Es ist ein sonniger, friedlicher Herbsttag Ende September 2022. Kim (6) – zu diesem Zeitpunkt noch fünf Jahre alt – und ihr Bruder Mike (8) begleiten Vater Beat Gisler (36). Der Unternehmer muss auf der Eggberge in Altdorf UR einen Auftrag in einem Ferienhaus ausführen. Die Familie überquert gerade eine Wiese, als aus dem Nichts ein Rottweiler angeschossen kommt und das zierliche Mädchen angreift. Der Hund beisst mehrmals zu – in den Brustbereich, in den Bauch, unter die Achsel und ins linke Bein. «Er hatte es auf sie abgesehen», sagt Gisler zu Blick. «Es war fast unmöglich, den Hund von ihr wegzureissen.»
Bruder Mike wittert die Gefahr und rennt weg. Vater Gisler kümmert sich um seine verletzte Tochter, während sich der Besitzer des Hundes – ein Zürcher Student – den Rottweiler packt und festhält. «Der junge Mann lag auf dem Boden und hielt den Hund vor seiner Brust fest. Der Hund hatte ja kein Halsband und auch keine Leine an.»
Gisler fährt mit seiner Tochter mit der Gondel von Eggberge nach Altdorf ins Spital. Insgesamt wird sie fünf Tage lang dort behandelt. «Die Ärzte mussten ihr unter der Achsel ein Stück Fleisch entfernen, um die Wunde richtig nähen zu können. Inzwischen sind die Narben recht gut verheilt.» Für ihre Tapferkeit und ihren Mut erhielt Kim im Spital ein Diplom, auf das sie sehr stolz ist.
Keine Anzeige, dafür eine Meldung
Die Familie entscheidet sich, den Zürcher Studenten nicht anzuzeigen. «Wir wollten ihm seine Zukunft nicht verbauen. Und für uns ist es eben einfach bloss ein Unfall», erklärt Vater Gisler. Den Rottweiler hingegen hat die Familie bei den Behörden gemeldet. Zuständig ist das Veterinäramt Zürich. «Dieses konnte den Fall auch nach rund acht Monaten noch nicht abschliessen. Wir erhalten gar keine Informationen», kritisiert Vater Gisler. «Und gemäss dem Halter sind bis heute auch keine Massnahmen für den Hund getroffen worden. Für uns unverständlich und nicht nachvollziehbar. Wir haben das Gefühl, dass der Hund ihnen mehr wert ist als unsere Kim.»
Das Veterinäramt Zürich darf zu konkreten Fällen keine Angaben machen – auch nicht gegenüber Betroffenen. Das sorgt für Frust: «Viele reagieren empört. Denn oft wollen sie wissen, welche sichernden Massnahmen wir getroffen haben und ab wann diese wirken», sagt Sprecherin Mona Neidhart. «Natürlich haben wir Verständnis dafür.» Doch die Rechtslage sei klar.
Dauer von Verfahren
Bei Beissvorfällen können laut Neidhart nach Überprüfung der Sachlage verschiedene Massnahmen getroffen werden. Diese reichen von einer Ermahnung, den Hund korrekt in der Umwelt zu führen, über eine Maulkorb- und Leinenpflicht bis hin zu einem Führverbot für Drittpersonen. Neben einer Verhaltenstherapie ist es möglich den Hund zu beschlagnahmen, umzuplatzieren – oder sogar einzuschläfern.
Wie lange ein Verfahren dauert, hänge von verschiedenen Faktoren ab. «Die Bandbreite reicht von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten – in Ausnahmefällen sogar über Jahre», sagt Neidhart. «Beispielsweise können Abklärungen zum Ereignis einen Fall in die Länge ziehen, wenn also der Sachverhalt nicht belegt ist und Aussage gegen Aussage steht. Weiter kann die Dauer eines Verfahrens von so simplen Dingen – wie etwa der Zustellung von Schreiben – abhängen. Und nicht zuletzt kann es zu Rekursen kommen und ein Verfahren kann über mehrere Instanzen gehen.»
Die Gislers hingegen wollen so rasch wie möglich mit dem Fall abschliessen. «Wir wünschen uns für den Hund eine humane, aber wirkungsvolle Massnahme – jedoch nicht den Tod.»