Ferienhort gestrichen, Spitex-Leistungen gekürzt, Tarife verdoppelt
Die Stadt ist pleite – die Familien spüren es als Erstes

Die Stadt Kriens muss dringend sparen. Sie hat sich für einschneidende Sparmassnahmen entschieden, die vor allem Familien betreffen. Dringend nötig, sagen die Gemeindeverantwortlichen. Finanziell nicht tragbar, sagen Eltern wie Louisa B. Und drohen, wegzuziehen.
Publiziert: 04.05.2022 um 01:49 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2022 um 09:45 Uhr
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Louisa B. (34) ist Mutter zweier Kinder. Sie arbeitet und studiert. Um ihren Alltag unter einen Hut zu kriegen, ist sie auf Hilfe bei der Betreuung angewiesen.
Foto: Nathalie Taiana
Tobias Ochsenbein und Nathalie Taiana (Fotos)

Wenn die Finanzlage von Gemeinden in Schieflage geraten, kriegen das Einwohnerinnen und Einwohner irgendwann direkt zu spüren: Dann müssen Gemeinden Schwimmbäder schliessen, den ÖV-Fahrplan ausdünnen oder das Angebot bei der Kinderbetreuung zurückfahren. Sie senken die Ausgaben, wo es geht.

Das musste etwa Louisa B.* (34) erfahren: Mitte Januar erhielten sie und alle Familien mit Kindern ein Schreiben der Stadt Kriens LU. Darin stand, dass das Ferienhort-Angebot für die Schülerinnen und Schüler für das gesamte Jahr 2022 gestrichen und der Preis für die externe Kinderbetreuung um knapp die Hälfte verteuert werde.

Dieser Beschluss stellt arbeitstätige Eltern vor grosse Herausforderungen. Louisa B. sagt zu Blick: «Unsere Betreuungskosten belaufen sich jetzt pro Kind nicht mehr auf 600 Franken, sondern auf 900 Franken. Wir haben zwei Kinder, ich arbeite Teilzeit und studiere. Wie soll ich mir das in Zukunft leisten können?»

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Zurückgelegtes Geld fast aufgebraucht

B. weiss nicht, ob sie ihr Studium deshalb weiterführen kann. Ihr finanzielles Polster ist beinahe aufgebraucht. Sie versteht, dass die Stadt die finanzielle Daumenschraube anziehen muss. Trotzdem findet sie es eine Frechheit, dass sie und andere Familien damit gezwungen werden, die Krienser Schulden auf diese Weise tilgen zu müssen.

Das Problem: Die Stadt Kriens muss sparen. Seit Jahren schreibt die drittgrösste Luzerner Gemeinde zum Teil grosse Verluste. Für das Jahr 2022 rechnet der Stadtrat mit einem Minus von 3,25 Millionen Franken. Und auch in der jüngsten Vergangenheit sahen die Zahlen nicht rosig aus: 2021 resultierte in der Jahresrechnung ein Ausgabenüberschuss von einer Million Franken. 2020 waren es fast zwei Millionen Franken, und 2019 klaffte ein Loch von 5,6 Millionen Franken.

Die Schulden der Stadt Kriens betragen nach hohen Investitionen in den vergangenen Jahren rund 200 Millionen Franken. Die Verschuldung der Gemeinde ist so hoch, dass sie nun zu diesen drakonischen Sparmassnahmen greifen musste. Heisst konkret: Sie dampft kurzfristig diverse Leistungen ein. Neben dem Ferienhort und der Tagesstruktur sind auch Leistungen der Spitex betroffen. Weitere werden wohl folgen. Zur Diskussion stehen etwa auch Land- und Grundstücksverkäufe von bis zu 34 Millionen Franken.

Stadtpräsidentin Christine Kaufmann (54) und Finanzchef Roger Erni (49) können die Reaktionen der aufgebrachten Eltern verstehen. «Uns ist das moderne Gesellschaftsverständnis mit berufstätigen Eltern wichtig. Gerade für Eltern, die ihre Kinder extern versorgt haben möchten, ist es zentral, dass wir als Gemeinde Tagesstrukturen und Horte bereitstellen können.»

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Gemeinde musste schnell sparen

Bloss: Sie hätten den Auftrag, die Finanzen der Gemeinde wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Auch, weil das Volk eine geplante Steuererhöhung 2021 abgelehnt hat. «Das waren Posten, bei denen wir kurzfristig sparen konnten.»

Auch wenn die Stadt versucht zu schlichten, für Eltern wie Louisa B. sind die Entscheide einschneidend. Sie mussten sich deshalb privat organisieren. Freiwillige Mütter und Väter, die ihre Ferien und Freizeit opfern, um die Kinderbetreuung abfedern zu können.

«Mein Pensum ist ausgelastet, ich kann das langfristig nicht stemmen», sagt B. Sie hat deshalb gemeinsam mit anderen Eltern eine Petition gestartet. Darin fordern sie eine fachgerechte Betreuung ihrer Kinder während den Ferien. Und zwar ohne dass die Kosten dafür ins Unermessliche steigen. Langfristig könne das für Familien existenzbedrohend werden, viele würden aus Kriens wegziehen.

«Wir werden Kriens verlassen»

«Ich und meine Familie werden die Stadt Kriens verlassen, wenn sich die finanzielle Situation der Gemeinde mittelfristig nicht verbessert und weitere Massnahmen beschlossen werden, die uns in unserem Alltag einschränken», sagt Louisa B. zu Blick. Denn: Wenn alle Familienangebote gestrichen würden, wolle sie nicht mehr hier bleiben. «Das wäre schrecklich, denn dann müssten wir die Kinder und uns aus ihrem sozialen Umfeld reissen!»

Familien, die aus klammen Gemeinden wegziehen und damit ein noch grösseres Loch in der Kasse verursachen – ein Teufelskreis? Christoph Schaltegger (50), politischer Ökonom und Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern, sagt, dass das durchaus eine mögliche Folge von solchen Sparübungen sein könne. «Die Einwohnerinnen und Einwohner können in einer solchen Situation auf zwei Arten reagieren: Sie können sich politisch engagieren, indem sie die Steuern anpassen. Oder sie können in eine andere Gemeinde ziehen, wenn ihnen das Angebot in ihrer Gemeinde nicht mehr genügt. Das Beispiel der Gemeinde Leukerbad, die in den 1990er-Jahren als erste Gemeinde in der Schweiz Insolvenz anmelden musste, zeigt, dass das durchaus eine ernst zu nehmende Bedrohung ist.»

Die Krienser Stadtpräsidentin Christine Kaufmann ist sich bewusst, dass die Erwartungshaltungen der Einwohnerinnen und Einwohner hoch sind. «Wir sind aber eine attraktive Gemeinde. Wir haben tolle Sport- und Freizeitanlagen, moderne Schulhäuser, die in den vergangenen Jahren massiv saniert und den neuen Unterrichtsgegebenheiten angepasst worden sind. Da wurde sehr viel Geld investiert.»

Auch Wachstum kann Probleme bringen

Die Gemeinde ist darum optimistisch, dass ihr der Turnaround gelingt. «Gerade die geplanten und laufenden Bautätigkeiten werden noch einmal mehr Zuzügerinnen und Zuzüger nach Kriens locken. Damit können wir auch die Steuereinnahmen erhöhen», so Kaufmanns Hoffnung.

Dass diese Wachstumsrechnung nicht immer aufgeht, zeigte sich in der Vergangenheit bei anderen Gemeinden. In Emmen LU, Köniz BE oder Oensingen SO etwa hat gerade das starke Bevölkerungswachstum tiefe Finanzlöcher hinterlassen.

Louisa B. bleibt darum vorerst nicht viel anderes übrig als zu schauen, wie sie alles unter einen Hut bringt – als Mutter, Arbeitskraft und Studentin. Immerhin etwas Positives kann sie der aktuellen Situation abgewinnen: «Aus der grossen Not entsteht neuer Zusammenhalt zwischen den Familien.»

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