Über 70 Frauen in der Romandie belästigt – trotzdem kassierte er nur Geldstrafen
Stalker Freddy (30) treibt seit 15 Jahren sein Unwesen

Freddy C. hat seit 2009 über 70 Frauen in der gesamten Westschweiz im Internet belästigt. Die schlimmsten Fälle endeten wegen Beleidigungen und Drohungen vor Gericht. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, bis zum heutigen Tag weiterzumachen.
Publiziert: 26.06.2024 um 17:06 Uhr
|
Aktualisiert: 27.06.2024 um 09:57 Uhr
Fünf von Freddys Dutzenden Opfern trafen sich in Neuenburg. Von links nach rechts im Vordergrund: Mathilde, Sarah und Charlène. Im Hintergrund zwei Frauen, die anonym bleiben wollen.
Foto: julie de tribolet
Blick_Daniella_Gorbunova.png
Daniella Gorbunova

Er schreibt dir in sozialen Netzwerken. Alles beginnt mit einem einfachen «Hallo, wie gehts?». Du kennst ihn nicht, es gibt kein Foto von ihm auf seinem Profil. Aber Freddy* hat dich schon einmal irgendwo gesehen, sagt er. Er kennt deine Aktivitäten, er weiss, mit wem du befreundet bist. Er möchte dich kennenlernen. Seine Nachrichten werden immer eindringlicher. Er kann Orte nennen, an denen du kürzlich warst, und er hat vielleicht sogar dein Profil in Dating-Apps entdeckt.

Wenn du ihm nicht mehr antwortest oder ihn explizit zurückweist, wirst du wahrscheinlich beleidigt oder sogar ernsthaft bedroht werden. Nach und nach wird dir klar, dass Freddy nicht nur hinter dir, sondern hinter der gesamten Frauenwelt her ist. Das macht Angst. Wenn du ihn sperrst, ist das kein Problem für ihn, denn Freddy wird ein neues Konto mit einem anderen Benutzernamen erstellen, um wieder anzugreifen – manchmal gibt er sich sogar als Frau aus.

Bis er sich schliesslich vor Gericht verantworten muss. Im Laufe der Jahre wurden mindestens drei Strafanzeigen wegen Beleidigung und Bedrohung gegen Freddy eingereicht. Das Profil des «Stalkers der Romandie», wie er von einigen seiner Opfer genannt wird, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Der Modus Operandi ist immer ähnlich, die Fälle unterscheiden sich nur in ihrer Schwere.

Seit 2009 hat der heute 30-Jährige nach Blick-Informationen mindestens 73 Frauen in der gesamten Westschweiz belästigt. Dies belegen Zeugenaussagen, Screenshots und Dokumente, darunter auch Gerichtsdokumente.

Alle dokumentierten Opfer sind zwischen 1995 und 1999 geboren. Sie stammen hauptsächlich aus Neuenburg, aber auch aus dem Waadtland, dem Jura, Freiburg und dem Wallis. Freddy scheint von La Chaux-de-Fonds NE aus sein Unwesen zu treiben. Von den Dutzenden von Frauen, die Blick alle kontaktiert hat, haben 47 bereitwillig über die Qualen berichtet, die sie durch Freddy erleiden mussten – manchmal jahrelang. Der letzte bekannte Fall ist vom Juni 2024.

73 wütende Frauen

Wir treffen Sarah, so ihr richtiger Name, in einem Bistro in Neuenburg an einem Wochentag im April. Die 26-jährige Studentin hatte ab 2018 mit Freddy zu tun.

Sie erstattete nicht nur Anzeige wegen Beleidigung und der Tatsache, dass er ihr weiter schrieb, nachdem sie ihn geblockt hatte, sondern stellte auch ein Dossier mit den Kontaktdaten von 73 Opfern zusammen, das sie zusammen mit einem Anzeigeschreiben an die Polizei weiterleitete.

Sarah hat über soziale Netzwerke Frauen zusammengeführt, die unter Freddys Cybermobbing gelitten haben.

Alles begann in der Facebook-Gruppe «Girls meeting», wo Sarah 2021 eine Nachricht mit dem (echten) Namen des Verdächtigen postete, in der sie potenzielle Opfer aufforderte, sich zu melden, um dann die Behörden zu informieren. Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sie fast 100 Antworten mit Beweisen erhalten würde.

Mit diesem Aufruf konnte Sarah ein Dossier zusammenstellen.

Neben ihrer erfolgreichen Anzeige wurden mindestens zwei weitere Verfahren dieser Art bei der Staatsanwaltschaft Neuenburg eingereicht.

«Wenn du ihm nicht mehr antwortest, wird er wütend»

Über ihren eigenen Fall, den sie vor Gericht gewonnen hat, berichtet Sarah: «Er hat 2018 zuerst auf Facebook angefangen und ist dann auf Instagram gewechselt. Am Anfang habe ich ihm mehr oder weniger freundlich geantwortet, war aber etwas misstrauisch, weil ich nicht wusste, woher er kam. Dann fing er an, mir eine Flut von Fragen über mein Privatleben, mein Umfeld und die Leute, mit denen ich in den sozialen Netzwerken befreundet bin, zu schicken.»

Die Sozialwissenschaftlerin fährt fort: «Dann ist es mehr oder weniger die gleiche Geschichte wie bei den anderen Mädchen: Wenn du ihm sagst, dass du nicht mehr mit ihm reden willst oder ihm nicht mehr antwortest, wird er schnell wütend. Er fängt an, sich frauenfeindlich auszulassen. Dass wir alle gleich sind, weil wir ihn ignorieren oder ablehnen. Ich habe den Eindruck, dass er wirklich einen Hass auf Frauen hat. Er versteht nicht, was Zustimmung bedeutet. Mich hat er schliesslich als Schlampe bezeichnet und ich habe Strafanzeige erstattet. Jemand musste es ja tun, wenn man bedenkt, wie gross der Fall ist.»

«Er wollte sie zerstören»

Von den drei offiziellen Strafanzeigen, von denen Blick weiss, ist die älteste über zehn Jahre alt. Katia* verklagte Freddy, weil er laut Staatsanwaltschaft «versucht hatte, Katia davon zu überzeugen, ihre Entscheidung, die über das Internet geführte Beziehung zu beenden, zu überdenken, indem er ihr drohte, ihr Facebook-Konto zu hacken». 2012 wurde der Cyberstalker zu einer Geldstrafe von insgesamt 300 Franken verurteilt, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu 400 Franken Bearbeitungsgebühr.

Ein Beispiel für die Flut von Nachrichten, die ein Opfer erhalten hat.

Das jüngste Verfahren ist eine Sammelklage. Nora*, Nina* und Fabienne* reichten 2023 ebenfalls Klage ein. Freddy hatte ein Instagram-Konto mit Noras Vornamen eingerichtet und genutzt, «um Nachrichten an ungefähr 200 Personen zu senden, sie zu belästigen und so das Ansehen der Klägerin zu schädigen», wie es in dem im Februar 2024 in La Chaux-de-Fond erlassenen Strafbefehl heisst.

Er bedrohte Nina auch über eines der Instagram-Konten, «indem er sagte, dass sie am Ende sei und er sie zerstören werde». Dasselbe galt für Fabienne. Für all diese Vorwürfe kassierte der junge Mann eine Geldstrafe von 1500 Franken, diesmal unbedingt. Hinzu kamen 980 Franken Verfahrenskosten zu seinen Lasten.

Sexistische Aussagen und Frauenfeindlichkeit

Und dann ist da noch die Frauenfeindlichkeit. Einer der heftigsten Fälle in dieser Hinsicht ist vielleicht der von Marie-Louise*, die von 2014 bis 2017 in regelmässigen Abständen Freddys unangemessene Annäherungsversuche über sich ergehen lassen musste, hauptsächlich über Facebook. 2014 war die Waadtländerin erst 16 Jahre alt. Ihr Fall ist unter den 47 Frauen, die Blick geantwortet haben, sehr repräsentativ für den Modus Operandi des Cyberstalkers. Es ist auch einer der schwerwiegendsten Fälle.

«Wenn ich mich recht erinnere, begann es ganz natürlich mit Nachrichten, um sich kennenzulernen – oder er wollte mich glauben lassen, dass wir uns von irgendwoher kennen, vielleicht aus der Schule, das war auf Facebook. Die Anzahl der Nachrichten wurde schnell ziemlich gross. Von dem Moment an, als ich eine Grenze setzte oder aufhörte zu antworten, wurde er beleidigend», sagt sie.

Zunächst waren es seltsame, sexistische Zwischenrufe im Messenger, dem Nachrichtendienst von Meta. Dann steigert sich der Ton: «Hör auf, dich wie eine Schlampe zu benehmen, es gibt schon genug Schlampen auf der Welt.»

Marie-Louise erinnert sich: «Ich musste ihn insgesamt mindestens zweimal blockieren. Ich habe leider wenig konkrete Erinnerungen an diese Person, abgesehen davon, dass man sich durch die Beleidigungen tatsächlich sofort unwohl und verletzt fühlt. Aber ich habe keine Anzeige erstattet.»

Ist er Frauen sogar auf der Strasse gefolgt?

Ein weiterer sehr repräsentativer und interessanter Fall ist der von der Neuenburgerin Elisa*. Sie erzählt: «Es begann 2020 und endete 2021.» Elisa hat zwar auch keine Anzeige erstattet, weil sie «weitermachen» wollte. Sie unterstützte Sarah aber bei ihrer «Akte Freddy», die sie der Polizei übergaben.

Sie erklärt: «Alles begann mit einer banalen Diskussion auf Facebook. Da ich zu diesem Zeitpunkt ein politisches Mandat auf kantonaler Ebene innehatte, erklärte ich mich zu einem Chat bereit, falls er sich über die kantonale Politik austauschen wollte. Erst als er anfing, detaillierte Fragen zu meinem Leben und meinen Leidenschaften zu stellen, bremste ich das Ganze und sagte ihm klar und deutlich, dass wir uns nicht kennen würden. Er war beleidigt und ab diesem Zeitpunkt wurde er aufdringlich. Er hat versucht, mich regelmässig zu kontaktieren.»

Nach diesen Nachrichten lief es Elisa kalt den Rücken hinunter.

Elisa glaubt, dass Freddy ihr vielleicht sogar mindestens einmal in Neuenburg auf der Strasse gefolgt ist – in seinen Nachrichten schreibt er unter anderem, dass er sie an diesem Tag um diese Uhrzeit an der Seilbahn gesehen hat.

Freddy gesteht und rechtfertigt sich

Nachdem Blick die Aussagen von mehr als 40 Frauen gesammelt hatten, nahm Blick Kontakt zu Freddy auf. Er hat geantwortet. Zunächst bestätigt er die Gerichtsverfahren, das von 2012 und die anderen. Sein Kommentar: «Leider wiederholt sich die Situation gegen meinen Willen.»

Dann rechtfertigt er sich. «Wenn eine Frau mich blockiert und mich zudem auf wenig einfühlsame und wohlwollende Art und Weise zurückweist, führt das zu Leid und Frustration, was mir sehr weh tut.» Er beschreibt sich selbst als Jungen, auf dem wegen seiner Grösse und seines Aussehens immer herumgehackt worden sei.

Für die Opfer finden, die Strafen seien bisher zu gering ausgefallen.

Er bestreitet, dass er seinen Opfern bis auf die Strasse gefolgt sei, um sie auszuspionieren. Körperlich oder sexuell würde er niemals jemanden angreifen, behauptet er.

Bezeichnet er sich selbst als Frauenfeind? «Ich habe jetzt manchmal frauenfeindliche Gedanken, die sich entwickelt haben, weil ich wegen meines Aussehens systematisch abgelehnt, verspottet und beleidigt wurde», sagt er. Er gibt an, dass er seit einiger Zeit psychologisch betreut wird.

«Staatsanwaltschaft hat getan, was sie konnte»

Die Opfer finden die Geldstrafen ein Witz – das haben sie der Staatsanwaltschaft auch in einem Brief mitgeteilt. Pierre Aubert, Generalstaatsanwalt des Kantons Neuenburg äussert sich auf Blick-Anfrage zum Fall: «Ohne den Nutzen von Sanktionen in Frage zu stellen, reichen sie nicht immer aus, um die Täter davon abzuhalten, erneut strafbare Handlungen zu begehen, meist übrigens dieselben, für die sie verurteilt wurden. Dies gilt umso mehr, wenn sie auf eine gestörte Psyche zurückzuführen sind. Ausserdem ist das Gesetz so konzipiert, dass freiheitsentziehende Strafen oder Massnahmen, also Haft oder die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung, nur in besonders schweren Fällen angeordnet werden dürfen.» Und Freddys Handlungen fallen laut Gesetz nicht in diese Kategorie.

Weil der Fall so aussergewöhnlich ist, geht Aubert etwas mehr ins Detail. So wären die Strafen laut ihm härter ausgefallen, wenn mehr Frauen Anzeige erstattet hätten. «Es gab zwar eine Liste mit zahlreichen Personen, die offenbar vom Verhalten des Täters betroffen waren, aber da diese Personen keine Anzeige erstattet haben und die Taten, um die es hier geht, nur auf Anzeige hin fortgesetzt werden, war es nicht möglich, sie zu berücksichtigen», sagt er.

Aubert sagt aber auch klar: «Die Staatsanwaltschaft beurteilt mit Hilfe eines medizinischen Gutachtens die Risiken, die der Täter für Dritte darstellen kann, und berücksichtigt dieses Gutachten so weit wie möglich.» Die Staatsanwaltschaft habe getan, was sie konnte – aber es stand «leider nicht in ihrer Macht, das Problem endgültig zu lösen».

*Namen geändert 

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?