Sechs Minuten und 30 Sekunden. Nur so kurz dauerte der Sturm, der vergangenes Jahr die Region La Chaux-de-Fonds NE verwüstete. Mit bis zu 217 Kilometern pro Stunde fegte der Wind durch das Neuenburger Jura und hinterliess grosse Zerstörung. Ein Mann wurde von einem Kran erschlagen, 50 weitere Menschen verletzt. Dazu kamen Gebäudeschäden im hohen zweistelligen Millionenbereich.
Gemäss Meteo Schweiz trafen bei La Chaux-de-Fonds mehrere Naturphänomene zusammen: Ein Tornado auf der nördlichen Stadtseite und im Süden eine schwere Fallbö – auch Downburst genannt. Das Unwetter traf den Weiler Crêt-du-Locle am stärksten. Genau ein Jahr, nachdem hier Bäume entwurzelt und ganze Dächer von Häusern gehoben wurden, strahlt die Sonne und die Bäume wiegen in einem Lüftchen sanft hin und her. Mittlerweile sind fast keine Spuren des Unwetters mehr zu sehen. Dennoch hat der Sturm in der Region Narben hinterlassen.
Die physischen Schäden sind subtil. Vereinzelt liegen noch entwurzelte Baumstämme herum, hier und da sind noch einige Löcher in einer Fassade zu sehen. So etwa bei Anwohnerin Nicole Matthey (64). Bei ihr finden sich im Garten zudem noch Dutzende kleine Glasscherben, die von den grossen Fenstern der nebenan gelegenen Fabrik stammen.
Kein Vergleich dazu, wie ihr Garten vor einem Jahr ausgesehen hat. Damals sagte sie Blick: «Plötzlich ist alles herumgeflogen.» Vom Fenster aus konnte sie zuschauen, wie ihre Bäume entwurzelt wurden und Ziegel von ihrem Dach flogen. Dennoch ist Matthey glimpflich davon gekommen. «Es gibt schon noch zwei, drei Dinge, die wir machen müssen. Wir hatten aber zum Glück nicht so grosse Schäden wie einige unserer Nachbarn.»
Restaurant und Bauernhaus ohne Dach
Einen deutlich grösseren Schaden hatte Jirawat Jun-en (42) zu beklagen. Das Dach seines Hauses wurde vom Sturm weggerissen, wodurch der Restaurant-Besitzer auf einen Schlag sein Geschäft und seine Wohnung verlor. Dennoch sagte Jun-en damals zu Blick: «Ich hatte Glück. Ich lebe noch.» Seit einigen Monaten ist das Restaurant Siam Orchidée wieder geöffnet. In Jun-ens Wohnung wird allerdings noch heute gebaut, wie er auf Anfrage berichtet. «Es wird vermutlich noch eine Weile dauern.»
Auch der Hof von Fabrice Matile (41) hat durch den Sturm einiges abgekriegt. «Der vordere Teil des Wohnhausdachs war komplett weg.» Die Dachziegel fegte es wiederum auf Matiles Auto und durch die Wände des Stalls, wo sie grosse Löcher hinterliessen. Einen Teil der Stallwand hat die Familie bisher nicht repariert. «Wir haben beschlossen, daraus Türen zu machen.»
Abgesehen davon wurde die Reparatur des Stalles im vergangenen Monat abgeschlossen. «Da das Dach bereits 24 Jahre alt war, mussten wir leider einen guten Teil der Reparatur selbst bezahlen», so Matile. Dennoch zählt sich er zu den Glückspilzen: «Wäre an dem Tag nicht das Tor geschlossen gewesen, wäre vermutlich der ganze Stall auseinandergebrochen.»
Noch immer grosse Schäden
Wie Vize-Stadtpräsident Théo Huguenin-Elie auf Anfrage sagt, sind tatsächlich erst etwa die Hälfte der Gebäudeschäden repariert. «Es war ein sehr arbeitsintensives Jahr, und ohne die Mithilfe von so vielen Menschen, hätten wir das nicht geschafft. Aber vor uns liegen definitiv noch mehrere Jahre Arbeit.» Insbesondere auch, um die insgesamt 1500 umgestürzten Bäume zu ersetzen.
Auch ein Jahr danach beschäftigt die Tragödie hier noch sehr. Davon zeugen auch die Kirchenglocken, die heute Mittwoch um 11.25 Uhr – auf die Minute genau ein Jahr nach dem Unwetter – im Gedenken an die Katastrophe sechs Minuten und 30 Sekunden geläutet haben.
Mulmiges Gefühl
Dass das Unwetter die Menschen verändert hat, bestätigt Huguenin-Elie: «Sobald Wind aufkommt oder stärker Regen fällt, haben die Menschen jetzt Angst.»
Landwirt Matile bekräftigt: «Der Sturm hat uns mit Sicherheit verändert.» Er kenne einige Menschen, die deswegen eine Therapie angefangen haben. «Mich persönlich hat es nicht so schwer traumatisiert. Aber wenn der Wetterdienst starken Wind ansagt, wird mir noch heute etwas mulmig.»
Auch Anwohnerin Matthey gibt an, dass sie sich zunächst wieder an die heftigen Winde in der Region gewöhnen musste. «Ich weiss, wie unwahrscheinlich es ist, dass so etwas genau hier wieder passiert.» Doch gerade die kürzlichen Überschwemmungen im Wallis und Tessin findet sie besorgniserregend. «An solchen Vorfällen erkennt man, welche Naturgewalten rund um uns herum existieren. Das flösst einem schon viel Respekt ein.»
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