Warum viele junge Köchinnen aussteigen
«Die Gäste haben keine Ahnung, was bei uns in der Küche läuft»

Kaum eine Branche hat ein grösseres Nachwuchsproblem als die Gastronomie. Und das liegt nicht nur am Lohn. Köchinnen erzählen.
Publiziert: 15.10.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2023 um 16:14 Uhr
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Köchin Miriam Fassbind aus Arth SZ.
Foto: Linda Käsbohrer
Fabienne Fuhrer und Lisa Aeschlimann

Miriam Fassbind (19), Köchin aus Arth SZ, sagt: «Als ich mich für eine Kochlehre entschied, meinte mein Lehrer: Bist du dir sicher? Mach doch etwas aus dir. Geh ans Gymnasium mit deinen guten Noten.»

Die Episode ist typisch. Der Kochberuf erlebt gerade eine Krise. Es fehlt an Nachwuchs und an Fachkräften. Immer weniger steigen in den Beruf ein, und nicht wenige, die einsteigen, verlassen die Branche nach kurzer Zeit. Gemäss einer Umfrage des Arbeitnehmerverbands Hotel & Gastro Union entscheidet sich jeder Fünfte nach der Lehre für einen Beruf ausserhalb der Gastro. Während 2013 noch 1753 Personen eine Kochlehre abgeschlossen haben, waren es 2022 nur noch 1151. Ein Blick auf die bereits inserierten Stellen mit Lehrbeginn 2024 zeigt, dass aktuell knapp 800 Köchinnen und Köche gesucht werden.

«Wenn man will, geht alles»

Warum meiden Junge den Beruf? Die Umfrage des Verbands hat gezeigt, was die wichtigsten Gründe dafür sind: unregelmässige Arbeitszeiten an erster Stelle, an zweiter die fehlende Wertschätzung. Dazu kommt der tiefe Lohn. Arbeit in der Küche ist hart: lange Arbeitstage, stressige Situationen und keine freien Wochenenden. Miriam Fassbind sagt: «Am meisten Schwierigkeiten hatte ich, Familie, Verein, Hobbys und Freunde unter einen Hut zu bringen.» An den Wochenenden arbeiten zu müssen, wenn die Freunde feiern gehen, sei anfangs hart. «Nach dem ersten Monat habe ich mich schon gefragt: Will ich das wirklich drei Jahre lang durchziehen? Aber wenn man es will, geht alles.» 

Fassbind berichtet von fünf Personen in ihrer Klasse, die ihre Lehre abgebrochen haben – unter anderem, weil ihnen die Wertschätzung im Lehrbetrieb fehlte. Das sind keine Einzelfälle: Fast jede dritte Lehre in der Gastronomie wird hingeschmissen. Damit gehört sie zu den Ausbildungsfeldern mit den meisten Lehrvertragsauflösungen.

«Entweder du gibst 100 Prozent für diesen Beruf, oder du hast dort nichts zu suchen»

Auch Andrea Caluori (31) aus Chur GR hat den Beruf verlassen. Sie stieg 2020 aus der Branche aus, nachdem sie Mutter geworden war. Damals arbeitet sie im 7132 Silver, einem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Gourmet-Restaurant in Vals GR. Sternegastronomie und Familie seien schwer vereinbar, Teilzeit kaum möglich, sagt sie. «Entweder du gibst 100 Prozent für diesen Beruf, oder du hast dort nichts zu suchen.» Man investiere auch viel Freizeit, etwa «um Kräuter zu sammeln oder neue Gerichte und Rezepte auszuprobieren». Arbeiten beide Elternteile im Gastgewerbe, könne man sich arrangieren, so Caluori. «Wenn der Partner aber in einer anderen Branche arbeitet, ist es fast unmöglich.» Man lebe aneinander vorbei. Die Arbeitszeiten sind laut der Ex-Köchin wohl auch ein Grund für den vergleichsweise niedrigen Frauenanteil. Laut Bundesamt für Statistik lag dieser 2021 bei 32 Prozent.

In der Umfrage gab jede fünfte Person an, dass der Lohn der Hauptgrund war, den Kochberuf zu verlassen. Während der Ausbildung ist der Lohn vergleichsweise hoch, doch danach bleibt er unterdurchschnittlich. Gemäss jobs.ch liegt der durchschnittliche Monatslohn eines Kochs bei 4350 Franken. Der Arbeitnehmerverband kämpft schon lange für bessere Löhne. 

Extrawünsche sorgen für Dauerstress

Die Köchinnen, mit denen SonntagsBlick gesprochen hat, sind sich einig: Neben der Wertschätzung wäre mehr Lohn wünschenswert. Viele andere Faktoren, wie die Arbeitszeiten und das Arbeiten an Wochenenden, seien aber schwer zu ändern. «Die Gäste wollen nun mal am Abend essen und nicht bereits um 15 Uhr», sagt Fassbind. Das Einzige, womit man Arbeitssuchende locken könne, sei der Lohn. Das Problem: «Viele kleinere Betriebe werden sich das nicht leisten können», sagt Caluori. Die Margen in der Branche sind tief, wer als Gastrounternehmer Geld verdienen will, der drückt zuerst die Löhne beim Personal, bevor er die Kundschaft verschmäht. 

Fassbind drückt es so aus: «Die Gäste haben keine Ahnung, wie das bei uns hinten abläuft.» Extrawünsche sorgen für Dauerstress. Die junge Köchin macht ein Beispiel: «Gäste kommen und sagen, sie seien laktoseintolerant. Dann kocht man also alles ohne Butter, ohne Rahm und so weiter, und zum Dessert sagen sie: «Ah, ich nehme eine Tablette - und kann ich bitte den Coupe Dänemark haben?» Viele Leute seien auch nicht bereit, mehr für das Essen zu bezahlen, auch wenn das, was die Restaurants verlangen, viel zu wenig sei. «Es ist okay, wenn der Mechaniker ein paar Tausend Franken kostet oder die Zahnärztin ein paar Hundert, aber wenn das Essen zwei Franken teurer wird: Weltuntergang!»

Trotz aller Widrigkeiten finden die beiden aber auch lobende Worte für den Job. «Jeder und jede in diesem Beruf brennt für seine/ihre Arbeit», sagt Caluori. Ein Küchenteam sei wie eine Familie, stehe zusammen alles durch. Und Fassbind: «Wenn irgendwas ist, kann man voll im Seich sein, aber am Schluss geht man zusammen eins trinken und man hat es wieder richtig lustig miteinander. Und ja: Kochen macht einfach Spass!»

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