Schwangere, die über eine Covid-Impfung nachdenken, haben es nicht einfach. Denn die offiziellen Impfempfehlungen sind nicht eindeutig: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt explizit keine Empfehlung ab, wenn eine Schwangere keine medizinischen Risikofaktoren oder einen besonders exponierten Job hat.
Seit Mai ist der Piks aber trotzdem für alle Schwangeren möglich, nach Absprache mit einem Arzt und dem Unterzeichnen einer Einverständniserklärung. Resultat: Nur etwa 30 Prozent der Schwangeren in der Schweiz wollen sich impfen lassen, wie eine Umfrage unter 1551 Schwangeren des Universitätsspitals Lausanne zeigte.
«Ich fühle mich zwischen den Expertenmeinungen verloren», sagt Bea Fröhlich (34) aus Zürich, die im November die Geburt ihres Babys erwartet. Die werdende Mutter fragte zwei Ärzte, ob eine Covid-Impfung für sie ratsam sei. Und bekam zwei unterschiedliche Meinungen zu hören. «Persönlich war ich eher dafür, mich zu impfen. Aber meine Frauenärztin hat mir klar davon abgeraten.»
Zwei Ärzte, zwei Meinungen
Fröhlich holte sich über das Ärztetelefon ihres Krankenversicherers eine Zweitmeinung ein und bekam die Auskunft, dass eine Impfung sehr empfohlen werde. Sie entschied sich dagegen, aber mit einem schlechten Gefühl: «Mein Mann und ich schauen, dass wir jeglicher Risikosituation aus dem Weg gehen.»
Daniel Surbek (59) ist Chefarzt an der Klinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er fordert vom BAG endlich eine deutliche Impfansage für Schwangere: «Aus meiner Sicht ist der Zeitpunkt für das BAG gekommen, die Impfempfehlung für Schwangere anzupassen und offener zu formulieren.»
Heisst konkret: Nicht wie bisher nur für Schwangere mit medizinischen Risikofaktoren oder besonders exponiertem Beruf soll es eine deutliche Empfehlung geben, sondern für alle.
Klare Impfempfehlung in den USA
«Erst vor anderthalb Wochen hat das CDC in den USA, quasi das amerikanische BAG, eine klare Impfempfehlung für alle Schwangeren ausgesprochen», so der Experte. Und weiter: «Da sind wir von der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe auch dran und werden das mit dem BAG besprechen. Ich hoffe, dass die Anpassung eine Frage von einigen Wochen ist und man im September so weit ist.» Das BAG gibt sich zurückhaltend und teilt lediglich mit, man prüfe laufend die neusten Daten.
Eine Anpassung würde der Gynäkologen-Gesellschaft ermöglichen, auch die eigenen schriftlichen Empfehlungen auf der Homepage anzupassen. Die orientieren sich nämlich an den zurückhaltenden Empfehlungen des BAG. Resultat: Was auf seiner Homepage steht, widerspricht der deutlichen Empfehlung von Vorstandsmitglied Surbek – und macht den Impf-Wirrwarr für Schwangere noch grösser. «Ein schlechter Zustand», sagt Surbek.
Bis 300 Schweizer Schwangere brauchten Atemgerät
Seine Empfehlung ist klar: «Ab dem zweiten Schwangerschaftsmonat impfen. Die Zahlen steigen wieder, für Schwangere steigt das Risiko einer Infektion.»
Der Arzt kennt die Risiken bei Schwangeren aus seinem Alltag: «Es gibt leider immer wieder schwangere Frauen, die in Lebensgefahr geraten und beatmet werden müssen.» 200 bis 300 solch schwerer Verläufe dürfte es in der Schweiz seit Ausbruch der Pandemie gegeben haben, schätzt er.
Das sei eine enorme Belastung für die ganze Familie, auch weil sich viele der Schwangeren bei ihren Männern anstecken: «Diese Partner machen sich dann natürlich auch schwere Vorwürfe, weil sie sich nicht richtig verhalten haben oder weil sie nicht geimpft sind.»