Auf einen Blick
- Mann wegen Mordes an Freundin verurteilt, er zieht Urteil weiter
- Beschuldigter behauptet, Long Covid habe Schuldfähigkeit beeinträchtigt
- 37-Jähriger tötete 29-jährige Mutter mit 60 Messerstichen
Das Schicksal von Selena K.* (†29) erschütterte die Schweiz. Die junge Frau kam im Sommer 2021 gewaltsam zu Tode, als ihr Freund Julian P.* (37) zum Messer griff und rund 60-mal auf die Tessinerin einstach. Die Polizei fand die Leiche der dreifachen Mutter in der Wohnung von P. in Emmenbrücke LU. Der Bluttat ging offenbar ein Streit voraus, bei dem es um eine geplante Reise des Paares ging. Da der Lehrer wegen seiner Long Covid-Erkrankung nicht mitreisen konnte, wollte K. alleine gehen. Dies akzeptierte P. nicht.
Der Schweizer wurde in erster Instanz des Mordes schuldig gesprochen und muss für 20 Jahre hinter Gitter. Doch damit gibt sich P. nicht zufrieden. Der 37-Jährige zieht das Urteil weiter, wie «Zentralplus» berichtet. Ein Jahr nach der ersten Verurteilung gibt das 200-seitige Urteil des Kriminalgerichts Einblicke in das Denken eines Mannes, der durch sein starkes Kontrollbedürfnis und Neigungen zur Aggressivität vom freundlichen Typen zu einem Killer wurde.
Druck und Stress bringen Probleme hervor
Ehemalige Freundinnen P.s berichten, dass er zunehmend die Kontrolle über seine Emotionen verloren habe. Auch am Arbeitsplatz sei er immer mehr durch Absenzen und Unpünktlichkeit aufgefallen.
In einem psychologischen Gutachten heisst es, der Mittdreissiger habe in «Phasen starker emotionaler Selbstbezogenheit» ein fehlendes Gefühl für die Verhältnismässigkeit seines Verhaltens. Das bedeutet: In normalen Situationen wirke er freundlich und offen, unter Druck und Stress zeige er jedoch problematische Persönlichkeitsmerkmale wie gesteigerte Egozentrik und Tendenzen zur Manipulation. P. könne sein Verhalten in diesen Situationen nicht mehr abwägen und einschätzen, was der Wahrheit entspreche. Eine psychische Störung liegt aber nicht vor.
«Es ist ein Riesenaffront»
Der Verurteilte möchte in zweiter Instanz geltend machen, dass Long Covid zum Tatzeitpunkt sein Leben beherrscht habe. Der Anwalt argumentierte, P. habe wegen seiner Beschwerden an einer «tiefgreifenden Bewusstseinsstörung» gelitten und sei nicht schuldfähig gewesen.
Das Urteil zeichnet jedoch ein anderes Bild: Die Richter sahen in den Aussagen des Beschuldigten reine Schutzbehauptungen. Sie werfen ihm vor, die Tatsachen so zurechtzulegen, wie es ihm gerade passt.
Der Beschuldigte beharrte immer wieder auf seine Long-Covid-Erkrankung. Bei der Urteilsverkündung unterbrach er mehrfach die Richterin und reagierte emotional. «Merken Sie nicht, dass es ein Riesenaffront ist, so etwas gegenüber einer Person zu sagen, die daran fast gestorben wäre», rief er der Richterin entgegen.
Beeinflusste Long Covid die Psyche?
Ein von der Verteidigung in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt zwar, dass Long Covid das Denken und Handeln beeinträchtigen kann. Es lasse aber keine Rückschlüsse auf die Schuldfähigkeit im konkreten Fall zu.
Der Fall geht nun an das Luzerner Kantonsgericht. Ob der Beschuldigte dort mit seinen Argumenten Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten.
* Namen geändert