Das war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: Intern und recht offen haben hohe deutsche Luftwaffen-Offiziere in einer Schalte über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutiert. Schuld sei ein «individueller Anwendungsfehler», erklärte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag. Es seien disziplinarische Vorermittlungen gegen alle an dem Gespräch beteiligten Personen eingeleitet worden. Spekulationen zur möglichen Einwahl eines russischen Spions in das Gespräch wies der Verteidigungsminister zurück.
Pistorius erläuterte, es sei nach den bisherigen Zwischenergebnissen der Ermittlungen in Singapur zu einem Datenabfluss gekommen. Dort habe sich ein Gesprächsteilnehmer nicht an Vorgaben für die sichere Einwahl gehalten.
Für Scholz ist die Veröffentlichung im doppelten Sinn bitter
Unter Geheimdienstexperten wächst die Befürchtung, dass die Lecks im deutschen Militär nur der Anfang sein könnten. «Normalerweise werden erfolgreiche Abhöraktionen nicht öffentlich gemacht, um der Quelle nicht zu schaden», sagt Ex-BND-Chef August Hanning (78) zu «Bild». Doch Russland wolle Deutschland schaden. Darum könnten noch weitere Veröffentlichungen folgen. Hanning: «Dieser Leak könnte nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein.»
Mit seiner Meinung ist Hanning in den Geheimdienst-Kreisen nicht allein. Deutschland sei gezielt ausgewählt worden, wie eine Quelle gegenüber der britischen Zeitung «Telegraph» berichtet. Das Land sei als «schwächstes Glied» und Bundeskanzler Olaf Scholz (65) als «nützlicher Idiot» identifiziert worden, dem Westen zu schaden.
Für Scholz ist die Veröffentlichung im doppelten Sinn bitter. Einerseits ist es offenbar gelungen, die Bundeswehr auszuspähen. Andererseits weckt der Inhalt des Gesprächs Zweifel an Scholz' Begründung für die Ablehnung einer Taurus-Lieferung. Denn dem geleakten Gespräch zufolge könnte die Ukraine sehr wohl ohne deutsche Soldaten vor Ort die Marschflugkörper bedienen.
Russen nutzen das Gespräch für Propaganda
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) soll die internen Hintergründe aufklären. Politisch stehen drei Szenarien im Raum: Die Union beantragte bereits eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses und verlangt von Scholz, dort persönlich zu erscheinen. Auch eine Regierungserklärung fordert sie. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (53) und CDU-Aussenpolitiker Jürgen Hardt (60) wollten darüber hinaus einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht ausschliessen.
Russische Vertreter versuchen, das abgehörte Gespräch für ihre Seite auszunutzen. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow (73) sagte, das Gespräch zeige, «dass das Kriegslager in Europa immer noch sehr, sehr stark ist», es solle Russland eine «strategische Niederlage auf dem Schlachtfeld» zugefügt werden. (AFP/jmh)