Nicht besetzte Stellen in Kindergärten und an Schulen, private Praxen, die sich vor Anfragen kaum retten können und begrenzte Ausbildungsplätze – der Fachkräftemangel an Logopäden in der Schweiz ist enorm. Darunter leiden müssen die Kinder, die dringend logopädische Unterstützung benötigen.
So auch der kleine Gino (5) aus Winkel ZH. Geschlagene neun Monate hat seine Mutter Chantal De Maio (40) nach einem Logopäden gesucht. «Letzten Sommer habe ich 20 Logopädiepraxen angefragt. Alle 20 haben mir abgesagt», so De Maio zu Blick. Immer mit derselben Rückmeldung: Sie seien komplett ausgebucht. «Ich war total konsterniert.» Das könne doch nicht sein. «Müssen sich die Kinder jetzt um Logopädie-Plätze prügeln?» Schuld am Fachkräftemangel sei die Politik. Es würden weder mehr Stellen geschaffen noch mehr Ausbildungsplätze freigegeben.
Kinderspital Zürich wollte Gino nicht abklären
Schon vor dem Chindsgi machten sich bei Gino sprachliche Defizite bemerkbar. «In der Kita meinten sie, man verstehe ihn kaum», so De Maio. Abgeklärt wurde der Junge aber nicht. Man habe gehofft, dass es sich auswächst – das traf aber nicht ein. «Also wollten wir Gino medizinisch untersuchen lassen, um zu wissen, wo das Problem liegt.»
Gino in der Schule abklären? Fehlanzeige! Ende 2020 habe die Logopädin in Winkel aufgehört, Aussicht auf eine Neubesetzung gab es nicht. «Die Stelle blieb monatelang vakant», so De Maio.
Mit einem Dringlichkeitsvermerk wurde De Maio dann zur Abklärung an das Kinderspital Zürich verwiesen und abgewiesen, sagt die Wirtschaftsjuristin empört. Sie seien nicht zuständig, hiess es. Das habe der 40-Jährigen fast den Boden unter den Füssen weggerissen. «Ich wusste mir nicht mehr zu helfen.»
Wegen Sprachstörung gehänselt
Im Oktober 2021 konnten sie dann endlich aufatmen: Gino konnte abgeklärt werden. «Eine schwere expressive Spracherwerbsstörung auf der phonetisch-phonologischen Ebene», lautete die Diagnose. So hatte der Kindergärtler beispielsweise Mühe mit den Lauten «W» und «F» sowie bei der Unterscheidung zwischen «Sch» und «S». «Wir hatten es also schwarz auf weiss: Gino braucht dringend logopädische Unterstützung.»
Da immer noch kein Therapieplatz in Sicht war, legte sich Chantal De Maio Fachbücher zu und las sich in die Thematik ein. «Einen kurzen Moment überlegte ich mir sogar, Logopädie zu studieren.» Aus Zeitgründen entschied sich die berufstätige Mutter aber dagegen. Inzwischen litt auch der kleine Gino unter der Situation: Im Kindergarten fingen sie an, ihn zu hänseln. «Gino zog sich immer mehr zurück und sprach kaum mehr mit anderen Kindern.»
Dass es sich bei Gino um keinen Einzelfall handelt, bestätigt auch Edith Volmer (43), Vizepräsidentin des Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverbands (DLV). Seit längerem schlägt der Verband schon Alarm. «Viele Kinder können nicht therapiert werden, weil an unzähligen Schulen die Logopäden fehlen», sagt Volmer, die selber Logopädin ist. Das habe massive Folgen: «Diese Kinder hinken später oft in der Schule hinterher.» Zudem verfestige sich «die Schwierigkeiten im Sprechen und Verstehen».
Seit mehreren Jahren bestehe bereits ein massiver Fachkräftemangel. «Viele Schulen schreiben Logopädenstellen aus und finden oft monatelang niemanden.» Und da, wo es Logopäden habe, reichen die Stellenprozente häufig nicht aus. «Kinder kommen auf die Warteliste und verlieren dadurch wertvolle Zeit.»
Sei an einer Schule gar keine Logopäde vorhanden, könne weder eine Abklärung noch eine Therapie stattfinden. «Manche Kinder müssen nur schon sechs Monate warten, bis sie überhaupt abgeklärt werden», so Volmer. Im Leben eines Kleinkindes sei dies eine lange Zeit.
Beruf hat ein Imageproblem
Nur schon in der Deutschschweiz seien aktuell 148 Stellen offen, 16 davon in einer Klinik. Doch woran liegt der massive Fachkräftemangel? «Der Beruf hat ein Imageproblem.» Viele hätten das Gefühl, Logopäden würden nur mit den Kindern spielen, dafür sei die Breite des Berufs enorm. «Logopädische Unterstützung braucht es in allen Altersklassen von Frühchen bis zu älteren Menschen.» So seien auch Schlaganfall-Patienten oder Leute, die ein Schädelhirntrauma erlitten haben, auf Logopädie angewiesen. Zudem sei der Stellenwert der Sprache in der Schule gestiegen. Deshalb ist es wichtig, dass bereits im Kleinkindalter mit der Logopädie gestartet werde, wenn ein Kind die Sprache nicht von alleine entdeckt.
Auch an Ausbildungsplätzen mangelt es. Bis letzten Herbst konnte man an einer von vier Ausbildungsstätten in der Deutschschweiz nur alle zwei Jahre mit dem Logopädie-Studium beginnen. Das habe sich nun endlich geändert. «Es fehlen aber immer noch Ausbildungsplätze», sagt Volmer. Die Warteliste für Studiumsplätze sei lang. Trotzdem bräuchte es noch mehr Interessierte, um den Bedarf an Logopädie abzudecken.
Auch die Bezahlung stelle ein Hindernis dar, um die Attraktivität des Berufs, der mehrheitlich von Frauen ausgeübt werde, zu steigern. «Freipraktizierende Logopäden, die im Erwachsenenbereich tätig sind, haben ein sehr schlechtes Honorar», so Volmer.
Dass es sich bei Gino um keinen Einzelfall handelt, bestätigt auch Edith Volmer (43), Vizepräsidentin des Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverbands (DLV). Seit längerem schlägt der Verband schon Alarm. «Viele Kinder können nicht therapiert werden, weil an unzähligen Schulen die Logopäden fehlen», sagt Volmer, die selber Logopädin ist. Das habe massive Folgen: «Diese Kinder hinken später oft in der Schule hinterher.» Zudem verfestige sich «die Schwierigkeiten im Sprechen und Verstehen».
Seit mehreren Jahren bestehe bereits ein massiver Fachkräftemangel. «Viele Schulen schreiben Logopädenstellen aus und finden oft monatelang niemanden.» Und da, wo es Logopäden habe, reichen die Stellenprozente häufig nicht aus. «Kinder kommen auf die Warteliste und verlieren dadurch wertvolle Zeit.»
Sei an einer Schule gar keine Logopäde vorhanden, könne weder eine Abklärung noch eine Therapie stattfinden. «Manche Kinder müssen nur schon sechs Monate warten, bis sie überhaupt abgeklärt werden», so Volmer. Im Leben eines Kleinkindes sei dies eine lange Zeit.
Beruf hat ein Imageproblem
Nur schon in der Deutschschweiz seien aktuell 148 Stellen offen, 16 davon in einer Klinik. Doch woran liegt der massive Fachkräftemangel? «Der Beruf hat ein Imageproblem.» Viele hätten das Gefühl, Logopäden würden nur mit den Kindern spielen, dafür sei die Breite des Berufs enorm. «Logopädische Unterstützung braucht es in allen Altersklassen von Frühchen bis zu älteren Menschen.» So seien auch Schlaganfall-Patienten oder Leute, die ein Schädelhirntrauma erlitten haben, auf Logopädie angewiesen. Zudem sei der Stellenwert der Sprache in der Schule gestiegen. Deshalb ist es wichtig, dass bereits im Kleinkindalter mit der Logopädie gestartet werde, wenn ein Kind die Sprache nicht von alleine entdeckt.
Auch an Ausbildungsplätzen mangelt es. Bis letzten Herbst konnte man an einer von vier Ausbildungsstätten in der Deutschschweiz nur alle zwei Jahre mit dem Logopädie-Studium beginnen. Das habe sich nun endlich geändert. «Es fehlen aber immer noch Ausbildungsplätze», sagt Volmer. Die Warteliste für Studiumsplätze sei lang. Trotzdem bräuchte es noch mehr Interessierte, um den Bedarf an Logopädie abzudecken.
Auch die Bezahlung stelle ein Hindernis dar, um die Attraktivität des Berufs, der mehrheitlich von Frauen ausgeübt werde, zu steigern. «Freipraktizierende Logopäden, die im Erwachsenenbereich tätig sind, haben ein sehr schlechtes Honorar», so Volmer.
Endlich kann Gino in die Logopädie gehen
Als der schulpsychologische Dienst Chantal De Maio im Dezember 2021 dann noch vorschlug, dass Gino ein Jahr länger im Kindergarten bleiben und anschliessend in eine Sprachheilschule soll, habe es der Mutter «den Deckel gelupft». «Wegen etwas, was die Politik nicht auf die Reihe kriegt, sollte mein Kind zurückgestuft werden.» Die Wirtschaftsjuristin nahm das Zepter also selber in die Hand: Sie setzte sich an ihren Computer und stampfte in einer Nacht die Website logopaedie-notstand.ch aus dem Boden. Darin schilderte sie ihre Erfahrung und bat Logopäden um Hilfe – mit Erfolg!
Seit Anfang März kann Gino in die Logopädie gehen. Einmal die Woche bei einer privaten Logopädin in Dübendorf ZH und ein anderes Mal bei der neuen Schullogopädin in Winkel. Chantal De Maio fiel ein riesiger Stein vom Herzen: «Ich bin unheimlich froh, dass Gino nun endlich therapiert wird.» Vom Tisch ist das Thema für die Zürcherin aber noch lange nicht: Mit ihrer Website wolle sie sich weiterhin für Betroffene starkmachen. «Bald möchte ich auch eine Unterschriftensammlung starten, um etwas gegen den Logopädenmangel zu unternehmen.»
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