Die Waadtländer Staatsanwaltschaft wollte eine Schule über einen Lehrer informieren, den sie als «potenziell gefährlich» einschätzt. So soll der Pädagoge in einem Zeitraum von zwei Jahren drei schwere Straftaten begangen haben. Das Bundesgericht verbot der Staatsanwaltschaft jedoch, den Arbeitgeber über die laufenden Strafverfahren zu informieren.
Rückblende: Ende 2020 soll sich der betroffene Lehrer laut RTS erstmals strafbar gemacht haben. Er verursachte mutmasslich einen tödlichen Unfall, indem er die Kontrolle über sein Auto verlor. Im selben Jahr soll der Romand zudem eine Pistole aus dem Haus seines Vaters gestohlen haben – in einem nahe gelegenen Waldstück setzte er drei Schüsse in die Luft ab. Im November 2022 folgte schliesslich die jüngste Eskalation: Der Lehrer soll versucht haben, einen Ladenbesitzer mit einem Messer anzugreifen und auf ihn einzustechen.
Privatsphäre versus öffentliches Interesse
Der damalige Generalstaatsanwalt des Kantons Waadt entschied sich zu Beginn des Verfahrens dazu, den Arbeitgeber des Pädagogen, über die laufenden Ermittlungen zu informieren – ein Informationsaustausch, der laut Strafprozessordnung zulässig ist.
Der Lehrer war mit der Weitergabe der Informationen nicht einverstanden und legte Beschwerde ein. Das Waadtländer Kantonsgericht wies diese ab. Der Lehrer zog bis vor Bundesgericht. Dieses gab ihm schliesslich recht. Das Bundesgericht erklärt in seinem Urteil, dass die Vorinstanz das Resultat des laufenden psychiatrischen Gutachtens hätte abwarten müssen, bevor es die Beschwerde abwies. «Ohne das vom Lehrer ausgehende Rückfall-Risiko zu kennen, konnte das Kantonsgericht nicht davon ausgehen, dass das öffentliche Interesse an der Weitergabe der strittigen Information an seinen Arbeitgeber gegenüber dem privaten Interesse des Beschwerdeführers am Schutz seiner Persönlichkeit überwiegt», schreibt das Gericht.
Eltern machen sich Sorgen
Gegenüber RTS sagt Eric Kaltenrieder, der aktuelle Generalstaatsanwalt des Kantons Waadt, dass er den Standpunkt des Bundesgerichts nicht teilt. «Von Anfang an hielt die Waadtländer Staatsanwaltschaft eine Meldung an die Disziplinarbehörde des Lehrers für gerechtfertigt», betonte Kaltenrieder.
Das Urteil sorgt in der Westschweiz für Diskussionen. «Wir sind der Meinung, dass der Arbeitgeber über derartige Ermittlungen informiert werden muss», meint Sophie Lhote, Präsidentin des Genfer Verbands für Elternvereine der Sekundarstufe gegenüber dem Sender. Kinder und Jugendliche befänden sich täglich in der Obhut von Lehrern. «Deshalb sind wir als Eltern der Meinung, dass solche Informationen an die Schulleitung weitergegeben werden müssen.»
Laut dem Westschweizer Rechtsanwalt Stéphane Grodecki ist dieses Urteil richtungsweisend. Zu Beginn eines Verfahrens sei es normal, dass die kantonalen Staatsanwaltschaften jeweils Informationen über Personen weitergeben, die einer Aufsichtsbehörde unterstellt sind oder für einen öffentlichen Arbeitgeber arbeiten. Das Urteil des Bundesgerichts verlangt nun, dass zuerst weitere Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Dies schränke die Praxis der kantonalen Staatsanwaltschaften in Zukunft ein. (ene)