Das Corona-Fiasko im österreichischen Ischgl ruft böse Erinnerungen wach. Ende Februar wurde der Tiroler Skiort über Nacht zum Hotspot der Pandemie: Tausende Ischgl-Urlauber aus 45 Ländern trugen massgeblich zur Verbreitung des Virus bei – bis in die USA.
Im dichten Gedränge heisser Partynächte steckten sie sich mit dem Coronavirus an und gaben es in ihren Heimatländern weiter, darunter auch Touristen aus der Schweiz. Die Folgen des Ausbruchs führten ein halbes Jahr später zu ersten Schadenersatzklagen gegen die österreichischen Behörden.
Desaster verhindern
Ein Desaster, das sich nicht wiederholen soll – schon gar nicht in den Schweizer Alpen. Weshalb Bundesrat Alain Berset (48) besonders vorsichtig agiert. Der SP-Gesundheitsminister sprach sich für ein koordiniertes Vorgehen mit den anderen Alpenstaaten aus. Aus Sicht der Schweizer Winterdestinationen ein Zögern, das die Gäste verunsichert und sich in tiefen Buchungsraten zeigt – und die heimische Tourismusbranche erzürnt.
Umso mehr, als Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (34) in seinem Land das Gegenteil tat und die klare Ansage machte: «Der Wintertourismus wird stattfinden!»
Um Gäste auf die Pisten, in Beizen und Hotels zu locken und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, greifen Schweizer Touristiker und Bergbahnen jetzt zu einer breit angelegten Imagekampagne in allen Landesteilen und Sprachregionen. Der Name ihres neu gegründeten Komitees ist Programm: «Die Schweiz fährt Ski!». «Damit die Wintersaison in der Schweiz auch dieses Jahr gesichert ist, müssen dringend deutliche Signale an die Sportbegeisterten im In- und Ausland gesendet werden», fordern die Initianten. Skifahren sei sicher, so der Tenor.
Wintersportorte machen gemeinsame Sache
Mit an Bord sind praktisch alle grossen Schweizer Wintersportorte, von Andermatt UR bis Zermatt VS. Unterstützt werden sie von namhaften Exponenten der Wirtschaftsverbände sowie aus dem ganzen politischen Spektrum.
Im Co-Präsidium sitzen unter anderen die Walliser CVP-Ständerätin Marianne Maret (62), GLP-Präsident Jürg Grossen (51) und Hans Wicki (56), FDP-Ständerat und Präsident der Schweizer Seilbahnen. Als «Botschafter» zeichnen die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (45), Olympiasieger Didier Défago (43), Skilegende Pirmin Zurbriggen (57) oder Skicross-Weltmeisterin Fanny Smith (28). Der gewichtigste personelle Coup des Komitees: Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) konnte als Schirmherr gewonnen werden.
Orchestriert wird die Lobby-Aktion «Die Schweiz fährt Ski!», die gestern Samstag mit einem Onlineauftritt startete, von der omnipräsenten PR-Agentur Furrerhugi. Beflügelt wird sie von der Sehnsucht nach einem «wichtigen Signal» der Landesregierung – ganz so wie es der jugendliche Regierungschef der Nachbarskination Österreich ausgesendet hat.
Weil dies bisher aus der Schweiz nicht zu vernehmen war, zeichnen die Touristiker nach einem für die Berggebiete erfreulichen Sommer ein ziemlich düsteres Bild der bevorstehenden Saison.
Noch bleiben die Buchungen aus
Die Verunsicherung sei gross, lassen die Initianten wissen: «In den Schweizer Wintersportorten gibt es bisher noch kaum Buchungen – anders als in anderen Alpenländern – und den Bergbahnen und Destinationen fehlt die Planungssicherheit.»
Tatsächlich hält sich die Landesregierung bedeckt, wie die Wintersaison erfolgreich vonstatten gehen soll. Seit dem Tourismusgipfel Ende August, an dem die Bundesräte Simonetta Sommaruga (60), Alain Berset und Guy Parmelin sowie elf Branchenverbände teilgenommen hatten, war aus Bern kaum noch etwas zu hören.
Die Geduld in der Branche ist erschöpft: «Der Bundesrat konnte uns keine Planungssicherheit geben und agierte in den Gesprächen unentschlossen. «Deshalb haben wir das Heft selbst in die Hand genommen», sagt der Direktor der Schweizer Seilbahnen, Berno Stoffel (50). Ohnehin liege es nicht in der Kompetenz der Landesregierung, Konzepte für die Saison auszuarbeiten, das sei Sache der Kantone. Mit denen, sagt Stoffel, arbeite man gut zusammen. Nächste Woche wollen die Bergbahnen das detaillierte Schutzkonzept präsentieren.
Aggressive Tourismusbranche
Die Initiative «Die Schweiz fährt Ski!» ist letztlich das Resultat eines Zerwürfnis ses zwischen Touristikern, Hoteliers und Gastronomen auf der einen und der Landesregierung auf der anderen Seite. In den letzten Monaten waren die Fronten zunehmend verhärtet.
Sicherheit versus Wirtschaftlichkeit: Dabei bewegen sich die Landesregierung und – nach Aufhebung der ausserordentlichen Lage – nun auch die Kantone auf einem schmalen Grat. «Die Tourismusbranche tritt überaus aggressiv auf und wehrt sich gegen jegliche Regulierung», sagt ein Teilnehmer des August-Treffens. Die neue Kampagne dürfte die Stimmung weiter trüben. Auf Anfrage von SonntagsBlick wollte das Innendepartement sie nicht kommentieren. Man habe keine Kenntnis von einer solchen Aktion, ist aus dem Umfeld von SP-Gesundheitsminister Berset zu vernehmen.
Berset gegen Parmelin
Umso pikanter erscheint die Mitwirkung von Bundesrat Parmelin. «Der Schweizer Tourismus hat im Sommer gezeigt, dass man Gäste mit guten und innovativen Lösungen sicher empfangen kann. Ich bin überzeugt, dass das auch im Winter und beim Wintersport möglich ist. Deshalb unterstütze ich diese Aktion gerne», wird der SVP-Mann auf der Internetseite der Initiative prominent zitiert. Was auf Differenzen mit Berset hindeutet, der intern auf die Bremse tritt. In Parmelins Departement heisst es, das Engagement des Chefs bewege sich im Rahmen der gesamtbundesrätlichen Strategie.
Im Kollegium dürfte seine Unterstützung für die Brancheninitiative noch für hitzige Debatten sorgen.
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