Der Zuger Anwalt Christian Gärtner (57) war gerade mit seinem pinken Lamborghini unterwegs, als es plötzlich blitzte. Radarkontrolle! Ganze 21 km/h sei er zu schnell gewesen, hiess es später in einem Schreiben der Polizei. Verkehrte Welt: Das könnte zwar teuer werden – aber nicht für den Lambo-Fahrer, sondern für die Kapo Zürich. Denn Gärtner mag nicht nur Pferdestärken, sondern auch Paragrafen. Der Zuger Anwalt verlangte Akteneinsicht. Und fand heraus: Die Polizei hat etwas Wichtiges vergessen. Alle Bussen, die an jenem Standort ausgestellt wurden, könnten ungültig sein.
Doch der Reihe nach: In der letzten Mai-Woche 2022 kam Gärtner auf der Albisstrasse in Rifferswil ZH in Richtung Mettmenstetten ZH in eine Radarkontrolle. Er soll auf der 80er-Strecke nach Abzug der Toleranz 21 km/h schneller als erlaubt gefahren sein. «Es war ein sonniger Nachmittag», erinnert sich der Familienvater. Er sei mit seinem Bruder auf dem Heimweg gewesen. «Da hat es geblitzt. Ich habe gar nicht mitbekommen, was los war.»
Der Strafbefehl brachte Klarheit: Busse von 260 Franken und Verfahrenskosten von 330 Franken. Der Rechtsanwalt blieb gelassen. «Da ich mich ja beruflich mit solchen Sachen befasse, habe ich erst einmal Akteneinsicht beim Statthalter beantragt.»
Verfahren gegen Gärtner wurde eingestellt
Als Gärtner die Unterlagen der Kapo Zürich sichtete, stellte er fest: «Beim Messvorgang ist ein gravierender Fehler vorgefallen. Ich hatte den Statthalter darauf hingewiesen. Leider zunächst ohne Erfolg.» Erst nach der Einvernahme sei das Verfahren gegen ihn am 18. Juli 2023 eingestellt worden.
Der Statthalter bestätigt Blick: «Nach einer Einsprache einer Person gegen den Strafbefehl stellte sich heraus, dass das Messprotokoll der Kantonspolizei Zürich lückenhaft ist.» Es fehle das sogenannte Ausrichtbild nach dem Einrichten des Messgerätes. Dieses Bild muss dann auch protokolliert werden, was im vorliegenden Fall nicht passiert ist.
Der Statthalter sagt weiter: «Weil somit nicht sicher ist, ob die Messanlage im Verlauf der Messdauer verschoben wurde, steht auch das Messergebnis nicht zweifelsfrei fest.» Deshalb könne eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mit rechtsgenügender Sicherheit nachgewiesen werden.
«Die Allerwenigsten haben Akteneinsicht beantragt»
Brisant: In der besagten Woche wurden an der Stelle noch 212 andere Verkehrsteilnehmer geblitzt, wie Gärtner in den Akten entdeckte. «Dramatisch ist: Ich habe den Statthalter gebeten, dafür zu sorgen, dass auch diese Bussen und Verfahren eingestellt werden.» Er habe aber bis heute keine Antwort erhalten.
«Es trifft auch zu, dass während der Messdauer insgesamt 213 Übertretungen festgestellt wurden», sagt der Statthalter auf Nachfrage von Blick. Man habe 13 Strafbefehle ausgestellt. «Wie mit den übrigen erlassenen 12 Strafbefehlen und den durch die Kantonspolizei Zürich ausgesprochenen Ordnungsbussen zu verfahren ist, ist Gegenstand weiterer Abklärungen, weshalb wir dazu nichts sagen können», so der Statthalter.
Gärtner ist sicher: «Die Allerwenigsten haben Akteneinsicht beantragt.» Er glaubt, dass die Bussen einfach bezahlt worden sind. Aber, so Gärtner: «Die Gebüssten sollten sich wehren. Die Bussen sind aufzuheben und das bezahlte Geld muss der Staat zurückzuzahlen.» Wer in der besagten Woche ebenfalls in Rifferswil geblitzt worden sei, könne sich bei seinem Anwaltsbüro melden. «Wir helfen, ohne Anwaltshonorare zu berechnen. Die Anwaltskosten werden wir uns im Rahmen der Staatshaftung vom Kanton Zürich holen.»
Kapo Zürich spielt den Ball dem Statthalter zu
Und was sagt die Kapo Zürich? «Wir sind überzeugt, in all diesen Fällen korrekt gehandelt zu haben», sagt Sprecher Florian Frei. Und er sagt: «Der Statthalter hat im besagten Fall leider darauf verzichtet, wie in solchen Fällen ansonsten üblich, ein entsprechendes Gutachten als zusätzliches Beweismittel anzufordern.» Damit würden die Messwerte noch einmal bestätigt. Auf diesen Vorwurf angesprochen, sagt der Statthalter zu Blick: «Ich gebe dazu keinen Kommentar ab.»
Sicher ist: Laut Frei von der Kapo Zürich sind die Ordnungsbussenverfahren – bis auf zwei wegen Lenkerabklärungen – zwischenzeitlich abgeschlossen. Weitere Fragen werden nicht beantwortet. Heisst: Es ist unklar, wie viele von den 212 Gebüssten ebenfalls davongekommen wären, wenn sie sich wie Gärtner gewehrt hätten – oder, wenn sie es noch tun würden.