«Warum hilft niemand der Satire?»
Krieg bringt Comedians zum Verzweifeln

Darf man Leute zum Lachen bringen, wenn die Welt zum Heulen ist? Die TV-Komiker hadern mit dieser Frage – und lassen das Publikum daran teilhaben.
Publiziert: 10.04.2022 um 18:04 Uhr
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«Shit, wo soll ich da Witze machen?»: SRF-Witzbold Deville.
Reza Rafi

Sonntagabend, 13.März. Dominic Deville (47), Late-Night-Talker des Schweizer Fernsehens, fragt das Publikum in seiner ersten Sendung nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs: «Shit, wo soll ich da Witze machen?»

Krieg und Komik sind ein schwieriges Gespann. Wenn Bilder von toten Kindern und weinenden Müttern, von marodierenden Soldaten und ausgebombten Städten dominieren, wird es auch für Spassvögel ernst.
Dem SRF-Aushängeschild Deville ist die Unsicherheit abzunehmen, und er steht nicht allein. Der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann (41, «Magazin Royale») stöhnte am 4. März: «Eine Woche Pause gemacht und schon ist die Kacke am Dampfen!»

Man habe das Programm improvisieren müssen, entschuldigte er sich, «weil die Witze von heute am nächsten Tag einem schon um die Ohren fliegen können». Um gleich nachzuschieben, «um die Ohren fliegen» dürfe man ja auch nicht mehr sagen. Böhmermann: «Sollen wir wütend werden? Weinen oder lachen? Warum hilft niemand der Satire?»

Im Unterhaltungskosmos wird unterschiedlich reagiert. «The Show must go on», sagte man sich beim Circus Knie und zog die Premiere am 18. März ganz ohne Hinweis auf das Ungemach aus dem Osten durch. Andere hingegen wollten ausdrücklich Zeichen setzen: So setzte die Karnevalstadt Köln (D) ihren berühmten Rosenmontagszug am 28. Februar ab.

«Und woher nehmen wir das Gas?» – «Von den Kühen»

Für Kabarettisten mit politischem Anspruch ist es kniffliger. Eskapismus wie in der Zirkusmanege wäre ebenso Berufsverweigerung, wie daheim zu bleiben.

Stattdessen servierte Deville in der besagten Folge eine Serie von Witzen wie diesen: «Wenn jemand von euch den Mut hat, sich über Kiew abzuwerfen, macht das! Man könnte auch Köppel mitnehmen.»

Kriegstreiber Putin stand weniger im Fokus. Dafür die Schweiz als Oligarchennest – so auch bei Oliver Welke (55) in seiner fulminanten «Heute-Show» und in amerikanischen Late-Night-Sendungen. So viel Publicity hatte die Eidgenossenschaft seit Wachmann Meili nicht mehr.

Für Deville ergründete Patti Basler (45) auf dem Bundesplatz mit Parlamentariern die Neutralität. «Nord Stream oder Mainstream?», fragte sie. «Mainstream», antwortete Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (41). «Und woher nehmen wir das Gas?» – «Von den Kühen.»

Das war alles kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, dessen grösster Held Wolodimir Selenski (44) ironischerweise einst als TV-Entertainer arbeitete.

«Wer miteinander Handel treibt, schiesst nicht aufeinander»

Inzwischen hat sich das Massaker von Butscha ereignet, am Bahnhof von Kramatorsk sind wartende Frauen und Kinder bombardiert worden, Berichte von Vergewaltigungen häufen sich.

Je schrecklicher das Grauen, desto zagender die Zotenreisser. Das wohl berühmteste Beispiel ist Charlie Chaplin (1889–1977), der 1940 mit «Der Grosse Diktator» Adolf Hitler aufs Korn nahm. Später bereute Chaplin den Film, der noch vor den Vernichtungslagern und den Gaskammern entstanden war. Erika Manns (1905–1969) antifaschistisches Kabarett Pfeffermühle am Zürcher Hirschenplatz wiederum musste in den 30er-Jahren sowieso vor Kriegsausbruch aufgeben – aufgrund von Protesten der Schweizer Frontisten. Dass die Stadt danach mit einer «Lex Pfeffermühle» vor dem Dritten Reich kuschte, wie Mann behauptete, konnte aber nie nachgewiesen werden.

Verschlägt es nun auch den heutigen Pointenmachern die Sprache? «Nach Ironie kommt Pathos», sagte Harald Schmidt (64) einmal. Beim ZDF-Format «Die Anstalt» verschwimmt vor lauter Schwere die Grenze zwischen Satire- und seriösem Nachrichtengefäss.

Am 8. März liess man Hazel Brugger (28) Schweizer Kontonummern von russischen Oligarchen verlesen. In der aktuellen Folge steht Angela Merkel (67) im Zeugenstand: «Ihre Weigerung, sich mit Politik zu befassen, hat uns in die Abhängigkeit von Putins Gas gebracht!» Claus von Wagner (44) vergräbt sich in der Rolle der Altkanzlerin tief in die bundesrepublikanische Nachkriegsschuld bis zu Helmut Schmidts (1918–2015) naivem Moskau-Spruch: «Wer miteinander Handel treibt, schiesst nicht aufeinander.»

Auf die Schippe genommen werden auch «Vulgärpazifismus» und linksliberaler Whataboutism, das reflexartige Verweisen auf die aussenpolitischen Sünden der USA mit relativierendem Unterton gegenüber Putin – eine Lebenslüge, der einst auch die «Anstalt»-Macher aufsassen. Dem Aggressor, der die Ukraine «entnazifizieren» will, halten sie vor, als Deutsche seien sie die Experten, «aber dazu fällt uns jetzt kein Witz mehr ein».

Das ist schonungslos und aufschlussreich, aber bleiern, weit weg von der angelsächsischen Lockerheit eines Jay Leno (71) etwa, der 2001 nach dem Anschlag auf die Twin Towers – die Trümmer waren noch nicht weggeräumt – in seiner «Tonight Show» die «Dancing Bin Ladens» auftreten liess.

Russia Today und Martullo-Blocher

Zu den brillanteren deutschen Absendern gehört die Satire-Website «Der Postillon». Analytisch scharf wird Putins Lügenmaschine zerlegt. «Von der russischen Regierung lernen: So reden Sie sich aus allem heraus, egal, was Sie verbrochen haben», lautet ein Ratgeberbeitrag in zehn Schritten («4. Behaupten Sie, alle Beweise seien gefälscht: ‹Das Foto, das mich beim Parken vor Ihrer Einfahrt zeigt, wurde mit Photoshop bearbeitet. Sehen Sie da diesen einen Fleck? Der beweist es.›»).

Vergangenen Sonntag schob Deville die Russen schon mal zeitlich hinter Will Smiths Ohrfeige, das Ende der Maskenpflicht und das miese Wetter («so kalt ist es sonst nur in Putins Herz»). Die Gagschreiber vom Leutschenbach nahmen zwei Ziele ins Visier: den Propagandasender RT (Russia Today) und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher (52), die in ihrer Firma das Wort «Krieg» verbietet. Ob man noch von Bombardierung reden dürfe, fragt Deville. «Oder wurde die Geburtsklinik in Mariupol perforiert, blanchiert oder rückgebaut?»

Die grosse Frage bleibt: Wie geht man mit dem Schlächter Putin um? Es war die ukrainische Regierung selber, die über ihre Kanäle eine Karikatur des Kreml-Chefs als Hitlerjunge verbreitete. Bei der ZDF-«Anstalt» schiessen sie auf den «bewaffneten Hobby-Historiker» Wladimir und kündigen an, ihn «in einem Ausmass lächerlich zu machen, wie du es noch nie erlebt hast». Dann folgen solche Scherze: «Woran erkennt man, dass Putin lügt? Er bewegt die Lippen.» Das vielleicht Beste an jener Sendung war der Spendenaufruf für die Katastrophenhilfe.

Auf die allseitige Kritik anspielend, fragt Gastgeber Wagner seinen Kollegen Max Uthoff (54): «Was machen wir jetzt? Jetzt hassen uns alle.» Worauf dieser antwortet: «Das ist genau die Position, die man als Satiriker anstreben sollte.»

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