Kriegt er jetzt lebenslänglich – oder wird er freigesprochen und erhält sogar eine hohe Entschädigung für die lange Untersuchungshaft? Im Fall der brutalen Tötung der dreifachen Mutter Selena K.* (†29) in Emmenbrücke LU kämpften Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit harten Bandagen. «Er hat sich nur verteidigt», sagte der Anwalt des Täters und forderte eine sofortige Freilassung seines Mandanten. «Er ist ein eiskalter Mörder. Er stach 60 Mal zu und liess nicht von ihr ab, bis sie nicht mehr lebte», sagte die Anklage und wollte eine lebenslange Haftstrafe. Das Richtergremium des Kriminalgerichts urteilte am Donnerstagnachmittag bis auf eine kleine Ausnahme im Sinne der Anklage. Julian P.* (36) ist schuldig des Mordes – und muss 20 Jahre in den Knast.
Während der Verkündung des Urteils lässt der Beschuldigte keine Zweifel, was er von den Richtern hält. «Die haben doch keine Ahnung! Das kann doch nicht wahr sein», sagt er mehrmals laut. Die Richterin unterrichtet ihn mit ruhiger Stimme, dass jetzt nicht die Zeit sei, zu diskutieren. Sie stellt klar: «Wenn sie nicht zuhören können, müssen sie den Saal verlassen.» Er hält sich etwas zurück, prustet und stöhnt aber immer wieder laut und schüttelt den Kopf, zieht die Augenbrauen hoch und haut sich mit der flachen Hand auf die rasierte Glatze. Die Richterin verzeiht so manche Provokation und lässt ihn im Saal.
Eingaben der Verteidigung abgelehnt
Alle Vorfragen der Verteidigung zerpflückte das Gericht im Vorfeld der Urteilsverkündung. Die Richterin hält fest, dass die Untersuchung sehr aufwendig geführt worden sei. Auch die Kritik am Gutachten des forensischen Psychiaters Frank Urbaniok lässt sie nicht gelten. Das Bundesgericht habe am Verfahren des langjährigen Experten nie Kritik geübt. Auch alle anderen Eingaben der Verteidigung werden abgelehnt.
So nimmt das Gericht Julian P. zum Beispiel nicht ab, dass er während der Ermittlungen an strategisch wichtigen Kapiteln plötzlich Erinnerungslücken geltend macht. Gleich nach der Tat hatte er relativ umfassend Auskunft gegeben. «Er machte Aussagen, die mit dem Spurenbild übereinstimmen», erklärt die Richterin. Nach der anwaltlichen Beratung legte sich ein «Hirn-Nebel» über die Erinnerungen, ausgelöst durch seine damalige Long-Covid-Erkrankung. Die Verteidigung wollte darum die am Anfang gemachten Aussagen nicht zulassen. Doch die Richterin erklärte die Aussagen als verwertbar.
20 Jahre Haft
Das Richtergremium verurteilt ihn schliesslich wegen Mordes zu 20 Jahren Haft. Als Bestrafung wäre eine lebenslange Haft angebracht, aber wegen seiner leicht verminderten Schuldfähigkeit gibt es eine Reduktion auf eine befristete Freiheitsstrafe von 20 Jahren. Die Voraussetzungen für die Sicherheitshaft seien weiterhin gegeben, er kassiert eine Verlängerung um weitere sechs Monate. Den drei Kindern des Opfers muss er 10'857 Franken Schadenersatz und je 70'000 Franken Genugtuung bezahlen.
Nach der Verkündung des Urteils wird der Verurteilte noch einmal laut. Er sagt entrüstet: «Ich weiss, dass ich unschuldig bin. Können Sie jetzt mit gutem Gewissen sagen, dass die ein Leben zerstören dürfen?» Von Einsicht oder Bedauern für seine Tat ist auch am Ende des Prozesses nichts zu sehen.
* Namen geändert
Der Ticker zum Nachlesen:
Weiterhin Sicherheitshaft
Die Richterin erklärt, dass die lebenslange Strafe auf 20 Jahre ausgelegt wird, weil eine leicht verminderte Schuldfähigkeit anerkannt wird. Die Voraussetzungen für die Sichergheitshaft sei weiterhin gegeben, und wird um weitere sechs Monate verlängert, auch um einen allfälligen Weiterzug des Verfahrens abzuwarten. Den drei Kindern des Opfers muss er 10'857 Franken Schadenersatz und je 70'000 Franken Genugtuung bezahlen.
20 Jahre
Das Gericht begründet: «Er liess dem Opfer keine Chance. Auch nach Abwehrhandlungen liess er nicht ab und verfolgte sie durch die ganze Wohnung. Die krassen Umstände rechtfertigen die höchste Strafe, eine Freiheitsstrafe auf 20 Jahre» erklärt die vorsitzende Richterin.
Schuldig wegen Mordes
«Der Beschuldigte hat im Blutrausch und mit viel Entschlossenheit und grosser Brutalität die wehrlose Frau getötet», sagt die Richterin. Und: «Er ist schuldig des Mordes.»
Vertuschung nicht erwiesen
Entgegen der Anklageschrift könne man eine eiskalte Vertuschung der Tat nicht anerkennen. Das Gericht folgt grundsätzlich der Anklage, sagt die Gerichtsvorsitzende.
Brainfog und Amnesie nicht anerkannt
«Der Beschuldigte war präsent und konnte sich bei den ersten Einvernahmen an alles erinnern», sagt die Richterin. «Dass er plötzlich wichtige Ereignisse vergessen haben soll, ist unglaubwürdig. Alle Einvernahmen sind zugelassen.»
Die Symptome von Long Covid anerkennt die Richterin. Aber dass er schwer bettlägerig gewesen sein soll, und gleichzeitig x-mal ins Tessin gefahren ist, glaubt das Gericht nicht. Sie weist auch auf viele Ungereimtheiten seiner Aussagen hin.
Der Angeklagte schlägt sich mit der Hand auf die Glatze, schüttelt den Kopf und zieht die Augenbrauen hoch. Er prustet. Er bewegt sich hart an der Grenze, dass er nicht vom Gerichtssaal verwiesen wird. Die Hinweise auf einen Schuldspruch verdichten sich.
Aufwändige Untersuchung
Die Richterin hält fest, dass die Untersuchung sehr aufwändig geführt worden ist. Sie sagt: «Weil der Angeklagte jede Schuld ablehnt, müssen wir uns auf die Chat-Nachrichten abstützen.» Der Angeklagte fällt der Richterin mitten in der Verlesung der Begründung ins Wort. Immer wieder. Die Richterin hält fest, dass er jetzt zuhören muss. Er sagt: «Was soll das.» Die Richterin kündigt an, dass sie ihn bei weiteren Unterbrechungen aus dem Saal verweisen wird.
Kritik an Gutachten abgelehnt
Die Verteidigung stellte das Gutachten des forensischen Gutachters Frank Urbaniok als ungenügend dar. Die Richterin lehnt auch diese Eingabe ab, das Bundesgericht habe an dem Verfahren des bekannten Experten nie Kritik geübt. Julian P. regt sich immer mehr auf. Er tuschelt laut in Richtung der Richterin, dass sie keine Ahnung habe. Auch alle anderen Eingaben werden abgelehnt.
Urteil wird mit Spannung erwartet
Die Anklage plädiert auf Mord, die Verteidigung verlangt einen Freispruch. Dazwischen ist fast alles möglich. Anerkennt das Dreiergericht die Schilderungen der Staatsanwaltschaft, gibt es Lebenslänglich.
Alle Parteien sind vor Gericht erschienen. Julian P. hört der vorsitzenden Richterin gespannt zu. Sie nimmt als erstes Stellung zu den Vorfragen der Verteidigung. Er schüttelt den Kopf und stöhnt, als die Richterin die Urteilsunfähigkeit ablehnt. Es gäbe keine Zweifel an der Verwertbarkeit seiner Aussagen nach der Tat.
Heute fällt das Gericht sein Urteil
Ab 15 Uhr wird das Urteil gegen den Angeklagten Julian P. (36) verkündet. Er soll im Sommer 2021 seine Freundin Selena K. (†29) in Emmenbürcke LU mit 60 Messerstichen massakriert haben. Die Staatsanwältin will ihn wegen Mordes lebenslang im Knast sehen. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch vom Mordvorwurf. Blick berichtet live aus dem Gerichtssaal.
Urteil am 9. November
Die Verteidigung hat noch mehrere Beweisanträge gestellt. Wird ihnen nicht stattgegeben, hat die Gerichtsvorsitzende die Verkündung des Urteils auf den neunten November angesetzt. Der zweitägige Mordprozess wird vom Gericht um 17 Uhr als beendet erklärt.