Auf einen Blick
Die vermeintlichen Beweise der Staatsanwaltschaft gegen Nathan P.* (53) scheinen wasserdicht: Sie wirft dem Familienvater aus Zürich vor, einen Auftragskiller auf Valerie M. angesetzt zu haben, seiner Ex-Partnerin und Mutter seiner Kinder. Die Anklage stützt sich auf Auswertungen von P.s elektronischen Geräten und zeigt auf: Die Recherche zum Auftragsmörder, die Kontaktaufnahme, die Bitcoin-Zahlungen – alles lasse sich auf den Laptop des Beschuldigten zurückverfolgen.
Entsprechend mutig erscheint die Forderung des Verteidigers von Nathan P.: Der erfahrene Ex-Staatsanwalt Markus Oertle plädiert auf Freispruch. Seine Ausgangsposition scheint zunächst aussichtslos. Doch in seinem fast dreistündigen Vortrag am Prozess manövriert er sich aus der Defensive – und greift an.
Die Strategie des Verteidigers und seines Klienten lässt sich in drei Manöver aufteilen. Nummer eins: Zweifel säen.
Der Auftritt von Lidia H.
Die Anklage nennt zahlreiche Zeitpunkte, zu denen Nathan P. am Computer gesessen und den Auftragsmord geplant haben soll. Lidia H., die Lebenspartnerin des Beschuldigten, sagt vor Gericht: «Das kann gar nicht sein.»
Sie legt Daten von Nathan P.s Smartwatch vor. Zu den Zeitpunkten aus der Anklage war P. demnach entweder am Schlafen, gar nicht zu Hause oder gemäss Aussagen seiner Partnerin mit etwas ganz anderem beschäftigt. «Während einer der genannten Zeiträume haben wir zusammen online Geschenke ausgesucht», behauptet Lidia H.
Dann ergreift der Beschuldigte das Wort – und leitet Manöver Nummer zwei ein: Den Verdacht auf jemand anderes lenken.
Der Unbekannte aus der Bar
Nathan P. sitzt während der Verhandlung ruhig auf seinem Stuhl. Er nimmt die Argumente der Staatsanwaltschaft reglos zur Kenntnis und beschreibt sich selbst in seinen Ausführungen dann auch als «ruhigen Typen, der Konflikte scheut».
Ganz so gelassen scheint er aber doch nicht zu sein, wie er später selbst zugeben muss. So hätten ihn die Streitereien mit Valerie M. über Besuche seiner Kinder und Unterhaltszahlungen gereizt. Vor einigen Jahren habe er in einer Bar Adam* kennengelernt, einen Leidensgenossen. Bei ihm habe er Frust ablassen können. Adam habe dabei Valerie M. auch immer mit «etwas vulgäreren Worten» beschimpft.
Dieser Adam, der Mann aus der Bar, dessen Nachname er nicht kenne, könnte in seinen Computer eingedrungen sein, meint der Beschuldigte: «Er ist die einzige Person, die mir in den Sinn kommt, die diese Delikte hätte verüben können.»
Verteidiger Markus Oertle springt in seinem Plädoyer auf diesen Zug auf: «Es wäre technisch möglich, einen Computer zu hacken und von dessen Adresse aus zu agieren.»
Die Staatsanwaltschaft hätte dem nachgehen sollen. Überhaupt habe sie einen schlechten Job gemacht: Die genannten Beweise seien nämlich nicht zulässig, so der Verteidiger. Damit zu seinem dritten Manöver: Die Ermittlungen diskreditieren.
Das ominöse Gutachten eines SP-Nationalrats
Der Verteidiger zitiert ein Gutachten, das der Strafrechtsprofessor und SP-Ständerat Daniel Jositsch im Auftrag von Lidia H. erstellt hat. Rund 23’000 Franken habe die Freundin von Nathan P. dafür hingeblättert. Das Gutachten zeige auf, dass sich die Ermittler nicht an die Schweizer Prozessordnung gehalten hätten.
Wie Daniel Jositsch zu diesem Fazit gekommen sei, führt Oertle in einem einstündigen Monolog aus. Dessen Inhalt ist für die Laien im Gerichtssaal schwer zu erfassen.
In Kürze: Oertle erklärt, die britischen Behörden würden die Auftragskiller-Plattform überwachen – und somit auch die angeblichen Online-Aktivitäten seines Mandanten. Dies sei aber nicht zulässig, da kein Anfangsverdacht gegen P. bestanden hätte.
Der Verteidiger folgert daraus: «Das Gericht muss meinen Mandanten freisprechen.»
Beweise zulässig oder nicht?
Ob die Anklage nichtg ist, darüber entscheiden nun die Richter. Staatsanwältin De Boni argumentiert ihrerseits, die gesammelten Beweise seien durchaus zulässig. Zumal es sich um ein derart schwerwiegendes Delikt handle. «Bei solchen Indizien müssen die Behörden einfach reagieren», so De Boni.
Weiter betont sie, man habe auf den Geräten von Nathan P. keine Hinweise zur genannten Person Adam gefunden. Die Theorie der Verteidigung lasse sich entsprechend durch nichts erhärten. De Boni fordert für den Angeklagten 15 Jahre Haft.
Nach über 10 Stunden Prozess schliesst der Richter am Donnerstagabend die Verhandlung. Das Datum der Urteilsverkündung ist noch offen – ebenso das Schicksal des Beschuldigten Nathan P. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
*Namen geändert