Wegen russischem Schwarzgeld
Diese Ukrainerin will die Schweiz verurteilen

Politiker im Europarat bereiten eine Verurteilung der Schweiz vor. Brisant: Eine Parlamentarierin aus Kiew spielt eine Schlüsselrolle. Der Fall wirft ein Schatten auf die Ukraine-Politik des Bundes.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Happige Vorwürfe gegen die Schweiz: Lesia Vasylenko.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Schweiz steht wegen Magnitski-Fall am Pranger des Europarats
  • Ukrainische Politikerin Lesia Vasylenko kritisiert Schweizer Bankensystem
  • 18 Millionen Dollar auf Schweizer Konten gefunden, 4 Millionen konfisziert
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Donnerstag vor einer Woche im Bundeshaus. Die Schweizer Europaratsdelegation empfängt eine Besucherin aus der Ukraine. Ihr Name: Lesia Vasylenko. Die 37-Jährige ist in Kiew als Menschenrechtsanwältin bekannt. Sie sitzt im ukrainischen Parlament und zeigt sich in den sozialen Medien gern lächelnd an der Seite des kanadischen Ex-Premiers Justin Trudeau (53) oder beim Empfang des britischen Regierungschefs Keir Starmer (62).

Diesmal allerdings kam der schillernde Gast nicht mit freundlichen Absichten in die Schweiz. Vasylenko ist als Berichterstatterin des Europarats angereist, wo sie der Delegation der Ukraine angehört. Sie befindet sich auf einer sogenannten «Fact Finding Mission». Dieser Begriff taucht gewöhnlich im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen oder Naturkatastrophen auf. Vasylenko hat sich allerdings die Alpenrepublik vorgenommen.

Denn in Strassburg braut sich gerade ein politisches Gewitter gegen die Eidgenossenschaft zusammen – die Schweiz soll auf dem Weg einer Resolution durch die parlamentarische Versammlung des Europarats verurteilt werden. Als Grundlage sollen Vasylenkos Erkenntnisse dienen.

Putin-Gegner als Auslöser

Was ist passiert? Zusammengefasst könnte man feststellen: Die Schweiz wird von einer juristischen Altlast eingeholt. Aber der Reihe nach. Anlass für das Unheil ist der filmreife, mittlerweile einschlägig bekannte Fall des britisch-amerikanischen Investors und Putin-Gegenspielers Bill Browder (60). Der war einst Geschäftspartner des russischen Präsidenten. Mitte der Nullerjahre jedoch kam es zum Bruch.

Putins Machtapparat riss sich 2007 drei Firmen unter den Nagel, die zu Browders Unternehmen Hermitage gehörten, und verteilte 230 Millionen Dollar dieser Firmen widerrechtlich an Dritte. Die Einnahmen wurden danach in mehreren Ländern gewaschen, auch in der Schweiz. Der Geprellte musste tatenlos zusehen – schlimmer noch: sein russischer Treuhänder Sergei Magnitski, der die Sache aufgedeckt hatte, verschwand in einem russischen Gefängnis, wo er 2009 zu Tode geprügelt wurde.

Eigentlicher Grund für Lesia Vasylenkos Vorpreschen gegen die Schweiz ist allerdings nicht dieser Krimi, sondern dessen Nachgang: Bill Browder begann 2011 mit einer Strafanzeige wegen Geldwäscherei einen zähen Kampf mit der eidgenössischen Justiz. 18 Millionen Dollar wurden auf Schweizer Konten gefunden und eingefroren, vier davon konfisziert, die aus Sicht der Strafverfolger eindeutig Teil des Diebesguts waren. Die restlichen 14 Millionen wurden allerdings wieder freigegeben, weshalb Browder erfolglos bis vor Bundesgericht klagte. Am 30. Januar dieses Jahres hat es seine Beschwerde abgewiesen. Die Schweizer Justiz geriet international in die Kritik, die Unabhängigkeit des zuständigen Fedpol-Ermittlers Vinzenz Schnell und des damaligen Bundesanwalts Michael Lauber (59) wurde infrage gestellt. Schnell kassierte eine Verurteilung wegen Vorteilsnahme, Lauber wehrt sich weiterhin vehement gegen die Vorwürfe.

Gegen Rückgabe von Einnahmen

Seit seiner juristischen Niederlage führt Browder nicht nur einen Feldzug gegen Putin, sondern auch gegen die Schweiz. Nun steht der Bund plötzlich auf europäischer Ebene am Pranger – mit tatkräftiger Hilfe aus Osteuropa. Am 23. April 2024 reichte der estnische Europaratsabeordnete Eerik-Niiles Kross (57) in der Kommission für Rechts- und Menschenrechtsfragen eine «Motion for a resolution» ein, also einen Vorstoss mit dem Ziel, eine Resolution gegen die Schweiz zu beschliessen. Offizieller Titel des Ansinnens mit der Nummer 15981: «Proceeds of the crime denounced by Sergei Magnitski found in Switzerland must not be returned to the presumed perpetrators». Auf Deutsch: «Die in der Schweiz gefundenen Einnahmen aus dem von Sergei Magnitski angeklagten Verbrechen dürfen nicht an die mutmasslichen Täter zurückgegeben werden.» Am 3. März hörte die Kommission Browder in Paris an. Als Zeuge hatte er Mark Pieth (72) an seiner Seite. Dessen Engagement gibt Anlass zu Diskussionen. Schon 2023 sah die «NZZ» den Basler Strafrechtsprofessor «in der Doppelrolle im Dienste von Bill Browder».

Als Berichterstatterin im Auftrag des Europarats bot sich Lesia Vasylenko an. Doch die bestens vernetzte Ukrainerin blieb in der Sache nicht beim Fall selbst, sondern nutzte die Gelegenheit für eine Breitseite gegen die Schweiz.

In einem Schreiben Vasylenkos vom 2. Dezember 2024 an die Kommission kündigt sie ihre Mission an – und geht hart mit der Eidgenossenschaft ins Gericht: Sie begrüsse zwar, dass Bern 2014 internationale Sanktionen gegen Russland übernommen habe. «Trotzdem geben die Informationen (zum Fall Browder) Anlass zur Sorge», so Vasylenko, «dass es ein grosses Risiko gibt, dass das Schweizer Bankensystem ein attraktives Ziel für russisches Schwarzgeld wird».

Für diese Knallhart-Aussage legt sie keine Belege vor. Dennoch warnt sie vor einer Quasi-Legalisierung «der immer raffinierteren Geldwäsche» durch Russland, die sich in der Schweiz etablieren könnte; dies geschehe, indem «Kriminelle akzeptieren, dass ein Teil des Vermögens verfällt, während sie den Grossteil des unrechtmässig erworbenen Vermögens behalten dürfen».

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Die happigen Vorwürfe stossen hierzulande auf Kritik. SVP-Nationalrat Alfred Heer (63) ist Präsident der Schweizer Europaratsdelegation und lässt an Vasylenkos Bericht kein gutes Haar. «Die Schweiz ist ein Rechtsstaat. Die parlamentarische Versammlung des Europarats kann doch nicht meinen, dass sie sich in Gerichtsfälle der Schweiz einmischen kann.» Falls der Bericht in der vorliegenden Form verabschiedet werde, müsse man die Schweizer Ukraine-Politik und ebenso die Mitgliedschaft im Europarat überprüfen: «Wir schicken Milliarden nach Kiew», so Heer. Es sei «an Arroganz nicht zu überbieten», so Heer, «dass sich eine Ukrainerin nun als moralische Instanz aufspielt». Die Schweiz müsse überdenken, ob sie dem Land weiterhin Geld zahlen solle.

«Komplett pauschalisierende Vorwürfe»

Marianne Binder-Keller (66), Mitte-Ständerätin und Vizepräsidentin der Delegation, verweist darauf, dass der Bericht noch provisorisch und darum eigentlich vertraulich sei. Sie hat zwar grundsätzlich Verständnis dafür, dass man sich des Magnitski-Falls annimmt. «Das hat die Schweiz im Übrigen selbst schon getan.» Eine solche Aussage von Vasylenkos Arbeitsgruppe würde sie allerdings im definitiven Bericht zurückweisen. «Da würde der Magnitski-Fall dazu verwendet, pauschalisierende Vorwürfe an die Schweiz zu richten. Das könnte ich nicht akzeptieren, nur schon beispielsweise angesichts der Tatsache, dass wir über eines der strengsten Geldwäschereigesetze der Welt verfügen.» In der Schweizer Delegation werde der Bericht noch diskutiert und in der zuständigen Kommission des Europarats sowieso, so Binder.

Ganz anders sieht das SP-Ständerätin Franziska Roth (58). «Kaum ein Land in Europa leistet derart wenig humanitäre, finanzielle und wirtschaftliche Ukraine-Hilfe wie die Schweiz» – die auch Sanktionen gegen Russland in entscheidenden Punkten gleich wieder aushebele, etwa durch die offizielle Erlaubnis für Rohstoffhändler, von Zug oder Genf aus Umgehungsgeschäfte zu organisieren, welche die EU verbiete: «Das ist unmoralisch und doppelzüngig.» Es sei richtig, «dass andere europäische Länder die Schweiz hier anprangern».

Vasylenko kündigte an, dass sie ihren Schweizer Kollegen «einen Brief mit Fragen» zum Verhalten der Behörden schicken werde.

Dass diese diplomatische Attacke von einer Vertreterin der Ukraine ausgeführt wird, ist besonders brisant angesichts der Bemühungen des Bundesrats, sich Kiew im Sinne der Guten Dienste anzunähern. Ob beim Fünf-Milliarden-Paket für den Wiederaufbau, bei den Sanktionen gegen Moskau oder auch der Bürgenstockkonferenz: Vasylenkos Vorgehen wirft einen Schatten auf die helvetische Ukraine-Politik.

Auch FDP-Fraktionschef Damien Cottier (49) gehört der Schweizer Delegation an. Er war lange Mitglied in der zuständigen Kommission im Europarat und unterstützte die Ukraine bei der Aufarbeitung russischer Kriegsgräuel. Den provisorischen Bericht will er mit Hinweis auf das Amtsgeheimnis nicht kommentieren. Im Frühling gehe die finale Fassung dann zurück an die Kommission im Europarat, so Cottier. «Ich hoffe, dass sie ausgewogen sein wird.»

Bei ihrem Besuch traf die Berichterstatterin neben Europaratsabgeordneten auch Geldwäschereibekämpfer sowie Vertreter des Aussendepartements. Das EDA lässt auf Anfrage durchblicken, dass man wenig von den Vorwürfen Vasylenkos halte: Unabhängig von den Zwangsmassnahmen, die seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erlassen wurden, habe die Schweiz «ein robustes Dispositiv zur Abwehr illegaler Gelder». Dies werde im Einklang mit internationalen Standards zunehmend weiterentwickelt.

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Die Bundesanwaltschaft lehnte ein von Vasylenko vorgeschlagenes Treffen ab: Das Thema sei politischer, nicht juristischer Natur. Dennoch will die ambitionierte Politikerin nach eigenen Angaben auch «die rechtlichen Entwicklungen in der Schweiz» aufmerksam im Auge behalten.

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