Er postete oft in den sozialen Medien. Seine Beiträge zeichnen das Bild eines fröhlichen Menschen ohne radikale Gesinnung. «Pass life with laughter» («Verbringe das Leben mit Lachen») steht bis heute in der Bio seines Instagram-Profils.
Doch wie kam es dazu, dass ein Iraner (†32) in einem Zug im Waadtland mehrere Menschen als Geiseln nahm und der Polizei wohl letztlich keine andere Wahl liess, als ihn zu erschiessen? Diese Frage werden Untersuchungen klären müssen.
Seine Familie hat Strafanzeige gegen die Polizei eingereicht. Diese richtet sich gegen «alle Personen, die auf unerlaubte Weise zum Tod» ihres Angehörigen beigetragen hätten, berichtet RTS. «Er hat es nicht verdient, getötet zu werden. Es ist eine Ungerechtigkeit», sagte der Bruder des Erschossenen zum TV-Sender.
Mehr zur Geiselnahme im Waadtländer Zug
Ein Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung» fördert nun neue Details über den Geiselnehmer von Essert-sous-Champvent VD zutage. Der Mann aus dem Nahen Osten reiste viel und gerne, hatte aber auch massive psychische Probleme. Welche Orte er besuchte, zeigt das Protokoll seiner Reisen.
Winter 2021
Ein Foto zeigt den späteren Geiselnehmer in der Türkei. Hier arbeitet er offenbar als Fischer. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist es das erste Land, dass der Mann besucht, nachdem er den Iran verlassen hat.
Sommer 2022
Er posiert irgendwann im Sommer 2022 vor der Nationalbibliothek in der griechischen Hauptstadt Athen. Ob er dort ein Asylgesuch gestellt hat, ist unklar.
Am 1. August 2022 reist er erstmals in die Schweiz ein, stellt ein Asylgesuch im Bundesasylzentrum in Boudry NE.
Herbst und Winter 2022
Am 11. November wird er dem Kanton Genf zugeteilt, wo er den Ausweis N erhält und vorübergehend in einem Hotel einquartiert werden soll. Doch dort taucht er am 16. November nicht auf, verschwindet eine Weie von der Bildfläche. Im Dezember 2022 bringt er in einem Post seine Freude über das Schneetreiben auf den Genfer Strassen zum Ausdruck.
Frühjahr 2023
Als er wieder auffindbar ist, wird seine psychische Verfassung geprüft. Die Fachleute diagnostizieren «paranoide Tendenzen», der Mann wird medizinisch betreut. Im Februar 2023 geht es ihm so schlecht, dass er gegen seinen Willen in eine Genfer Psychiatrieklinik eingeliefert wird. Wie lange er sich in der Einrichtung aufhält? Unklar.
Sommer 2023
Trotz medizinischer Betreuung gelingt es ihm erneut, sich den Behörden zu entziehen. Er sei im Juni 2023 «administrativ verschwunden» gewesen, teilt das Genfer Sozialamt gegenüber der «NZZ» mit. Auf Instagram und Tiktok veröffentlicht er in diesem Sommer Bilder aus der englischen Stadt Birmingham.
Herbst 2023
Am 8. September 2023 lässt er sich plötzlich wieder in Genf blicken. Doch schon am 20. Oktober ist er wieder abgetaucht. RTS berichtet unter Berufung auf Bekannte des Mannes, er sei über Deutschland nach Polen gereist. Eine Person erzählt, er habe in die Ukraine weiterziehen wollen, um dort «zu kämpfen und zu sterben». Während der Geiselnahme soll der Täter die Ukraine tatsächlich erwähnt haben, wie das Video eines Passagiers belegen soll.
Anfang 2024
Falls er dies tatsächlich versucht, klappt es nicht. Denn die polnische Polizei greift ihn auf und schickt ihn zurück in die Schweiz. Am 24. Januar meldet sich der kurdischstämmige Mann wieder bei den Genfer Behörden. Er kommt in der Kollektivunterkunft Palexpo unter. Dort fällt er negativ auf, laut RTS erleidet er in der Nacht vom 6. auf den 7. Februar eine nervliche Krise und randaliert.
Am Tag vor der Tat gibt er gegenüber den Behörden an, dass er keine medizinische Hilfe benötigt. Am 8. Februar steigt er schliesslich im Kanton Waadt in den Zug und nimmt 13 Passagiere sowie den Lokführer als Geisel. Während der Verhandlungen verlangt er, die SEM-Mitarbeiterin zu sehen, die seinen Fall betreute. Laut einer Geisel soll die Frau am Abend tatsächlich zum Tatort gereist sein.
Sie kommt zu spät, um die Situation noch deeskalieren zu können. Als sich der Täter einen Moment lang von den Opfern entfernt, nutzen die Einsatzkräfte ihre Chance. Erst setzen sie einen Taser ein, dann fällt ein Schuss. Der Mann ist tot.
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