Plötzlich schwammen Fische im türkisen Wasser des Blausees mit dem Bauch nach oben: So begann 2017 das Drama um den malerischen Ort im Berner Oberland.
Aus den wenigen verendeten Forellen wurden Zehntausende. Die Besitzer des Sees begannen mit eigenen Nachforschungen, teils mit unorthodoxen Methoden. Nach Angaben des nimmermüden Miteigentümers Stefan Linder (54) handelten sie im Auftrag der Zürcher Kantonspolizei. Die Berner Staatsanwaltschaft hatte nach einer Anzeige der Blausee-Eigner ein Strafverfahren gegen unbekannt eröffnet. Im Visier hatte sie ein Steinbruchgelände der Firma Vigier.
Es folgten Medienkonferenzen, Diskussionsrunden, mehrere Expertengutachten – und fette Schlagzeilen von der SRF-«Rundschau» bis zur «Berner Zeitung». Für Letztere gab es kürzlich den Swiss Press Award. Der Umweltskandal wurde im ganzen Land zum Thema.
Was bisher weitgehend fehlt, sind konkrete Zahlen. Von Altlasten, Giftmüll und Giftstoffen war stets die Rede, wenn sich das Blausee-Trio – der Gründer des Swiss Economic Forum Linder, Globetrotter-Patron André Lüthi (60) und Blackrock-Banker Philipp Hildebrand (57) – an die Öffentlichkeit wandte.
Verblüffender Befund
Nun liegen erstmals greifbare Werte vor. Und die sind verblüffend: Es handelt sich vor allem um Nullen. Je eine vor und viele hinter dem Komma.
Der Kanton Bern liess im Juni und September 2020 Proben vom Grundwasser der Fischzucht und von der nahe gelegenen Waldquelle analysieren. Fünf Bohrungen gab es insgesamt.
Am Dienstag leitete der Berner Bau- und Verkehrsdirektor Christoph Neuhaus den Untersuchungsbericht vom 6. Mai an seine Regierungskollegen weiter: «Es gibt keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung des Grundwassers mit Schadstoffen.» Die 13-Seiten-Analyse liegt auch SonntagsBlick vor.
Grund- und Quellwasser wurden auf über 700 Substanzen untersucht. Gefunden haben die Experten so gut wie nichts, was über dem Grenzwert lag.
Ammonium und Nitrit konnten nicht nachgewiesen werden. Pestizide, Pharmaka, Industriechemikalien, Explosivstoffe, Röntgenkontrastmittel, Glyphosat, künstliche Süssstoffe, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe: alles unter der Nachweisgrenze.
Besser als manches Hahnenburger
Einzig Spuren von Zink wurden in der Waldquelle und im Grundwasser gefunden. Und im Steinbruch 0,16 Nanogramm Nitropenta pro Liter. Heikel wird es laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) ab 70'000 Nanogramm. Nüchterne Bilanz: Die überprüften Wasserproben haben Hahnenburger-Qualität.
Oliver Steiner, Abteilungsleiter beim Amt für Wasser und Abfall (AWA), bestätigt die Untersuchung und kündigt weitere an: «Das AWA wird im September 2021 eine erneute Beprobung und Analyse des Grund- und Quellwassers im Gebiet Blausee/Mitholz durchführen.» Ausserdem habe man am 16. April im Gebiet des Steinbruchs an sechs Messstellen Material für die Analyse gesichert.
Was bedeuten die Resultate nun für die Aufklärung des Falls? Haben sich Linder, Lüthi und Hildebrand als die drei Fragezeichen vom Kandertal mit ihren Thesen zu weit aus dem Fenster gelehnt? Liegt der Grund für das Desaster anderswo? Erklärungsversuche, etwa im Hinblick auf Fischfutter oder -haltung, weisen die Verantwortlichen entschieden zurück.
Unabhängige Gegengutachten
Der Staatsanwalt hat der Blausee AG einen Maulkorb angelegt. Das Unternehmen dürfte die Zahlen der kantonalen Untersuchung ohnehin gelassen betrachten – dort sieht man derlei Analysen als Parteibehauptung und hat unabhängige Gutachten in der Hinterhand, die hohe Schadstoffkonzentrationen im Grundwasser und den toten Forellen nachweisen.
Die mögliche Erklärung für den offenbar fehlenden Nachweis von überschrittenen Grenzwerten durch die Berner Behörden: Das Gift der illegal abgelagerten Abfälle, von teerölgetränkten Eisenbahnschwellen und giftigen Schlämmen im Steinbruch oberhalb des Sees, soll schwallartig nach starkem Regen zu den Fischen gelangt sein.
Tatsächlich kam es vor allem nach starkem Niederschlag und hoch stehendem Grundwasser zu Massensterben, wie die Blausee AG letzten Herbst mitgeteilt hatre.
Immerhin macht in diesem Zusammenhang eine gute Nachricht die Runde: Weil die Ablagerung von kontaminiertem Material letzten Sommer gestoppt wurde, sei es seit September nicht mehr zu einem Fischsterben gekommen.
Alles andere ist Gegenstand des laufenden Verfahrens – und wird hoffentlich bald geklärt.