«Nichts gegen Berlin. Aber du willst doch nicht ernsthaft hier alt werden?» Das schrieb die Zürcher Werbeagentur Wirz AG auf eine mobile Plakatwand und liess sie vergangene Woche je einen Tag vor den Türen der fünf grössten Werbeagenturen in Deutschlands Hauptstadt aufstellen.
Mit dieser provokanten Aussage versucht die Agentur, Kreativ-Nachwuchs anzuwerben und nach Zürich abzuwerben.
Unter dem Hashtag «GoodByeDeutschland» schreibt die Agentur auf ihrer Rekrutierungswebsite: «Falls du Lust hast, in einen glasklaren See zu springen, statt dir in der Spree eine seltene Hautkrankheit zu holen [...], dann sollten wir uns kennenlernen.» Eine Aktion, die aneckt.
«Was hier frech gemeint sein soll, kommt arrogant rüber»
«Jung, wild, dreckig. Und all die anderen Klischees. Ist ein bisschen ermüdend, aber auch total verständlich, wenn man Berlin nur oberflächlich betrachtet», merkt eine Berlinerin auf Linkedin an und verabschiedet sich mit «schönen Grüssen aus dem grünen, gesetzten und bürgerlichen Charlottenburg».
Und auch ein Zürcher aus der Marketingbranche kritisiert die Aktion der Werbeagentur: «Nichts gegen Zürich. Aber was hier frech gemeint sein soll, kommt arrogant rüber».
«Gute Werbung darf anecken und provozieren»
Das sei nicht die Intention hinter der Aktion gewesen, sagt Wirz-Kreativdirektor Caspar Heuss zu Blick. Die Headline habe nicht arrogant wirken sollen, sondern «ist schlicht und einfach eine zu Papier gebrachte Lebenserfahrung», erklärt er.
«Ich habe selbst fast zehn Jahre in Berlin gelebt, und weiss, wie sich junge Kreative in dieser Stadt fühlen.» Solange man jung ist, gefalle einem das Wilde, das Laute. «Aber alt werden möchten da die allerwenigsten», sagt er. «In der Headline steckt also ziemlich viel Wahrheit.»
Dem können viele User zustimmen. «Kenne niemanden, der etwas älter ist und noch gerne in Berlin lebt. Passt also», lautet beispielsweise ein Kommentar auf Linkedin. Das Stimmungsbild wirkt überwiegend amüsiert.
Auch Marketing-Experte Stefan Vogler beurteilt die Aktion positiv. «Gute Werbung darf anecken und provozieren», sagt er zu Blick. «Dann fällt sie auf, und es wird über sie diskutiert. Bei schlechter Werbung passiert schlicht nichts.» Da die Headline der Werbeagentur gezielt Menschen der gleichen Branche ansprechen soll, dürfe sie ruhig auch ein wenig überspitzter sein. «Bei ihnen kommt die Aktion sicher nochmals anders an als bei Branchenfremden», so Vogler.
«Für uns ist die Aktion ein voller Erfolg»
Und in einer weiteren Sache sind sich der Marketing-Experte und der Wirz-Kreativdirektor einig: Deutschland sei für die Werbebranche ein sehr grosser und damit sehr wichtiger Markt. Gerade Berlin sei ein Magnet für junge Kreative. Während es in Zürich schwer sei, junge Talente zu finden, sei Berlin laut Kreativdirektor Heuss randvoll damit. «Darum war diese Aktion ein Versuch, auch mal in einem anderen Teich zu angeln, in dem vielleicht die etwas bunteren Fische schwimmen.»
Und es haben bereits einige Fische angebissen. «Bis gestern Mittag sind rund 25 Bewerbungen eingetroffen, und wir rechnen noch mit weiteren Bewerbungen», sagt Caspar Heuss. «Für uns ist die Aktion ein voller Erfolg.»