Auf einen Blick
Es ist eine abscheuliche Tat, die am Mittwoch vor Bezirksgericht Winterthur verhandelt wurde. Der heute 24-jährige Irfan M.* stand vor Gericht, weil er die 63-jährige, wehrlose und an Arthritis leidende Bettina V.* im Herbst 2022 in Rickenbach ZH in einem Feld vergewaltigte, und diese schliesslich auch versucht hat zu töten. V. wog zu diesem Zeitpunkt keine 40 Kilogramm und hatte gegen den 105-Kilo-Koloss M. keine Chance. Nur mit Glück überlebte sie die Attacke – mittlerweile ist sie verstorben. Die Brutalität schockiert sogar abgebrühte Gerichtsgutachter. Wie ist ein Mensch nur dazu fähig?
Die Ausgangslage war schon vor Beginn des Prozesses derart klar, dass Irfan M. zu Beginn der Verhandlung ein umfassendes Geständnis gegenüber dem Gericht in Aussicht stellte. M. zeigte in seiner Abschlussaussage späte Reue: «Ich weiss, dass ich mich ein Leben lang dafür schämen muss. Meine Taten sind nicht zu entschuldigen.» Zum Motiv sagte er aber während der gesamten Verhandlung kein Wort, während er ausgiebig Auskunft über seinen Drogenkonsum gab.
Die Brutalität des Falles lässt langjährige Experten, wie den Psychiater Thomas Knecht (66), ehemaliger Leiter des psychiatrischen Zentrums Herisau, nicht kalt: «Ich mache diesen Job seit den Achtzigerjahren. Ich stelle zwar eine Verrohung über die Jahrzehnte fest, ein derart brutaler Fall kommt aber selten vor.»
Motiv immer noch unklar
Ein klares Motiv konnte auch durch ein Gerichtsgutachten beim Prozess nicht geklärt werden. Der Gutachter stellte mehrere Hypothesen auf. Ob es dem Täter primär um die Vergewaltigung oder um die Tötung des Opfers ging oder, ob er aus sadistischen Motiven heraus handelte, ist darum weiterhin unklar. Nicht ohne Grund, wie Knecht erklärt: «Eigentlich sind es in vielen Fällen alle drei Faktoren. Angesichts der Tatsache, dass das Opfer in ihrer gesundheitlichen Verfassung keine maximale, sexuelle Ausstrahlung hatte, liegt aber der Verdacht nahe, dass das Überwältigen und Brechen des Willens des Opfers einen stärkeren Reiz ausgemacht hat als der sexuelle Triebdruck.»
In besonders schweren Fällen dieser Neigung könne man von «Biastophilie» sprechen, wo das Brechen des Willens einen lustvollen Kick verursacht. «Die Opferwahl in solchen Fällen erfolgt nicht unbedingt nach sexueller Attraktion, sondern nach Schwäche des Opfers. Entscheidend dabei ist, dass die Überwältigung und Vergewaltigung sicher gelingen.» Ein Altersfetisch wie «Gerontophilie» sei weniger wahrscheinlich, da der Täter dafür eine konstante und fixierte Ausrichtung auf Frauen mit Altersmerkmalen im Verlauf seines Lebens gezeigt haben müsse. Bei der Gerichtsverhandlung waren derartige Neigungen allerdings kein Thema.
Täter war zuvor (fast) unbescholten
Der Täter war der Polizei zuvor zwar bekannt, allerdings «nur» wegen Drogen- und Verkehrsdelikten. Das alleine sage aber noch nichts über den Charakter des Täters aus, wie Knecht erklärt: «Besondere Rücksichtslosigkeit oder Kaltblütigkeit kann sich auch anders zeigen. Zum Beispiel im Strassenverkehr, beim Sport oder ganz allgemein im Umgang mit Menschen.» Narzissmus, schwache Gewissensfunktionen oder Tierquälerei, seien weitere Indikatoren für potenzielle Gewalttätigkeit. «Viele Menschen haben abartige sexuelle Fantasien, aber was man umsetzt, hängt von der charakterlichen Disposition ab.»
Die Verteidigung von Irfan M. rückte während des Prozesses dessen Drogenkonsum immer wieder in den Fokus. M. antwortete bei Fragen zur Tat an sich sehr zurückhaltend, ging es aber um den Drogenkonsum, war er freizügig mit seinen Aussagen. M. habe am Tag vor der Tat Cannabis und Kokain konsumiert, was seine Schuldfähigkeit zumindest einschränke, so die Verteidigung. Dieses Argument lässt Knecht nur eingeschränkt gelten: «Kokain wirkt etwa 90 Minuten, Cannabis etwa vier Stunden. Zumindest Cannabis steigert das Aggressionspotenzial aber nicht.» Kokainkonsum sei hingegen oft ein Zeichen für narzisstische Probleme und müsse in die Beurteilung einfliessen.
Während das Motiv weiterhin unklar bleibt, sind die juristischen Falllinien bereits gezogen. Der Staatsanwalt fordert die Maximalstrafe von 20 Jahren Haft. Die Verteidigung plädiert auf neun Jahre. Das Urteil wird am Donnerstag verkündet.
* Namen geändert