Auf einen Blick
- Sprachbarrieren erschweren die psychologische Betreuung ukrainischer Flüchtlinge
- Fast jede dritte Ukrainerin leidet an posttraumatischer Störung
- Ukrainische Psychologen dürfen in der Schweiz nicht praktizieren
- Bund und Kanton schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu
«Ich bin enttäuscht», sagt Ivanna Bardas (44). In ihrer Heimat, der Ukraine, könnte sie traumatisierten Landsleuten helfen, doch in der Schweiz darf sie nicht als Psychologin tätig sein – trotz fünfjährigen Studiums an einer ukrainischen Universität, mehreren Weiterbildungen und 14 Jahren Berufserfahrung. «Die Schweiz lässt mich nicht arbeiten», sagt Bardas.
Dabei wäre der Bedarf an psychologischer Hilfe gross. Eine Studie der Universität Basel von 2023 besagt, dass fast jede dritte Ukrainerin und jeder fünfte Ukrainer an einer posttraumatischen Störung leidet. Das wären in der Schweiz etwa 18’000 Personen mit Status S. Ihnen steht es zu, sich an lokale Psychologen zu wenden, nur sei das Schweizer System zu wenig darauf ausgerichtet, meint Bardas.
Ein zentrales Problem ist die Sprachbarriere. Es gibt kaum zugelassene Psychologen in der Schweiz, die Ukrainisch sprechen. Viele Geflüchtete beherrschen weder eine der Landessprachen noch genug Englisch, um ihre traumatischen Erlebnisse klar schildern zu können. Sie sind auf Dolmetscher angewiesen, was laut Bardas jedoch problematisch ist: «Wenn eine Drittperson bei der Therapie anwesend ist, fällt es den Betroffenen schwerer, sich zu öffnen.» Eine Alternative wäre, sich an russischsprachige Therapeuten zu wenden – doch das kommt für viele Ukrainer nicht infrage. «Eine Therapie in der Sprache der Nation, die für das Leid verantwortlich ist, kann retraumatisierend wirken.»
Ukrainische Psychologen dürfen keine Praxis eröffnen
Internationale Studien zeigen: Eine psychologische Betreuung hat bessere Erfolgschancen, wenn Therapeut und Patientin dieselbe Sprache sprechen und denselben kulturellen Hintergrund teilen.
Warum also dürfen ukrainische Psychologen in der Schweiz nicht arbeiten? Kurz gesagt: wegen der Bürokratie. Denn die Schweiz hat kein Abkommen mit der Ukraine, das die Gleichwertigkeit von Psychologiediplomen regelt. Eine individuelle Anerkennung wäre zwar möglich, doch bisher wurde kein einziger ukrainischer Abschluss in Psychotherapie zugelassen. Das bedeutet, dass ukrainische Psychologen keine eigene Praxis eröffnen dürfen.
Der Bund räumt den Kantonen allerdings gewisse Freiheiten ein. So könnten die Kantone eine Sonderregelung erlassen, die es ukrainischen Psychologen ermöglicht, unter Aufsicht eines zugelassenen Psychotherapeuten zu arbeiten. Ivanna Bardas, die im Kanton Genf lebt, würde eine solche Regelung begrüssen – ebenso wie mehr als 50 weitere ukrainische Psychologinnen. Die NGO Ukraine Reborn hat ihre Namen zusammengetragen und dem Genfer Gesundheitsdepartement übergeben. Doch der Kanton lehnte den Vorschlag ab. Auf Anfrage von Blick heisst es, dafür fehle die gesetzliche Grundlage und der Bund regle den Beruf der Psychologie.
Bund und Kanton schieben sich Verantwortung zu
Diese Haltung sei schwer nachvollziehbar, findet Nadiia Olarean (39), Präsidentin von Ukraine Reborn. «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg», sagt sie. Aber statt nach einer Lösung zu suchen, würden sich Bund und Kanton gegenseitig die Verantwortung zuschieben.
Aktuell müssten ukrainische Psychologen erneut ein Studium oder zahlreiche Weiterbildungen absolvieren, bevor sie in der Schweiz praktizieren dürfen. Im Kanton Genf wird zusätzlich das Sprachniveau B2 in Französisch verlangt. «Das dauert lange und ist unnötig», meint Olarean. Ihrer Ansicht nach bräuchten ukrainische Psychologen keine Französischkenntnisse, um ihre Landsleute betreuen zu können.
Das Bundesamt für Gesundheit verteidigt die aktuelle Praxis. Das Wohl der Patienten stehe immer an erster Stelle, und eine qualifizierte Ausbildung sei unerlässlich. Olarean widerspricht: Das derzeitige psychologische Angebot sei unzureichend, sodass viele Ukrainer erst gar keine Hilfe in Anspruch nähmen. Eine Sonderregelung für ukrainische Psychologen könnte die Situation verbessern, sagt sie. Schliesslich seien viele Ukrainer hoch qualifiziert. «Aber klar, man kann die Psychologen auch einfach Toiletten putzen lassen.»