Treberwurst wird in Alkoholdampf gegart
Schnapsidee lockt Tausende in die Weinkeller

Im Winter pilgern die Menschen aus der ganzen Schweiz in Scharen in die Weinkeller am Bielersee, um eine Wurstspezialität zu essen. Die Treberwurst wird im ganzen Land kopiert – trotzdem ist das Original so beliebt wie nie.
Publiziert: 03.03.2024 um 17:40 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2024 um 18:05 Uhr
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Drei Tonnen Schweinswürste veredelt Albrim Hazeraj jeden Winter in seinen alten Brennhäfen zu Treberwürsten.
Foto: Linda Käsbohrer
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Lino SchaerenRedaktor

Wer ein traditionelles Treberwurstessen am Bielersee bucht, mag in der Regel eine deftige Saucisson, ist dem Wein nicht abgeneigt – und auch nicht dem einen oder anderen Glas Schnaps. Diese Kriterien treffen offenbar auf ganz schön viele Menschen zu. Von Januar bis Mitte März strömen sie in Scharen aus der ganzen Schweiz in die Weinkeller der beschaulichen Berner Winzerdörfer Ligerz und Twann. 20 000 bis 30 000 sind es jede Saison.

Einige Hundert von ihnen landen jeweils bei Albrim Hazeraj (28), wie am Donnerstag kurz vor Mittag. Soeben hat er die ersten Gäste des Tages begrüsst, sie sind als Gruppe zum Treberwurst-Zmittag aus Kreuzlingen am Bodensee angereist. 

Vier Stunden Zugfahrt für eine Wurst? «Klar, wir kommen seit zehn Jahren jede Saison», ruft einer. Hazeraj findet das nicht aussergewöhnlich. Die Gäste des Winzers kommen aus der näheren Umgebung, aber auch aus Luzern, Basel, St. Gallen oder Chur. «Die Treberwurst ist wichtig für die Weinbauregion, ohne sie wäre hier im Winter tote Hose», sagt er. Er hat den Weinbaubetrieb vor fünf Jahren von seinem Vater übernommen. In den Wintermonaten, wenn die Arbeiten in den Reben ruhen, wird Hazeraj zum Brenn- und Wurstmeister.

Die vier antiken Brennhäfen in seinem Weinkeller spielen dabei eine zentrale Rolle. Denn hier wird eine normale Schweinswurst erst zur begehrten Spezialität veredelt. Hazerajs Betrieb ist einer von zwei verbliebenen am Bielersee, der die Original-Treberwurst liefern kann.

Wichtige Einnahmequelle für Weinproduzenten

Ihren Namen hat die Spezialität von den ausgepressten Trauben, die bei der Weinherstellung anfallen, dem sogenannten Trester oder auch Treber. Daraus wird der Schnaps Marc gebrannt, der die Würste so besonders macht. Gemäss Überlieferung kamen Weinbauern bereits vor mehr als 100 Jahren auf die Schnapsidee, ihre Pausenwurst auf dem Treber im Brennhafen zu wärmen – die Treberwurst war geboren. 

Die Herstellung ist bis heute gleich geblieben. Hazeraj stapelt die Schweinswürste während der Schnapsherstellung in Behältern auf den Treber, wo sie im Schnapsdampf gegart werden. Dabei nehmen sie keinen Alkohol auf, wohl aber das intensive Marc-Aroma. Ist die Wurst gar, wird sie in Rädchen geschnitten, oft vor den Augen der Gäste am Tisch mit Marc übergossen, flambiert und à discrétion wahlweise mit Kartoffelgratin oder Kartoffelsalat serviert. Drei Tonnen Wurst veredelt Hazeraj für sich und andere Weinbauern jedes Jahr.

Um Kundschaft sorgen müssen sich die Winzer nicht. Die Treberwurstessen haben bereits vor 40 Jahren einen Hype ausgelöst, der seither nie verebbt ist. Heute bieten zwei Drittel der rund 60 Weinbaubetriebe am Bielersee den Schmaus an. Vor allem Termine am Wochenende sind häufig restlos ausgebucht. 

Für die Weinproduzenten ist dies zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden – neben den klassischen Winzerfesten im Herbst haben sie damit eine weitere Möglichkeit, ihren Wein einem grossen Publikum zu präsentieren.

Jüngere Generation steht bereits in den Startlöchern

Auch die Faszination der Gäste hat nur zum Teil mit der Wurst selbst zu tun. Die Winzerfamilien laden die Gäste zu sich nach Hause in ihr ganz persönliches Reich. «Es ist, als würden sie bei uns im Wohnzimmer sitzen», sagt Michael Teutsch (39), Präsident der Rebgesellschaft Bielersee. Der Rahmen ist sehr privat. Und auch wenn man sich nur einmal im Jahr sieht, entstehen dabei manche Freundschaften. 

«Wenn ich einem Gast von meiner Tochter erzähle und er im nächsten Jahr ein kleines Spielzeug für sie mitbringt, zeigt das, worum es geht: um Authentizität», so Teutsch. Die meisten Gruppen kommen immer wieder. Winzer schätzen, dass rund 80 Prozent ihrer Treberwurst-Gäste Stammkunden sind.

Und die sind keine aussterbende Gattung. Die Treberwurst-Tradition ist je länger, je mehr auch bei jüngeren Generationen beliebt. Ob mit der Musikgesellschaft, dem Turnverein oder einfach mit Freunden: Die Abende in den rustikalen Weinkellern, dicht gedrängt auf einfachen Festbänken, sind immer heiter – das Erlebnis ist nicht mit einem Restaurantbesuch vergleichbar. Auch in den Winzerdörfern steht die jüngere Generation in den Startlöchern oder hat bereits übernommen. Jungwinzer Albrim Hazeraj ist ein Beispiel dafür.

Wie sich die jahrzehntelange Tradition in die Zukunft führen lässt, zeigt auch Maria Fuhrer (39). Sie hat vor acht Jahren in Twann die Metzgerei von ihrem Vater übernommen und umgekrempelt. Neun Monate im Jahr arbeitet Fuhrer als Praxisassistentin bei einem Tierarzt. Von Januar bis März jedoch steht sie in der Metzgerei und verarbeitet zusammen mit ihrem Partner Joe Pitault (33) mehrere Tonnen Schweinefleisch zu Treberwürsten – nach altem Familienrezept und in antiken Rauchkammern. Das Erbe des Vaters verschwinden zu lassen, war für sie nie eine Option, sagt Maria Fuhrer. «Dafür bedeuten mir das Geschäft, das Handwerk und die Treberwurst viel zu viel.»

Es ist diese Hingabe, die den Präsidenten der Rebgesellschaft zuversichtlich stimmt, dass die Treberwurstfeste in den Winzerdörfern auch in den kommenden Jahrzehnten rauschend gefeiert werden. 

In anderen Weinbauregionen der Schweiz seien die Gassen im Winter an den Wochenenden abends wie ausgestorben, sagt Michael Teutsch. 

Am Bielersee sei das dank der Treberwurst anders. «Zum Glück!» 

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