Der ehrwürdige Saal, in dem einst Winston Churchill mit seiner historischen Europarede zum Namensgeber der Vorlesungsreihe wurde, war in den vergangenen Jahrzehnten Bühne für viele bedeutende Persönlichkeiten: Ruth Bader Ginsburg, Henry Kissinger, Helmut Kohl – sie alle hinterliessen ihre Spuren an der Universität Zürich. Am Dienstagabend gab sich Friedrich Merz (68) die Ehre. Der CDU-Bundesvorsitzende teilt mit Churchill eine Vision für Europa: gemeinsam für ein starkes Europa in Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.
Rund 200 Zuhörerinnen und Zuhörer warten bereits eine halbe Stunde vor Beginn geduldig in der Aula der Universität Zürich. Zu spät Kommende müssen sich mit dem Übertragungssaal begnügen. Die vorderen Plätze sind für Ehrengäste reserviert, wie zum Beispiel SP-Ständerat Daniel Jositsch (59) oder FDP-Präsident und Ständerat Thierry Burkart (48).
Anti-Israel-Plakate während der Rede
Kaum hat Merz mit seiner Rede begonnen, wird er auch schon von Aktivisten unterbrochen. Junge Demonstrierende stehen auf, den Mund zugeklebt, und halten Plakate hoch: «Merz hat kein Herz», «Save Gaza» oder «Stop arming Israel». Im Saal wird getuschelt, jemand stöhnt: «Nicht schon wieder». Die Stimmung ist angespannt, kaum jemand konzentriert sich auf den Referierenden.
Und Merz? Der zeigt sich unbeeindruckt, spricht ungestört weiter. Die Demonstrierenden verlassen schweigend den Saal, und die Sicherheitskräfte müssen nicht einmal eingreifen.
Der Vorfall zeigt: Merz polarisiert. Nachdem der Politiker zuletzt 16 Jahre von der politischen Bildfläche verschwunden war, kehrte er 2018 zurück – und das mit Erfolg: Merz schaffte es 2022 im dritten Anlauf, CDU-Parteivorsitzender zu werden. Und gemäss aktuellen Umfragen hat Merz gute Chancen auf das Kanzleramt.
Merz kann über eine Viertelstunde weiterreden, bevor das nächste Störmanöver losgeht. Eine junge Frau steht auf und richtet sich direkt an den CDU-Chef. Ihre Worte gehen im Wirrwar und Klatschen unter – und auch Merz scheint sie nicht zu beachten. Ein älterer Herr versucht es: «Herr Merz, hören Sie mal zu!» Doch auch dieser Appell verebbt im Lärm. Der Herr verlässt den Saal widerstandslos, und nachdem auch der letzte Aktivist den Saal verlassen hat, ist das Publikum deutlich geschrumpft. Aber Merz kann sein Referat beenden.
Eine Bahnhofsuhr für den deutschen Gast
Und wie bei jeder Vorlesung der Europa-Reihe endet der Abend mit einem Verweis auf den guten, alten Churchill: Zwar setzte der ehemalige britische Premierminister sein Leben lang auf eine Taschenuhr, doch als Dankeschön für seinen Vortrag erhält Merz eine Schweizer Bahnhofsuhr. Eine Anspielung auf die Deutsche Bahn sei das jedoch nicht. Das Publikum lacht, alle sind zufrieden – und die Aktivisten vergessen.