Rassistische Völkerschauen in Zürich. Eine Prachtvilla, finanziert mit Geld aus Plantagen in Südostasien. Die Statue von Alfred Escher, Vater der modernen Schweiz, aber auch Erbe von Sklavenhaltern. Die Beispiele zeigen: Auch Zürich war stark in koloniale Verstrickungen involviert.
«Man muss aufmerksam durch die Stadt laufen», meint die Historikerin Monique Ligtenberg von der ETH Zürich. Dann sehe man viele Spuren – offensichtliche und subtile. Um den Blick dafür zu schärfen, hat Ligtenberg gemeinsam mit Charlotte Hoes, Philipp Krauer und Stephanie Willi, alle drei auch Historiker, den Verein Zürich Kolonial ins Leben gerufen. Ihr Ziel: einen kolonialen Stadtführer zu entwerfen. So wie es ihn bereits für die Stadt Bern gibt. Nicht für akademische Fachkreise, sondern für die Öffentlichkeit.
Ziel: Zentrale Datenbank
«Dass auch Zürcherinnen und Zürcher in den Kolonialismus verstrickt waren, ist gut dokumentiert», sagt Monique Ligtenberg. Allerdings seien die Anhaltspunkte lange nur flüchtig gesammelt worden. Zürich Kolonial soll das ändern. «Wir wollen eine zentrale Datenbank dazu aufbauen.»
Dazu haben sie eine Website erstellt, auf der man virtuell verschiedene Stationen besuchen kann. Mit Informationstexten und teils mit Audioguides. Da ist eben die Statue Alfred Eschers beim Bahnhof. Die Villa Patumbah im Seefeld. Oder die Wirkstätte des Pfarrers Johann Caspar Lavater, der die Physiognomik massgeblich prägte – die rassistische Lehre, die versuchte, aufgrund von äusserlichen Erscheinungen wie der Hautfarbe auf den Charakter des Menschen zu schliessen.
Elf Orte sind bereits hinterlegt, beschrieben von verschiedenen Autoren. Es sollen laufend weitere hinzukommen. Die Idee: Jeder und jede kann sich mit weiteren Vorschlägen beim Verein melden. Physische Stadtführungen sind momentan noch die Ausnahme. Stephanie Willi: «Da wir die Arbeit ehrenamtlich neben unseren Jobs machen, haben wir kaum Zeit dafür.» Aber für den Herbst sei ein Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Anny-Klawa-Morf-Stiftung geplant. «Wir hoffen, dann ein gefestigtes Format mit Führungen anbieten zu können.»
Macher wollen aufklären
Hoes, Krauer, Ligtenberg und Willi verstehen ihre Aufgabe als Aufklärung. «Wir wollen keine Forderungen an die Gesellschaft stellen, wie sie mit ihrem historischen Erbe umgehen soll», sagt Krauer, «sondern eine Grundlage für Diskussionen schaffen.» Monique Ligtenberg ergänzt: «Wir zeigen auf, was ist. Und wir weisen auf Tatsachen hin. Wir sassen 400 Jahre lang im gleichen Boot mit den Kolonialmächten.»
Historiker haben bereits vor 20 Jahren auf die kolonialen Verstrickungen der Schweiz hingewiesen. In der Öffentlichkeit diskutiert wird das Thema aber noch nicht so lange. Vor einem Jahr, im Zuge der «Black Lives Matter»-Demonstrationen, rückte es in den Fokus. Die Fakten dazu seien eigentlich vorhanden, meint Stephanie Willi: «Man darf mit Blick auf die Schweizer Geschichte nicht bloss das Rütli oder die Schlacht am Morgarten betrachten, sondern eben auch Sumatra.»
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