob nun auch Autos, die im Stau stehen würden, eine Bewilligung beantragen müssten. Ein User hat ausserdem einen Vorschlag: «Die Stadt kann das Problem immer noch am elegantesten lösen, indem sie einfach den letzten Freitagabend im Monat autofrei macht.» Dann bräuchte niemand mehr eine Bewilligung.