Es lit es Stedtli wunderhübsch am blaue Aarestrand, s isch immer so gsi, s isch immer so gsi»: So beginnt das Solothurnerlied, seit über 100 Jahren die inoffizielle Hymne der Stadt. Während in Zürich Traditionswarenhäuser wie Jelmoli schliessen und kleine Läden aus der Innenstadt verdrängt werden, scheint Solothurn seiner Hymne alle Ehre zu machen.
«Der Eindruck täuscht nicht», meint FDP-Nationalrat Kurt Fluri (67), von 1993 bis 2021 war er hier Stadtpräsident. «Solch exorbitante Mieten wie in anderen Innenstädten gibt es in Solothurn nicht.» Das sei ein Vorteil der «mangelnden Attraktivität», habe aber auch andere Gründe: «Die kleine Altstadt – Solothurn hat nur rund 17 000 Einwohner, aber ein Einzugsgebiet von rund 80 000 Menschen – und drei Parkhäuser gleich am Altstadtrand.»
Man müsse die Einkäufe nicht weit schleppen. Hinzu kommt laut Fluri: «In Zürich ist mit der Bahnhofstrasse die Einkaufstrasse nicht in der Altstadt, und die Altstadt ist nicht die Einkaufsstrasse. Bei uns ist das nach wie vor dasselbe – am Abend sind auch Beizen am selben Ort.» Der traditionelle Wochenmarkt locke ebenfalls viele in die Altstadt. Daniel Wagmann (36), Inhaber des Chuchilade, bietet «alle Werkzeuge für die Küche» an. Dass Läden aus der Innenstadt vertrieben werden, stimme nicht ganz: «Vielfach verdrängen sich inhabergeführte Geschäfte selber aus dem Markt. Die Zeit, in der man etwas aus dem Regal nahm und dann kaufte, sind vorbei. Die Kunden wollen ein Erlebnis.» Dennoch sei Solothurn anders. «Von der Gentrifizierung bleiben wir ein wenig verschont.» Die Mieten seien nicht die treibende Kraft für die Stadtentwicklung. «Die Grösse macht es gesund.»
Die Leute kommen mit dem Auto
Die Stadt sei kein Prestigestandort, der über das Marketingbudget grosser Ketten finanziert werde. Solothurn entwickelte sich ringförmig um die Altstadt. Sie ist und bleibt der Kern. Was auch hilft: Wagmann betont auch die gute Parkplatz-Situation: «Wir haben vor ein paar Jahren bei unseren Kunden eine Umfrage gemacht. Die Leute kommen meist mit dem Auto.» Man könne aber weitaus mehr tun, um den Standort zu stärken.
Leere Schaufenster gibt es in Solothurn kaum. Die letzte grosse Schliessung war das Reformhaus Müller. Am Standort hat das nicht gelegen, die Reformhaus-Kette machte schweizweit Konkurs. Am Schaufenster klebt ein Poster: «Onlineshopping tötet!»
Seit rund 40 Jahren führt Bruno Amweg (60) sein Geschäft für Blasinstrumente in der Altstadt. Den Druck aus dem Internet spürt er durchaus: «Menschen kommen, lassen sich beraten, dann ‹klick und weg›»: Sie kauften im Internet. Er habe aber seine Nische gefunden. Im unteren Stock unterhält Amweg seine Werkstatt, hier repariert er Instrumente. «Als Dienstleistungsbetrieb habe ich bessere Chancen.» Auch ein Saxofon aus dem Internet gehe schliesslich einmal kaputt.
«Unser Solothurn ist überschaubar und schön», sagt Amweg. Aber «auch hier kämpfen die Läden.» Der Branchenmix sei weniger geworden. In fünf Jahren will Amweg aufhören. «Die Nachfolge ist noch unklar.»
Inhaber sind häufig auch Besitzer
Wie das Geschäft im Augenblick laufe? «Ich bin Alleinbetreiber. Für mich stimmts.» Ein weiterer Grund: Das Haus gehört ihm. Im oberen Stock sind vier Wohnungen. Dass er Eigentümer des Bodens sei, mache einen grossen Unterschied. In den letzten 20 Jahren habe er die Mieten nicht erhöht, erwähnt Amweg nicht ohne Stolz. Parkplätze und Grösse erklären die lebendige Innenstadt also nicht allein. Wem sie gehört, ist ebenso wichtig.
Gerade bei älteren Traditionsgeschäften sind die Inhaber oft Besitzer der Liegenschaft. So auch beim Kerzenjeger: Der Laden für Tapeten, Kerzen und Kolonialwaren besteht seit 1830 – es ist eines der ältesten Geschäfte hier.
Das ehemalige Lager im hintersten Raum wurde erst vor einigen Jahren zur Verkaufsfläche, in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege. Dennoch wirkt der Raum modern. Überhaupt wirkt die historische Kulisse Solothurns weder verstaubt noch missachtet. Den Bürgern liegt ihre Stadt am Herzen. Das ist in den Gesprächen immer wieder zu spüren.
«Ich könnte mir nicht vorstellen, woanders zu leben», sagt Jacqueline Kirchhofer (55). Sie arbeitet seit 21 Jahren beim Kerzenjeger. Nach der Arbeit geht sie gern in der Stadt spazieren. Katharina Nüssli (55) ist Inhaberin von Mezzogiorno, einem Bioladen an der Hauptgasse. Solothurn sei für eine kleine Stadt ausserordentlich vielseitig: «Es gibt ein super Gastro- und ein sehr grosses kulturelles Angebot, etwa die Solothurner Filmtage, Literaturtage und Barocktage.»
Das Mezzogiorno gibt es erst seit zwei Jahren. Das Ladenlokal gehört einem privaten Vermieter. «Der wollte bewusst keine Kette, sondern ein lokal ansässiges, inhabergeführtes Geschäft», so Nüssli. Das sei in Solothurn nicht unüblich.
Gut möglich, dass die kleinen Solothurner Geschäfte sich und die Altstadt am Leben erhalten – genau so.
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