Letzte Worte des Angeklagten
Der Beschuldigte entschuldigt sich bei den beiden angegriffenen Polizisten und bei seiner Ex-Frau – in einem einzigen Satz. Er sagt danach, dass er den Bremsreiniger als Mechaniker immer im Auto dabei habe, der sei ein Arbeitsutensil und kein Mordwerkzeug. Danach erklärt die vorsitzende Richterin den Prozess für beendet. Das Urteil erfolgt schriftlich in den kommenden Tagen.
Verteidigerin glaubt nicht an Tötungsabsicht
Die Verteidigerin analysiert die Tatbeschreibung der Staatsanwalt in allen Details. Sie kann darlegen, dass einzelne Beweise für die Darstellung ihres Mandanten spricht. «Die Umstände sprechen gegen eine Tötungsabsicht», sagt die Verteidigerin. Sie will Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung. Und nicht für versuchten Mord. Die Verletzungen seien bei der Ex-Frau ihres Mandanten auch nur leicht gewesen. Sie findet ein Strafmass von maximal 38 Monaten und eine Landesverweisung von fünf Jahren angezeigt, sagt sie. Das psychische Gutachten sei in nur zwei kurzen Sitzungen erstellt worden. Es seien viele Aussagen bei fremden Personen eingeholt worden für die Diagnose. Das Gutachten mit der Diagnose Schizophrenie sei somit nicht verwertbar. Die Plädoyers sind somit vorbei.
Verteidigung kritisiert Untersuchung
Die Verteidigerin wirft der Staatsanwaltschaft vor, die Taten ihres Mandanten ungenügend untersucht zu haben. So seien zum Beispiel die Tathandlungen nur beschränkt beschrieben worden. «Viele Details lassen sich der Anklage nicht entnehmen.», sagt die Verteidigerin. Zuerst habe sie auf versuchte Tötung hin untersucht. Plötzlich, und ohne Begründung, sei die Staatsanwaltschaft plötzlich auf versuchten Mord umgeschwenkt. Die Verteidigerin kreidet auch an, dass die Beschreibung des subjektiven Tatbestands nur ungenügend erfolgt sei. «Die Verteidigung kann so nur schwer auf die Vorwürfe eingehen», sagt die Anwältin.
Wechsel der Waffe
Die Anklägerin zeigt auf, dass die Tat äusserst grausam ausgeführt worden ist. Sie sagt: «Feuer als Waffe einzusetzen bedeutet, dass er seinem Opfer gezielt Schmerzen zufügen wollte. Dass er während dem Angriff die Waffen gewechselt hatte, zeigt seine Skrupellosigkeit. Darum fordert die Staatsanwältin eine Verurteilung für versuchten Mord, und nicht Tötung. Sie erwähnt auch, dass sich der Angeklagte nach der Tat versucht hatte, sich umzubringen. Er zündete sich nach der Untersuchungshaft selber an. Er lag monatelang im künstlichen Koma. «Das wird ihn immer an seine Tat erinnern», sagt die Staatsanwältin. Sie wirft ihm vor, die Tat bagatellisiert zu haben. «Er behauptete, dass er sie nur erschrecken wollte.» Sie schliesst die Anklage nach nur 20 Minuten ab. Es folgt das Plädoyer der Verteidigerin.
Staatsanwältin spricht von «Mordlust»
Nach der Pause verliest die Staatsanwältin die Anklage. Das Opfer, die Ex-Frau, ist noch immer im Gerichtssaal. Das Gericht ist ausschliesslich mit Frauen besetzt. Das Richterinnengremium, die Staatsanwältin, die Verteidigerin. Die Staatsanwältin beginnt mit der Beschreibung der Tat. «Er benutzte den Bremsreiniger-Spray, weil mit dieser Flüssigkeit die weiteste Reichweite mit einer Flamme haben wollte. Das zeigt, dass er seine Ex-Frau umbringen wollte», sagt die Anklägerin. «Auch, dass er im Auto noch eine Flasche mit Kohlendioxid mitgeführt hatte, beweist seine Tötungsabsicht. Man kann googeln: Töten mit Kohlendioxid.», sagt die Staatsanwältin. Auch, dass er den Spray, das Feuerzeug, das Messer und das CO2 mitgebracht hatte, beweise die Absicht, seine Frau zu töten. «Er legte eine wahre Mordlust an den Tag», hält die Staatsanwältin fest.
Lieber ins Gefängnis
Der Beschuldigte hält fest, dass er lieber ins Gefängnis wolle, als in der Psychiatrie in Königsfelden zu sein. Warum er das will, kann er nicht sagen. Anschliessend erklärt die vorsitzende Richterin das Beweisverfahren als abgeschlossen. Nach einer kurzen Pause werden die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung folgen.
Psychisches Gutachten sei falsch
Er streitet ab, dass er an paranoider Schizophrenie leidet, wie das im Gutachten steht. In der Klinik Königsfelden mache er zwar alles mit, was verlangt werde. Aber an die Diagnose glaube er nicht. Dann spricht er über die Verbrennungen. Die seien schwer, aber heilen gut. In der Psychiatrie verstehe er sich gut mit den anderen Insassen. Und: «Ich erhalte regelmässig Besuch von meinen Eltern.» Er besitze noch immer gemeinsam mit seiner Ex ein Haus in Serbien. Wie sie das lösen werden, weiss er noch nicht. Er kann sich auch vorstellen, nach Serbien zurückzugehen, falls die Landesverweisung ausgesprochen wird. Mit dem gemeinsamen Sohn habe er Kontakt. Als ihm die Richterin die Gelegenheit gibt, seiner Ex im Gerichtssaal etwas zu sagen, lehnt er ab. Er sagt nur: «Ich habe ihr nichts zu sagen.» Er nutzt die Gelegenheit nicht, sich zu entschuldigen. Er hält fest, dass er seine Ex auch am Tattag geliebt habe. «Ich hasse sie nicht», sagt er.
Angriff auf Polizisten
Die Richterin konfrontiert den Angeklagten, dass er die Polizisten angegriffen und verletzt hatte. Sie erlitten Rissquetschwunden, hatten zerrissene Hosen, der eine Beamte hatte Blut auf den Kleidern. Er streitet jeden Angriff auf die Polizisten ab. «Ich habe mich ergeben, ich habe keine Gewalt angewendet», behauptet er zuerst. Dann schwenkt er um mit der Aussage: «Ich entschuldige mich bei den beiden Polizisten. Ich habe mich falsch verhalten.»
Der Beschuldigte behauptet, er wollte nur mit ihr reden
Die Richterin konfrontiert den Angeklagten mit seiner Tat. Er streitet ab, dass er die Absicht hatte, sie zu verletzen. «Ich wollte nur mit ihr reden», sagt er mit sonorer Stimme auf Hochdeutsch. «Als ich die Flamme zündete, war sie zwei bis drei Meter entfernt. Ich wollte nur mit ihr reden. Sie schrie mich an. Dann schloss sie sich in der Toilette ein.» Es sei alles sehr schnell gegangen. «Ich wollte ihr nur etwas Angst machen, Sie weigerte sich immer, mit mir zu reden, sie wich mir aus. Ich musste etwas mit ihr über die Familie in Serbien besprechen.» Die Schnittverletzungen seiner Ex kann er nicht erklären. Er behauptet, dass er nicht mit dem Messer auf sie losgegangen sei. Er streitet auch ab, dass er seine Frau töten wollte.
Täter war eifersüchtig
Während der Ehe sei ihr Ex krankhaft eifersüchtig gewesen. «Wenn ich jemanden in der Migros begrüsst habe, sah er in der Person gleich einen Liebhaber.» Dann will sie nicht mehr über die Vergangenheit reden. «Wir waren seit 2018 getrennt. Wir hatten nichts gemeinsam, als er mich schliesslich an dem Tag im April 2021 angriff.» Dann fasst sie zusammen: «Ich will einfach nur meine Ruhe.» Sie bleibt trotzdem noch im Gerichtsaal, um die Aussage ihres Ex-Mannes zu hören.
Am Klingelschild der früheren Familienwohnung in einem Luzerner Quartier steht auch heute noch sein Name. Doch Bojka T.* (43) wohnt seit Jahren nicht mehr hier. Der Serbe lebt seit Anfang Dezember 2019 getrennt von seiner jetzigen Ex-Frau Andrea T.* und dem gemeinsamen Sohn. Rund eineinhalb Jahre später, im April 2021, kehrt er zur ehemaligen Familienwohnung zurück – und versucht hier, seine Ex zu töten. Davon ist zumindest die Staatsanwaltschaft überzeugt. Bojka T. hingegen behauptet: Er habe seine Ex nur erschrecken wollen.
Eine Nachbarin sagt am Montag zu Blick: «Es war immer wieder laut in der Wohnung.» Aber seit er nicht mehr hier sei, ist es ruhiger geworden.
Inzwischen befindet sich Bojka T. im vorzeitigen Massnahmenvollzug in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden in Windisch AG. Am Dienstag muss sich der Serbe vor dem Kriminalgericht in Luzern wegen versuchten Mordes und mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte verantworten.
Sohn war alleine zu Hause
Rückblick gemäss Anklageschrift: Am Abend des 14. Aprils 2021 griff Bojka T. sich in seinem eigenen Apartment ein Küchenmesser sowie eine Sprühdose mit Bremsenreiniger und fuhr zur ehemaligen Familienwohnung.
Dort angekommen, traf Bojka T. auf den gemeinsamen Sohn. Seine Ex-Frau Andrea T. befand sich an einer Geburtstagsfeier. Der Sohn alarmierte seine Mutter verdeckt per SMS und bat sie, die Polizei zu informieren und nach Hause zu kommen.
Jacke und Haare fingen Feuer
Als Andrea T. gerade die Wohnung betreten wollte, schaffte es der Sohn, aus dieser zu flüchten. Gleichzeitig packte der Beschuldigte Andrea T. und zerrte sie in die Wohnung. Dort griff er zur Spraydose, setzte den Sprühstrahl in Brand und richtete diesen gegen seine Ex. Sofort fingen ihre Jacke und Haare Feuer.
Andrea T. flüchtete ins Badezimmer, zog die Jacke aus und klopfte mit der Handfläche auf die brennenden Stellen im Haar, um das Feuer zu löschen.
Stiche mit Händen abgewehrt
Der Beschuldigte liess jedoch nicht von ihr ab. Gemäss Anklageschrift versuchte Bojka T. weiterhin, Andrea T. unter der Badezimmertüre hindurch anzuzünden.
Irgendwann gelang es ihm, die Türe aufzubrechen und seiner Ex das Handy aus der Hand zu schlagen. Andrea T. war gerade dabei, die Polizei zu alarmieren. Der Frau gelang es, aus dem Bad zu flüchten und zur Wohnungstüre zu rennen.
Er wollte Ex «nur erschrecken»
Doch Bojka T. fing sie ein und stach mehrere Male mit dem mitgebrachten Küchenmesser zu. Andrea T. wehrte die Stiche ab. Sie erlitt dadurch Schnittverletzungen an Händen und Armen. Erst die eintreffende Polizei konnte den Mann überwältigen und festnehmen.
Speziell: Der Beschuldigte gibt den Ablauf des Geschehens in den wesentlichen Grundzügen zu. Bojka T. streitet jedoch ab, dass er seine Ex töten wollte. Er habe sie «nur erschrecken wollen», heisst es in der Anklageschrift.
Fluchtversuch
Zum Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte steht dort: Rund einen Monat später wollte man mit dem Beschuldigten, der in U-Haft sass, ärztliche Unterlagen aus seiner Wohnung holen. Dort versuchte er, vor den begleitenden Polizisten zu flüchten. Diese konnten ihn stoppen, doch weil er sich so enorm wehrte, erlitten die Beamten diverse Verletzungen.
Die Staatsanwaltschaft macht gleich mehrere Anträge zur Sanktion geltend: In einem ersten Schritt fordert sie acht Jahre Freiheitsstrafe – bei Annahme einer mittleren bis schweren verminderten Schuldfähigkeit. Auch soll die bisher abgesessene Zeit im Gefängnis angerechnet werden. Weiter wird ein Landesverweis von 15 Jahren gefordert sowie eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB – die sogenannte «kleine Verwahrung». Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft Bojka T. als psychisch schwer gestörten Täter einstuft, der ein Verbrechen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht.
Die Anwältin des Beschuldigten war für Blick am Montag nicht erreichbar. Andrea T. hingegen wohnt weiterhin in der früheren Familienwohnung. Die Nachbarin beschreibt sie als «gepflegte Frau, die sich um ihren Sohn kümmert und hart arbeitet».
*Namen geändert