Die Bilder sind ein Schock: Tausende toter Forellen in der Zuchtanlage des idyllischen Blausees im Berner Kandertal.
Deren Besitzer sind überzeugt, das Fischsterben sei durch die illegale Entsorgung von Schotter aus dem alten Lötschbergtunnel verursacht worden, der mit Giftstoffen belastet ist. Sie haben deshalb, wie die Tamedia-Zeitungen gemeinsam mit der SRF-«Rundschau» vergangene Woche berichteten, Strafanzeige erstattet.
Die Staatsanwaltschaft muss nun ermitteln, ob die Vorwürfe zutreffen – und wer verantwortlich ist.
Nur keine Aufmerksamkeit erzeugen
Im Zentrum des Interesses dürfte die Marti Gruppe mit Sitz in Moosseedorf BE stehen. Der Baukonzern hatte von der BLS einen Auftrag für die Sanierung des Lötschbergtunnels erhalten und soll den teilweise giftigen Gleisaushub illegal in einer nahen Kiesgrube deponiert haben.
Damit rückt ein Unternehmen ins Rampenlicht, das alles daransetzt, Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Die Marti Gruppe gibt es seit 1922. Sie besteht aus mehr als 80 Tochtergesellschaften in der ganzen Schweiz, in vielen Ländern Europas und in der ganzen Welt, etwa Chile, China oder Indien. Gemäss seiner Website beschäftigt der Konzern rund 6000 Leute.
Zweitgrösster Schweizer Baukonzern
Viel mehr ist über den Bauriesen nicht bekannt. Umsatz- und Gewinnzahlen behält das Unternehmen für sich. Die «Handelszeitung» schätzt den Umsatz auf 900 Millionen Franken. Branchenkenner sagen, das sei sehr zurückhaltend kalkuliert.
Klar ist: Marti ist nach Implenia der zweitgrösste Schweizer Baukonzern – und fest in Familienhand. 2018 übernahm Reto Marti von seinem Vater Rudolf das Verwaltungsratspräsidium. Der Vater wie der Sohn treten selten öffentlich in Erscheinung. Sogar ihr Alter ist ein Geheimnis.
Auch im Berner Wirtschaftsadel sind die Martis weitgehend unbekannt. Bilder von ihnen sind im Internet nicht zu finden. Nicht einmal Peter Sommer (59), seit Jahren Geschäftsführer des Berner Baumeisterverbands, kennt die Patrons: «Ruedi Marti habe ich einmal kurz gesehen, Sohn Reto noch gar nie.»
2015 geriet Marti ins Visier der Weko
Mit Medienvertretern reden die Martis nie. Sie schweigen auch, wenn das Unternehmen wie im Fall Blausee unter Beschuss gerät.
Das geschah in den vergangenen Jahren wiederholt: 2015 geriet Marti zusammen mit anderen Berner Baufirmen ins Visier der Wettbewerbskommission (Weko). Der Grund: Verdacht auf Preisabsprachen beziehungsweise auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Kampf um Kies. Die Untersuchung läuft noch immer. Weko-Direktor Patrik Ducrey (57): «Es ist komplexer als angenommen.»
Ebenfalls 2015 geriet der Konzern in den Fokus der Eidgenössischen Steuerverwaltung wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung. Regelmässig sorgte das Unternehmen im Übrigen für Aufruhr, weil es im Kampf um Kiesgruben die lokale Konkurrenz mit Klagen einzudecken pflegt.
Familie Marti schweigt – wie üblich
Zusammengenommen ergibt das kein schönes Image. Was sagen die Verantwortlichen des geheimnisvollen Bauriesen dazu?
Die Familie Marti schweigt wie üblich. Stattdessen wird Finanzchef Daniel Schorro vorgeschickt, der die Angelegenheiten per E-Mail kurz und knapp kommentiert:
Weko-Untersuchung? «Zu einem laufenden Verfahren nehmen wir keine Stellung. Wir sehen uns in diesem Verfahren als Geschädigte.» Steuerdelikte? «Das Verfahren ist längst abgeschlossen und endete als Sturm im Wasserglas.» Klagewelle? «Ja, vice versa (in beide Richtungen; Red.) – wie branchenüblich.»
Nutzt die Firma Grauzonen?
Dem Geschäft hat die schlechte PR offenbar nicht geschadet. Das liegt wohl daran, dass die Marti Gruppe bekannt dafür ist, hervorragend ausgebildetes Personal zu beschäftigen und einwandfreie Arbeit abzuliefern – ob im Tunnelbau, bei Bahnhofausbauten, Prestigeprojekten wie dem Roche Tower in Basel oder dem Prime Tower in Zürich. «Die Qualität stimmt», sind sich Branchenkenner einig.
Auch staatliche Stellen setzen gerne und oft auf Marti. Gemäss der Plattform Intelliprocure der Universität Bern hat der Konzern seit 2009 insgesamt 481 öffentliche Ausschreibungen gewonnen. Auftragsvolumen: 3602 Millionen Franken. Dieser Wert wird einzig von Implenia getoppt (Volumen: 3653 Millionen Franken). Der börsenkotierte Implenia-Konzern ist allerdings deutlich grösser als Marti.
Angesichts der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Blausee-Verschmutzung stellt sich die Frage: Ist Marti bei öffentlichen Aufträgen unter anderem deshalb so erfolgreich, weil die Firma Grauzonen im Baugeschäft besser nutzt, etwa bei der Entsorgung von Baumaterialien?
Korrekte Entsorgung verursacht enorme Kosten
Gemäss Geologe Marcos Buser (71) ist das zumindest nicht auszuschliessen: «Bei Grossprojekten wie der Lötschberg-Sanierung verursacht die korrekte Entsorgung belasteter Baumaterialien enorme Kosten. Wer da kreative, sprich billigere Lösungen findet, kann unter Umständen günstiger offerieren.»
Ob das bei Marti System habe, kann Buser nicht abschliessend beurteilen. Er weiss aber: «Im Vergleich zu anderen Baufirmen wie zum Beispiel Eberhard aus Zürich ist Marti bezüglich umweltfreundlicher Entsorgungserfahrung eher schwach auf der Brust.» Marti-Finanzchef Daniel Schorro sieht das naturgemäss anders. Er betont, dass das öffentliche Beschaffungswesen zum Glück klare Anforderungen in Sachen Umweltschutz beinhalte. «Der Preis ist nicht das einzige Kriterium, unter anderem kann ein gutes Umweltkonzept den Vergabeentscheid wesentlich beeinflussen.» Mit anderen Worten: Marti habe bezüglich Entsorgung kein strukturelles Problem.
Auf die Frage von SonntagsBlick, wieso die Firmeninhaber Rudolf und Reto Marti zum Fall Blausee schweigen, meint Schorro: «Weil Kommunikation mit der Presse in unserem Hause keine Tradition hat.»